April / Mai 2020

HAMBURGER WIRTSCHAFT 38 FOTO MIKE SCHAEFER EXPERTEN MEINUNG DR. DIRCK SÜSS dirck.suess@hk24.de Die drohende Rezession Was bedeutet die Coronakrise langfristig für die Hamburger Wirtschaft? Im Gespräch mit Dr. Dirck Süß, Leiter des Handelskammer- Geschäftsbereiches Wirtschaftspolitik, zeich- net der Direktor des Hamburgischen WeltWirt- schaftsInstituts (HWWI) ein sorgenvolles Bild. Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Hamburger Wirt- schaft und die norddeutscheWirtschaft ein? Prof. Dr. Henning Vöpel: Die Auswirkungen sind gravierend und für viele akut existenzbedrohend. Wir haben es sehr wahrscheinlich mit der größten Rezession der Nachkriegszeit zu tun. Die wirtschaft- lichen Szenarien hängen sehr stark an der Frage, wie schnell es gelingt, die Ausbreitung der Epidemie so zu verlangsamen, dass die Kapazitäten der Intensiv- versorgung ausreichen. Das Zeitfenster dafür ist sehr eng, denn länger als vielleicht drei Monate lässt sich ein Shutdown der Wirtschaft und ein Lockdown der Gesellschaft nicht verkraften. Für Deutschland rechnen wir mit einem Rückgang des Brutto- inlandsproduktes zwischen fünf und 20 Prozent. Hamburg dürfte in diesen Szenarien aufgrund des hohen Dienstleistungsanteils und Handels eher stär- ker betroffen sein. Die gute Nachricht ist: Das schritt- weise Herauffahren der Wirtschaft wird zu einem „V“ führen, nach dem Einbruch dürfte es also relativ schnell zu einer starken Erholung kommen. Man muss jedoch bedenken, dass die Krise die USA erst nochmit großerWucht treffenwird. In jeder Krise steckt eine Chance. Kann die Pandemie auch positive Effekte für unseren Standort haben? Das ist schwer zu sagen. Viele gehen davon aus, dass die Coronakrise unsere Gesellschaft nachhaltig verän- dern wird. Ausnahmezustände bleiben Ausnahme- zustände. Sie sind kein Modell für normale Zeiten. „Schwarze Schwäne“ kommen überraschend, aber sie gehen auch wieder, meistens, ohne nachhaltig etwas verändert zu haben. Aber die Erfahrung dieser Krise, Prof. Dr. Henning Vöpel (47) ist seit September 2014 Direktor und Geschäftsführer des HWWI. Seit 2010 lehrt er an der HSBA Hamburg School of Business Administration. die elementar ist und uns vor Grundfragen stellt, kann helfen, die Dinge des Lebens besser einzuordnen, vielleicht bessere, resilientere Modelle des Wirtschaf- tens und Zusammenlebens zu entwickeln. Und mehr Wertschätzung zu entwickeln für all jene, die täglich – oft im Verborgenen – systemrelevante Arbeit verrich- ten. Eine Stadt und ein Standort wie Hamburg kann in der Krise sicherlich das Gemeinwesen in einer Zeit wachsenden Egoismus und Individualismus stärken. Mit welchen Maßnahmen kann die (Hamburger) Politik dazu beitragen, die Folgen der Krise abzufedern? Die Wirtschaft wird quasi auf ihre Minimalfunktion heruntergefahren, imWesentlichen auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gesundheit. Einkommen brechen kurzfristig weg, fixe Kosten wie Gehälter und Mieten laufen jedoch weiter, es kommt in der Folge zu Insolvenzen, und zwar massenhaft. Es geht darum, kurzfristig und flächendeckend Liquidität zuzuführen. Ich befürchte, dass die beschlossenen Kreditlinien und Bürgschaften des Bundes, so beeindruckend die Sum- men sind, am Ende die kleineren Unternehmen nicht rechtzeitig erreichen. Es braucht radikalere Lösungen, die unmittelbar wirken, wie etwa übergangsweise direkte Einkommenstransfers. So kann die Wirtschaft für die Zeit der kollektiven Unterbrechung „eingefro- ren“ werden, um die wirtschaftlichen Schäden zu be- grenzen. Hamburg kann in Ergänzung zu denMaßnah- men des Bundes genau diese schnellen und unbürokra- tischenHilfen für kleinereUnternehmen organisieren. Das HWWI ist eine privat finanzierte Forschungs- einrichtung, die wissenschaftliche Erkenntnisse in Handlungsemp- fehlungen für Wirtschaft und Politik umsetzt. Zudem erforscht das HWWI etwa Fragen der Kon- junktur und der Weltwirtschaft. Die Handels- kammer ist Gesellschafterin des Instituts. www.hwwi.org

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