Februar/März 2022

Zeigen uns die Corona-Lieferengpässe, dass die Globalisierung der Industrie ein Auslaufmodell ist? Ja, hohe Frachtraten verteuern die Produkte Lars Reeder (62), Geschäftsführer Hein & Oetting Feinwerktechnik GmbH Die aktuelle Situation zeigt, wie anfällig die Liefer­ ketten sind. Durch Covid verursachte Schließungen von Fabriken oder Häfen in Fernost machen dies deutlich. Die Abnehmer in Europa haben wenig Ein­ fluss auf die Pandemiebekämpfung in Asien, leiden aber unter deren Folgen. Ich bezweifele allerdings, ob sich dies anders verhalten hätte, wenn die Fabri­ ken in Europa gestanden hätten. Schließlich waren es Abnehmer wie die europäische Automobilindus­ trie, die in der Pandemie Bestellungen reduzierten. Aus meiner Sicht werden Produkte dort gekauft, wo sie am billigsten zu beziehen sind. Hier wirken sich aktuell die hohen Frachtraten negativ aus, da sie die Produkte verteuern. Benötigt man viel Contai­ nerraum, schlägt sich dies in der Gesamtkalkulation nieder. Dies kann ein Grund sein, Produktionen zu­ rückzuverlagern. Auch ökologische Aspekte werden zunehmend relevant für die Transportkosten. Für mein Unternehmen sind beispielsweise massiv gestiegene Aluminiumpreise eine Herausfor­ derung. Aus ökologischen Gründen wurden in China Vorprodukte stark verteuert und verknappt, was die Preise explodieren ließ. Auch dies ist weniger eine Folge der Pandemie, sondern vielmehr eine politi­ sche Entscheidung. Derartige Entwicklungen kön­ nen ein guter Grund dafür sein, Produktionen wie­ der nach Europa zu verlagern. Für Fabriken in Europa werden wiederum Fach­ kräftebenötigt, die schwer zu finden sind. Nachmeiner Einschätzung wird dies den Trend zur Automatisie­ rung begünstigen. Lohnkostendifferenzen treten dann indenHintergrund.Hier sehe ichdieChance, sichwett­ bewerbsfähiger aufzustellen und mehr Produktion lo­ kal anzusiedeln. Warum in die Ferne schweifen, wenn dies auchumdeneigenenKirchturmmöglich ist. Nein, sie ist kein Auslaufmodell Sascha Schneider (48), Executive Vice President Human Resources & Organisation Montblanc Die Globalisierung der Industrie ist kein Auslaufmo­ dell. Zugegeben, wir erkennen gerade sehr deutlich die Grenzen und Risiken, die die Globalisierung mit sich bringt. Aber sind dies wirklich Grenzen der Glo­ balisierung? Oder nicht vielmehr die Grenzen der Rationalisierung von „just in time“ greifenden Liefer­ ketten? Wurden Prozessabläufe und Lieferketten in den vergangenen Jahrzehnten dank des weltweiten Zugangs zu Märkten und dank der Digitalisierung auf Perfektion getrimmt, zeigt sich die Anfälligkeit, wennmal eines der Räder in derMaschinerie stockt. Zweifelsohne müssen wir aus den derzeitigen Schwierigkeiten lernen. Anzunehmen, dass Unter­ nehmen nun dazu übergehen, Lieferketten lokal zu organisieren, wäre der falsche Schluss. Es liegt auf der Hand, dass ein Angebot, das sich auf einen weltweiten Zugang erstreckt, deutlich mehr Möglichkeiten bietet als ein rein lokaler oder regionaler Fokus. Die derzei­ tige Lieferkrise zeigt jedemBetrieb deutlich auf, wo es in der Supply-Struktur Risiken aufgebaut hat – diese gilt es in Zukunft zu vermeiden und sich in der Zulie­ ferkette breiter und diverser aufzustellen. Effizienz und Spezialisierung stehen auf den strategischen Agenden vieler Unternehmen an vor­ derster Stelle. Die heute viel beschworene Resilienz gegen krisenbedingte Schwankungen erfordert aber ein gewisses Maß an Redundanz und Heterogenität. Hiermüssen die Unternehmen definieren, wo jeweils der richtigeMaßstab in diesemSpannungsverhältnis liegt. Die Herausforderung wird darin bestehen, die als Schlussfolgerung aus den derzeitigen Schwierig­ keiten definierten Maßnahmen auch dann nicht aus demBlick zu verlieren, wenn die Maschinerie wieder wie geschmiert läuft. Denn die nächste Krise kommt gewiss. Die an der jüngsten Handelskammer- Konjunkturbefra- gung teilnehmen- den Unternehmen nannten folgende Hauptauswirkun- gen der aktuellen Lieferengpässe auf den eigenen Betrieb: höhere Einkaufspreise (66,5 Prozent), längere Wartezei- ten (57,3 Prozent) sowie gestiegener Planungsaufwand (44,5 Prozent). Nur auf 16,3 Prozent haben die derzeitigen globalen Lieferengpässe keine Auswirkun- gen. Geplante oder bereits umgesetzte Reaktionen der Firmen: Weiterga- be von Preiserhö- hungen an die Kundschaft (benannt von 48,5 Prozent), Suche nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten (44,3 Prozent), Erhöhung der Lagerhaltung (31,2 Prozent) sowie Produktionsver- lagerungen an neue Standorte (4,8 Prozent). Mehr Informatio- nen unter www. hk24.de/ konjunktur HAMBURGER WIRTSCHAFT 16 FOTOS: HEIN & OETTING/HUBERT ECKL, PRIVAT PRO & KONTRA

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