JUNI/JULI 2021

HAMBURGER WIRTSCHAFT 22 ZUKUNFTS STRATEGIEN FOTO: STEFAN BUNGERT ckeln. Wie funktioniert Produktentwicklung, welche Rolle spielt Marktforschung auf der einen Seite und kreatives Genie auf der anderen? Dümmel: Wir haben natürlich auch langjährige Lie- feranten, die uns Produkte vorstellen. Und wir scan- nen gleichzeitig ständig den kompletten Weltmarkt. Was wir firmenintern gerne und oft machen, sind Brainstormings ohne Tagesordnung. Wir tragen spontan Ideen vor, bringen Produktemit, die uns auf- gefallen sind, oder überprüfen, was die aktuellen Google-Trends sind. Aus demGespräch heraus entwi- ckeln sich Ideen. Als zum Beispiel die Fitnessstudios aufgrund der Pandemie geschlossen waren und die Leute stattdessen draußen Sport machten, waren neue Lösungen gefragt. Fitness wird immer ein Thema bleiben. Jetzt arbeiten wir gerade an Kocherlebnissen zu Hause. Jeder kennt Raclette, jeder kennt Fondue. Gibt’s da vielleicht irgendetwas, was es gesünder, spannender oder neuer macht? Und so sitzen wir in Meetings und diskutieren. Da kommt natürlich auch ganz viel Schrott. Aber es ist so wichtig, dass man keine Angst in den Gesprächen hat. Nur wenn man für alles offen ist, findet man auch die paar High- lights. Das kann ich nur jedem empfehlen: Meetings ohne Tagesordnung, Gespräche ohne Zeitdruck. Solche Brainstormings ohne Agenda funktionieren nicht nur bei der Produktentwicklung, sondern auch bei Firmeninterna, etwa wie man die Auszubilden- den weiterentwickeln kann. Oder wie wär’s mal mit einem internen Unternehmens-Podcast? Bei 460 Mitarbeitenden ist man in einer Größenordnung, bei der nicht mehr alle wissen, was die anderen tun. Im PETER JEBSEN peter.jebsenmarwedel@hk24.de Podcast könnten Teammitglieder einander ihre Jobs vorstellen. Ichbin ein großer Fandieser Einsicht: DasWertvollste, was man in einem Unternehmen hat, sind motivierte Mitarbeitende. Das ist das größteKapital, wasmanhat. Menschen gehen für dich nur durchs Feuer, wenn sie spüren, dass du für sie ebenfalls durchs Feuer gehst. Was haben Sie von Start-ups gelernt? Dümmel: Ichmag Großkonzerne grundsätzlich, aber das sind eben auch die dicken Schiffe, die kriegt man nicht so schnell gedreht. Wennman imTretboot oder Ruderboot hier mal schnell das Paddel dreht oder da mal mehr rudert, dann fährt man schneller wieder in die richtige Richtung. Als ich bei DS Produkte anfing, habe ich wirklich noch alles gemacht; Ware einge- kauft, verkauft und hier auf demHof Container entla- den. Das macht Start-ups aus, diese Hemdsärmelig- keit. Im großen Konzern ist das anders. Da fragt man erst mal eine Viertelstunde, welche Abteilung macht das jetzt, und mit welcher Abteilung muss man sich noch abstimmen? Heyne: Genau diese Start-up-Mentalität ist so span- nend. Das ist ja auch das, was ich als „Big Picture“ mit unserer Standortstrategie erreichen wollen. Ham- burg ist eine tolle Stadt, für manche die schönste Stadt derWelt. Aber darauf dürfenwir uns angesichts all der strukturellen Herausforderungen nicht ausru- hen. Wir müssen uns verändern, wenn wir uns diese ganze Dynamik an anderen Standorten auf dieser Welt anschauen. Wir müssen uns genau diesen Hun- ger bewahren; diese Mentalität, jeden Tag die Ärmel hochzukrempeln und was Neues zu machen. Das brauchenwir imauch imHandel. In der „schönsten Stadt der Welt“ war ja früher Shopping eines der Zugpferde, um die Menschen in die Innenstadt zu locken. Braucht die Innen- stadt jetzt mehr andere Attraktionen? Heyne: Definitiv ja. Shopping allein wird als Besuchs- anlass nichtmehr ausreichen.Wirmüsseneinanderes Erlebnis kreieren; mitmassiv angereicherten kulturel- len Angeboten, mit größerer gastronomischer Vielfalt, mit Sport und Events. Wir brauchen auch gerade in ei- ner Innenstadt wie Hamburg mehr Wohnbebauung. Plakativ gesagt, ist die City nach 20 Uhr tot, weil sie de facto ein Gewerbegebiet ist. Das müssen wir ändern. Immediterranen Raum ist man als Tourist gern in den Innenstädten, weil es dort zum Beispiel auch Märkte gibt, auf denen die Einheimischen einkaufen gehen. Wir sollten versuchen, diese Faszination auch für Hamburghinzubekommen. Sollten die charmanten kleinen Läden in der Innenstadt aussterben, würde sehr viel Charme verloren gehen. RALF DÜMMEL Chefredakteur Peter Jebsen, Ralf Dümmel undMalteHeyne (v. li.) trafen sich gemäß schleswig-holsteinischenCorona-Regeln

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