„Am Ende bringen Unternehmungen die Entwicklungen voran“

Im Bereich effizienter Schiffsruder ist Becker Marine Systems Weltmarktführer. CEO Dirk Lehmann über grüne Antriebstechnik, nautischen Erfindungsgeist und den Standort Hamburg.
Dirk Lehmann ist seit 2001 geschäftsführender Gesellschafter von Becker Marine Systems.

Interview: Jan Freitag, Fotos: Mike Schaefer, 7. Oktober 2022 (HW 5/2022)

 

Herr Lehmann, fühlen Sie sich angesichts all der Krisen von Krieg über Energie bis Klima gerade eher über- oder herausgefordert?

Dirk Lehmann: Bevor es zu dieser Wahl kommt, ticke ich zunächst mal analytisch, überlege also, wer die Krisen verursacht hat, was man dagegen tun kann, und suche dann technische Ansätze zu ihrer Bewältigung. Beim Thema Energiekrise etwa erproben wir bei unseren Neubauprojekten im Süden Hamburgs entsprechend energieautarke Lösungen wie Wind und Solar.

 

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Mike Schaefer
Das von Dirk Lehmann geführte Unternehmen erzielte bereits 2021 einen Rekordumsatz. In diesem Jahr wird der Umsatz wahrscheinlich erstmals bei über 100 Millionen Euro liegen.

Ist dieser lösungsorientierte Ansatz, Problemen zu begegnen, eine Frage der Mentalität oder Ihrer Branche, der maritimen Antriebstechnik?

Ein Mix aus beidem. Einerseits ist es typabhängig, denn im Bereich Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit suche ich ständig nach Verbesserungsmöglichkeiten, die andere noch nicht im Blick haben. Es ist aber auch betriebsbedingt, wobei Becker Marine Systems ja nicht von Anfang am Klimaschutz gelegen war. Das Unternehmen kam aus der Manövriertechnik und hat sich erst durch Netzwerke, Kundengespräche, Marktentwicklungen in Richtung Energiesparen durch hocheffiziente Rudersysteme entwickelt – auch wenn es den Kunden damals nicht ums Klima, sondern um die Kosten ging. Uns schon.

 

Dem Unternehmen oder Ihnen?

Das hatte schon mit mir zu tun, ja. Aber immer in Kooperation mit unseren Partnern und Käufern, den Reedereien vor allem, auf der gemeinsamen Suche nach energieeffizienten Lösungen.

 

Dafür haben Sie buchstäblich selbst Hand angelegt und die Propellerdüse „Becker Mewis Duct“ mitentwickelt, die bislang zwölf Millionen Tonnen CO2 eingespart und Ihnen ganz persönlich den Deutschen Umweltpreis eingebracht hat.

 

Mit Friedrich Mewis, genau. Er hatte mit einer Handskizze belegt, dass man Kraftstoff sparen kann, indem der Zustrom zum Propeller und damit der Nachstrom des Schiffes optimiert wird. Das war mitten im Schiffbauboom 2007, als Größe plus Länge, nicht Effizienz oder Sparsamkeit zählten.

 

Den Begriff der Energiewende gab es damals noch nicht?

Nein. Aber die „Becker Mewis Duct“ ist auch kein Produkt, dass die Energiewende vorantreibt, sondern das Emissionen in neuen und alten Antriebssystemen reduziert, indem es den Kraftstoffbedarf verringert.

 

Energie hat in ausreichender Menge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stehen.

 

In der Transferphase weg vom fossilen Zeitalter ist das dennoch unerlässlich.

Das stimmt. Bei einer norwegischen Reederei hatte sich zuvor ein Generationswechsel vollzogen. Die Tochter wollte binnen drei Jahren 15 Prozent CO2 sparen, womit sie seinerzeit ziemlich allein in der Branche war. Als wir sie für eine Neubauserie in Japan technisch beraten haben, musste mein alter Freund Friedrich von der Schiffbau-Versuchsanstalt in Hamburg seine Pension kurz verschieben und hat die Innovation mit mir am zahlenden Kunden erprobt.

 

Das nennt man dann wohl Win-win-Synergie!

Die zumindest in meinem Netzwerk von der Schiffs- über die Wasserstoff- bis zur Lkw-Branche bereits so die Regel ist, dass viele Innovationen dort Cross-Industry entstehen lassen. Es ist aber auch ein weiteres Zeichen dafür, dass es am Ende immer wir, also Unternehmen, sind, die Entwicklungen voranbringen und dafür – was leider zu selten funktioniert – Unterstützung der Politik erhalten.

 

Welche Energieträger brauchen Sie denn selbst für Ihre Entwicklungen?

Als stahlverarbeitendes Unternehmen sind wir von Strom aus Wärmequellen wie Gas oder Öl abhängig. Allerdings nicht hier in Hamburg, sondern vor allem in Asien, wo die meisten unserer Produkte hergestellt werden. Weil es in China keine Versorgungsengpässe gibt, kriegt Becker Marine Systems von der aktuellen Krise also nicht so viel mit. Anders ist es im Luftfahrtbereich, wo Kraftstoff sehr teuer geworden ist. Aber ob in der Agrarfliegerei mit Helikoptern, beim Waldbrandschutz oder der Lkw-Produktion: Man findet überall Lösungen zur Effizienzsteigerung.

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Für die Entwicklung der Propellerdüse „Becker Mewis Duct“ erhielt Dirk Lehmann in diesem Jahr gemein­sam mit dem Diplom-Ingenieur Friedrich Mewis den Deutschen Umweltpreis.

 

Wie zum Beispiel?

Indem wir gerade perfekt gedämmte, energieautarke Fertigungshallen bauen.

 

Sind solche Unabhängigkeitsprozesse jederzeit, also krisengerecht möglich?

Ja. Zumindest im richtigen Bundesland. (grinst)

 

Ihr Gesichtsausdruck verrät, dass Hamburg nicht dazu zählt?

Ganz gewiss sogar. Hamburg ist von Behörden verclustert, mit denen ein Tempo, das wir für den Umwelt- und Klimaschutz brauchen, unmöglich ist.

 

Bezieht sich das nur auf Ihren Sektor oder den Standort insgesamt?

Letzteres. Wirtschaft, Energie, Verkehr, Hafen – weil alle Verwaltungseinheiten überdimensioniert und unkooperativ sind, ist alles hier in gehöriger Schieflage. Aus meiner Sicht hilft nur ein radikaler Wechsel. Die Verkehrs- von der Hafen- und Wirtschaftsbehörde zu trennen, war zum Beispiel ein Riesenfehler. Ich bin aber kein Politiker, sondern Unternehmer.

 

Mir ist wichtig, dass Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion gute Arbeits­plätze für faire Bezahlung haben.

 

Was können die Unternehmen denn da tun, was die Politik versäumt?

Weggehen.

 

Ihr eigenes Unternehmen ist auch ein Inbegriff unternehmerischer Initiative. Es wurde 1946 von Willi Becker gegründet.

Ein Kapitän, kein Ingenieur wohlgemerkt, der eine Flotte von Tankschiffen auf dem Rhein hatte, die immer größer wurden und Manövrierprobleme bekamen. Um buchstäblich die Kurve zu kriegen, hat er ein entsprechendes Ruder erfunden, das bald auch international so erfolgreich war, dass er sich darauf spezialisieren konnte und seine Firma nach Hamburg verlegt hat. Diesen Erfindergeist leben wir hier weiter und haben Willi Beckers Ideen für große Containerschiffe ab 2001 strömungsoptimiert. Der Schifffahrtsboom hat uns nach kurzer Flaute 2014 ein Rekordjahr eingebracht, das wir dieses Jahr wohl toppen.

 

Sie zählen also nicht zu den zwei Dritteln der produzierenden Unternehmen Hamburgs, die sich durch Lieferengpässe und Energiemangel in ihrer Existenz bedroht sehen?

Nein. Und das liegt vor allem daran, dass der asiatische Anteil unserer Auftragseingänge bei mehr als 90 Prozent liegt, vor allem China, Südkorea, Japan – alles Länder, auf die der Krieg wenig Auswirkungen hat.

 

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Dirk Lehmann (li.) im Gespräch mit HW-Autor Jan Freitag

Aus Japan stammt auch ihr neuer Mehrheitseigener Nakashima Propeller. Hat diese Kooperation Ihre Zahlen positiv beeinflusst?

Noch nicht. Durch Corona-bedingte Reisebeschränkungen war die Kooperation bisher geringer als geplant. Wobei die Synergien jetzt schon groß sind. Mit dem „Mewis Duct“ sind wir vor und mit unserem Ruder hinter Propellern tätig, für die Nakashima neben MMG in Waren/Müritz Weltmarktführer ist. Mit beiden arbeiten wir ohnehin eng zusammen, aber die Synergien mit Nakashima machen sich erst in zwei Jahren bemerkbar.

 

Das hat aber finanziell vermutlich schon vorher die Spielräume erhöht.

Ja, der Anteilsverkauf hat uns nach drei schwierigen Jahren bei der Neustrukturierung geholfen, weshalb wir bei einer japanischen Bank sind, die viel unternehmerfreundlicher finanziert als deutsche Geldinstitute. Unser aktueller Erfolg aber basiert auf der enorm hohen Auftragslage bei Schiffen, die im Zuge der Energie- und Klimakrise effizienter betrieben werden.

 

Sind globale Kooperationen für mittelständische Unternehmen ein guter Weg, um international konkurrenzfähig zu sein?

Aus meiner Sicht nur, wenn man sich so gut kennt wie wir und Nakashima. Wir sind zwei Familienunternehmen, die schon seit 1978 zusammenarbeiten. Zur Erhöhung der Kapitaldecke Anteile an irgendeinen Konzern in Asien zu verkaufen, kann ich weniger empfehlen. Es muss thematisch, strukturell, persönlich passen. Und eine Portion Glück gehört natürlich auch dazu.

 

Dirk Lehmann (58), seit 2001 geschäftsführender Gesellschafter von Becker Marine Systems, machte das Unternehmen zum Vorreiter in Nachhaltigkeitsfragen, investierte aber auch in andere Geschäftsfelder, vor allem Elektromobilität. Für die Entwicklung der Propellerdüse „Becker Mewis Duct“ erhielt er 2022 gemein­sam mit dem Diplom-Ingenieur Friedrich Mewis den Deutschen Umweltpreis.

Im Bereich nachhaltigen Landstroms für Kreuzfahrtschiffe kooperieren Sie mit dem Brunsbütteler Logistikdienstleister Schramm. Nehmen bei Ihnen solche projektbezogenen Kooperationen zu?

Ja, wobei wir das schon immer gemacht haben. Weil der Leichtbau Kohlefasern benötigt, die uns fehlen, sind wir etwa an xperion aus Kassel herangetreten, die zwar nicht aus dem Schiffbau kamen, aber mit uns zusammen etwas Spannendes entwickelt haben. Gleiches gilt im Bereich der Sensorik, aber auch der Unis und Institute.

 

Auch im aktuellen Zukunftsbereich Flüssiggas?

Nein, aber wären wir daran beteiligt, würde ich alles ganz anders machen. Flüssiggas wird in dieselbetriebenen FSRU-Tankern nach Deutschland geliefert, die monatelang anliegen und den strengen Umweltstandards des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genügen müssten, es aber nicht tun, und damit alles andere als grün sind. Für nachhaltige LNG-Terminals, die jetzt im Hauruckverfahren installiert werden, kämpfe ich seit 15 Jahren, und kenne mich auch gut mit Hafenstrom aus. Aber während ältere Dieselfahrzeuge in Teilen Hamburgs verboten sind, verpesten uns solche Schiffe den Hafen. Das ist umwelt-, aber auch wirtschaftspolitischer Irrsinn.

 

Sie haben eine sehr analytische Sicht auf Ökonomie. Sehen Sie sich eigentlich nur als CEO eines mittelständischen Industrieunternehmens oder auch als Volks- und Betriebswirtschaftler?

Also volks- und betriebswirtschaftlich bin ein bisschen unterbelichtet, schaue also nicht immer auf den letzten Cent. Dafür habe ich zum Glück Fachleute wie im Betrieb unseren Geschäftsführer Henning Kuhlmann und meine Frau, die das Geld beisammen hält. Mir liegt das Praktische näher, also Mobilität zu ermöglichen und dabei Emissionen zu sparen.

 

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Becker Marine Systems ist bekannt für energiesparende Schiffsantriebe.

An welcher ökonomischen Schule sollte sich der staatliche Wirtschaftseinfluss orientieren: an Keynes’ interventionistischem Staat, Hayeks Nachtwächterstaat oder Mariana Mazzucatos unternehmerischen Staat, dem ja auch Robert Habeck anhängt?

Da ich sehr viel von sozialer Marktwirtschaft halte, tendiere ich zu Ersterem. Mir ist wichtig, dass Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion gute Arbeitsplätze für faire Bezahlung haben. Und der Staat sollte intervenieren, wo es nötig ist, um das zu gewährleisten. Wobei gerade Hamburg da viel zu tun hat, etwa im Bereich Bildungspolitik. Ich war kürzlich in meiner früheren Schule in Wilhelmsburg; das sieht alles noch genauso aus wie damals, selbst die Toiletten. Grottig!

 

Und wie sollte der Staat angesichts aktueller Versorgungsengpässe aus Ihrer Sicht energiepolitisch agieren – mit einem Gaspreisdeckel?

Energie hat wie die Infrastruktur oder die Kommunikationsmittel in ausreichender Menge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stehen. Der Staat allerdings hat alle Bereiche der Erzeugung verkauft, als Energie noch unendlich schien, und wundert sich jetzt über Engpässe. Da glaube ich nicht, dass ein Preisdeckel besser wirkt als der Markt. Wichtiger wäre es, diesen Preis an den Verbrauch zu koppeln und jene Unternehmen, die ihn gezielt senken, etwa mit Steuernachlässen zu honorieren.

Energie hat wie die Infrastruktur oder die Kommunikations­mittel in ausreichender Menge zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stehen.

 

 

Auch da sollte Nachhaltigkeit also ein Kriterium sein, das den Marktpreis beeinflusst?

Absolut. Und das sage ich nicht nur, aber auch, weil wir unsere Firmenzentrale 2014 für viel Geld nach dem damals neuesten Stand der Nachhaltigkeit mit moderner Wärmedämmung oder eigenem Blockkraftwerk errichtet haben.

 

Die darin residierende Firma ist das, was man einen Hidden Champion nennt.

In der Nautik ist Becker weltweit ein Begriff wie Aspirin in der Medizin.

 

Würden Sie sich, was bei der Verteilung von Ressourcen im Winter womöglich noch hilfreich sein könnte, als systemrelevant bezeichnen?

Ja. Ohne unsere Technologie tragen große Schiffe weiterhin mehr zum Klimawandel bei als nötig und möglich.

 

So gesehen profitieren Sie fast vom Klimawandel. Welche der anderen Dauerkrisen von Finanz, Euro, Terror bis Corona, Krieg, Energie hat Becker Marine Systems seit Ihrem Amtsantritt 2001 am härtesten getroffen?

Unternehmerisch? Keine von denen mehr als die andere. Unsere Unternehmenskrise vor drei Jahren lag an der Auftragslage, die ein Überangebot an Containerschiffen verursacht hatte.

 

Das Schiffstechnik-Unternehmen Becker Marine Systems wurde 1946 von Rheinkapitän Willi Becker in Hamburg gegründet, der ein Spezialruder für seine Frachter erfunden hatte. Dank energieeffizienter Hochleistungsruder und automatisierter Material-Handling-Systeme entwickelt es sich nach und nach zum Hidden Champion: „In der Nautik ist Becker weltweit ein Begriff wie Aspirin in der Medizin“, sagt Lehmann. Die 250 Mitarbeitenden erzielten 2021 einen Rekordumsatz, 2022 liegt er wohl erstmals über 100 Millionen Euro.

Und privat?

Corona, ganz klar. Wegen der gesellschaftlichen Spaltung, die sie mit sich gebracht hat. Und der Klimawandel betrifft natürlich auch uns alle sehr persönlich.

 

Wie gehen Sie privat damit um – ist Ihr kompletter Haushalt grün?

Noch nicht ganz. Wir leben auf einem Resthof von 1909, den man nicht von heute auf morgen nachhaltig umbauen kann. Aber wir haben bereits Solarthermie und werden weiter Photovoltaik ausbauen. Das gilt auf für sämtliche Unternehmensteile, wo jeder Neubau mit Wind oder Sonne versorgt wird, um energieautark zu werden und Strom in Wasserstoff zu verwandeln – ein Feld, mit dem ich mich gerade mehr und mehr beschäftige.

 

Zulasten von Becker Marine Systems?

Da ziehe ich mich operativ in der Tat gerade ein wenig raus.

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