Politischer Dreikampf im Börsensaal (Video und Bildergalerie)

Knapp sechs Wochen vor der Bürgerschaftswahl diskutierten die Spitzenkräfte von SPD, Grünen und CDU vor rund 1000 Gästen in der Handelskammer.
Kati Jurischka
Dennis Thering (CDU), Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Peter Tschentscher (SPD, v. li. n. re.)

Von Jan Freitag, 23. Januar 2025

Stammwähler, die aus Prinzip einer Partei treu bleiben, machten noch vor 50 Jahren rund 60 Prozent aller Votierenden aus. Inzwischen wechseln zwei von drei Wählenden regelmäßig zwischen den Parteien: Der politische Wettstreit wird wichtiger, und seit Volksparteien schrumpfen, ist auch der einst übliche Zweikampf um Spitzenämter zum Triell angeschwollen. Aus Anlass des 360. Geburtstags der Kammer luden die Handelskammer und das „Hamburger Abendblatt“ am 22. Januar, fünfeinhalb Wochen vor der Bürgerschaftswahl, zu solch einem Dreikampf ein – oder genauer: zu drei Duellen und einem Triell.

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Kati Jurischka
„Das Triell – Hamburg vor der Bürgerschaftswahl“ fand im Börsensaal der Handelskammer Hamburg statt.

Rund 1000 Gäste aus der Hamburger Unternehmerschaft sowie Leserinnen und Leser des „Abendblatts“ waren am Mittwochabend anwesend, als Prof. Norbert Aust die Spitzenkräfte von SPD, CDU und Grünen im prächtigen Börsensaal begrüßte. „Die Wirtschaftspolitik gehört zurück an die Spitze der politischen Agenda“, erklärte der Kammerpräses – und benannte einige Problemfelder, die für die Zukunftsfähigkeit der Stadt dringend bearbeitet werden müssen: bezahlbarer Wohnraum, eine nachhaltige Infrastruktur, verlässliche Rahmenbedingungen und eine Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

 „Abendblatt“-Chefredakteur Lars Haider, der die Veranstaltung gemeinsam mit der Ressortleiterin Landespolitik Insa Gall moderierte, wollte zum Auftakt des ersten Duells von Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher (mit Krawatte) und Oppositionsführer Dennis Thering (ohne) dann als Erstes wissen, was die Politiker mit einer hypothetischen absoluten Mehrheit anfangen würden. Der Amtsinhaber überraschte, indem er die Stärkung der Gesundheitspolitik und Pflege ins Zentrum rückte. Sein Herausforderer nannte als oberstes Ziel, „die Wirtschaft fit zu machen für die Zukunft“ – und bemängelte im weiteren Verlauf des Abends insbesondere die mangelnde Sicherheit am Hauptbahnhof.

Im Duell mit der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank nahm Thering auch die Verkehrsplanung ins Visier: „Jede Baustelle ist grundsätzlich etwas Gutes. Wir kritisieren nicht die Baustelle, sondern das chaotische Baustellenmanagement“, erklärte der CDU-Spitzenkandidat – und beklagte die zahlreichen weggefallenen Parkplätze. Fegebank verwies im Gegenzug darauf, dass der Senat in den letzten Jahren „70 Prozent mehr in die Sanierung von Straßen“ gesteckt habe. „Am Ende der Legislaturperiode werden wir bei 1000 Kilometern sanierten Straßen sein.“ Deutliche Kritik äußerte Thering auch am Anwohnerparken, das er für „im Grunde gescheitert“ erklärte.

Positionspapier

Im Vorfeld des Triells zur Bürgerschaftswahl am 2. März hat sich auch die Handelskammer positioniert und in ihren Forderungen an die Hamburgische Bürgerschaft und den Senat für die nächste Legislaturperiode einen „Paradigmenwechsel in Politik und Verwaltung“ gefordert. Denn: „Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene werden Unternehmen durch übermäßige Regulierung, Bürokratie und Verbote ausgebremst und verlieren weiter an Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.“

Weitgehend einig waren sich die Spitzenkandidaten bezüglich der Notwendigkeit der A26-Ost: Jeder, der mit der SPD regieren wolle, müsse wissen, dass sie gebaut werde, erklärte Tschentscher im Duell mit Fegebank. „Das Ding steht im Koalitionsvertrag, und der Bund muss es finanzieren“, sagte diese – und warnte: „Wenn uns die Norderelbbrücke, also die A1, koppheister geht, dann haben wir ein viel größeres Problem.“ Die Grünen würden den Fokus in den kommenden Jahren auf die Sanierung von Brücken legen.

Zwischen Grün und Rot gab es inhaltlich auch sonst kaum Gegensätze – und beide Kandidierenden betonten ihre vertrauensvolle Zusammenarbeit über die letzten Jahre.

Welche Parteien bilden die kommende Regierung? „6:31 zu 6:29“ erklärte Lars Haider die Redeanteile im ersten Duell – und scherzte: „Das spricht für große Koalition“. Alle Zeiten wurden genau gemessen, und wenn das Zeitkontingent einer Partei ablief, begann die Saalbeleuchtung zu blinken. Tatsächlich scheint es jedoch wieder auf die bisherige Koalition hinauszulaufen. Während Dennis Thering keine Koalitionsaussagen treffen mag, will Tschentscher auch weiter mit Fegebank regieren – und sie mit ihm, allerdings „gern in anderer Reihenfolge“.

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Moderator Lars Haider, Dennis Thering, Handelskammer-Präses Prof. Norbert Aust, Katharina Fegebank, Peter Tschentscher, Moderatorin Insa Gall (v. li. n. re.)

Auf die drei Duelle folgte das Triell, in dem unter anderem die Frage der bürokratischen Lasten diskutiert wurde. Als Beispiel für überbordende Bürokratie nannte Thering die langen Genehmigungsfristen im Gastrogewerbe – und fragte, weshalb Genehmigungen für die Außengastronomie nicht einfach auf Widerruf statt jährlich erteilt würden. Fegebank und Tschentscher hoben ihrerseits die Investitionen in die Digitalisierung hervor: „Wir haben 290 Online-Verfahren mittlerweile in Hamburg, damit sind wir führend in Deutschland“, erklärte der Erste Bürgermeister, der auch die „Aufhebung der Schriftformerfordernis für zahlreiche Verfahren“ betonte.

Thema war auch die Bearbeitung von Anträgen auf Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse für ausländische Fachkräfte. „Im Hamburg Welcome Center liegen 8000 Mails, die nicht beantwortet sind“, beschrieb Moderatorin Insa Gall die Situation. „Der Stapel wird abgearbeitet, er reduziert sich. Wir wollen, dass Fachkräfte sehr schnell in Hamburg arbeiten dürfen“, erklärte Tschentscher. Die Lage zeige „dass wir grundsätzlich ein Problem in der Verwaltung haben“, sagte Thering – und verwies auf das positive Beispiel von Estland. „Es muss möglich sein, in Hamburg künftig ein Unternehmen in wenigen Tagen zu gründen.“

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Dalia Das, Gründerin von neuefische, stellte per Videoeinspielung eine Frage zu Bildungskonzepten.

In der letzten halben Stunde stellten drei Mitgliedsunternehmen der Kammer Fragen per Videobotschaft. Getränkehersteller Mirko Wiegert (fritz-kola) sorgte sich um die Clubkultur, Digitalcoach Dalia Das (neuefische) fragte nach Bildungskonzepten, und Einzelhändler Cord Wöhlke (Budni) fordert eine Zukunftsstiftung. Damit trafen die Wirtschaftsdelegierten auf offene Ohren der Politprominenz. Und die Anwesenden waren sich einig, dass Digitalisierung und Entbürokratisierung unerlässlich seien, um Wettbewerbsfähigkeit im Einklang mit Mobilitäts- und Energiewende zu stärken.

Schließlich sei Wirtschaft nicht alles, wie Handelskammer-Präses Aust eingangs sagte, „aber ohne Wirtschaft ist alles nichts“. Auch bei einem Triell von erstaunlicher Höflichkeit. Selbst die Publikumsbefragung erbrachte drei Debattensieger – Fegebank, Thering und Tschentscher erhielten jeweils rund ein Drittel der Stimmen.

Video des Triells

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Fotos (Bildergalerie)

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Begrüßung durch Norbert Aust
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Lars Haider und Insa Gall moderieren Runde 1 an.
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Peter Tschentscher
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Dennis Thering und Insa Gall
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Katharina Fegebank und Peter Tschentscher
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Auf drei Duelle folgte das Triell: Lars Haider, Dennis Thering, Katharina Fegebank, Peter Tschentscher und Insa Gall (v. li. n. re.)
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Lars Haider, Dennis Thering, Katharina Fegebank, Peter Tschentscher und Insa Gall (v. li. n. re.)
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Dennis Thering, Katharina Fegebank und Peter Tschentscher (v. li.)

Vom Duell zum Triell

Seit Gerhard Schröder 2002 öffentlich mit Herausforderer Edmund Stoiber diskutierte, gehört das politische Duell vor Publikum wie in den USA auch zum deutschen Wahlkampf. Sechs Jahre später erreicht das Format Hamburg, als Ole von Beust (CDU) mit Michael Naumann (SPD) live ums Bürgermeisteramt kämpfte. Seit der Bundestagswahl 2021 wachsen die Duelle zu Triellen an. In Hamburg findet das nächste am 4. Februar um 19.30 Uhr auf Einladung der ZEIT Hamburg in der Bucerius Law School statt.

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