Ende des Optimismus?

Krieg, Energie, Lieferketten, Inflation: Vieles deutet derzeit in Richtung Rezession. Welche Hamburger Branchen machen sich die größten Sorgen?
FlorentJALON/fritz-kulturgüter GmbH
Hohe Energie- und Rohstoffpreise sind derzeit die größte Sorge der Hamburger Wirtschaft. Auch die Getränkeindustrie ist stark davon betroffen.

Von Eric Leimann, 10. Juni 2022 (HW 3/2022)

Optimismus gehört zu den Kerntugenden erfolgreichen Wirtschaftens. Wer missmutig denkt, wird weder sich selbst noch andere positiv mitreißen, wenn es darum geht, an ein Projekt zu glauben. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die Stimmung der Hamburger Wirtschaft Ende 2021 trotz immer noch hoher Corona-Zahlen grundsätzlich gut war. 2022 sollte ein Jahr der Erholung werden.

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Mike Schaefer
Mirco Wolf Wiegert ist Geschäftsführer der Limonaden-Kultmarke „fritz-kola“.

Drei Monate später kam alles anders. Die Auswertung der Konjunkturbefragung der Handelskammer zum Ende des ersten Quartals 2022 zeichnet nach Beginn des Ukraine-Krieges, aufkeimender Inflation und anhaltendem Corona-Infektionsgeschehen ein Bild, das klar pessimistischer ausfällt: 19,2 Punkte hat der Geschäftsklimaindikator der Hamburger Wirtschaft gegenüber der vorherigen Befragung (114,8 Punkte) vor drei Monaten eingebüßt. Mit 95,6 Punkten (Skala von 0 bis 200) liegt er nun sogar beachtlich unter dem langfristigen Mittelwert von 108,2 Punkten, der seit 1997 erhoben wird.

Doch wo sehen Hamburgs Unternehmen ihre größten Geschäftsrisiken? Seit 2010 fragt das Barometer viermal im Jahr nach „Geschäftsrisiken in den kommenden zwölf Monaten“. Mehrfachnennungen sind möglich. Zum Ende des ersten Quartals 2022 waren erstmals Energie- und Rohstoffpreise die Top-Nennung im Ranking. Sieben von zehn Unternehmen (69,7 Prozent) gaben diese Sorge an. „Das Energiethema ist sehr komplex“, sagt Philip Koch, der in der Handelskammer den Stabsbereich „Strategie und Internationale Beziehungen“ leitet und deshalb mit vielen Facetten der Russland-Ukraine-Krise im Bezug zur Hamburger Wirtschaft zu tun hat. „Es geht nicht nur um Energieversorgung, sondern zum Teil ist Gas auch wichtig für die Produktion – und das bekommt man dort nicht so schnell ersetzt.“

Ein Beispiel ist die Hamburger Limonaden-Kultmarke „fritz-kola“, bei der gegenwärtig 270 Mitarbeitende beschäftigt sind. Auf die Frage, ob Getränkeherstellung ein energieintensives Geschäft sei, antwortet Gründer und Geschäftsführer Mirco Wolf Wiegert deutlich: „Unser Geschäft braucht Energie für die Produktion von Mehrwegflaschen und für Waschmaschinen, mit denen man die Flaschen reinigt, auch fürs Befüllen der Flaschen und zum Teil das Haltbarmachen stark safthaltiger Getränke durch Pasteurisation. Ich würde sogar sagen, das Ausmaß und die Länge von Energiestopps würde über das Fortbestehen weiter Teile der Getränkeindustrie entscheiden.“

Gerade was die Verwendung umweltschonender Mehrwegflaschen betrifft, sind wir in Deutschland weltweit die Benchmark.

Mirco Wolf Wiegert

Laut Wiegert wären Tausende Arbeitsplätze in Deutschland betroffen, inklusive der gesamten Getränke-Mehrwegindustrie. „Gerade was die Verwendung umweltschonender Mehrwegflaschen betrifft, sind wir in Deutschland weltweit die Benchmark“, sagt er. „Diesen Industriezweig gibt es nirgendwo auf der Welt in dieser Konsequenz und mit dieser Expertise.“ Dass ausreichend vorhandene und für Unternehmen erschwingliche Energie der Schlüssel für erfolgreiches Wirtschaften ist, wird vielen offenbar erst jetzt klar.

Zwar spricht man im Sinne der Nachhaltigkeit gern vom Energiesparen, faktisch wächst der Energiebedarf in Deutschland aber stetig. Laut einer Prognose der Bundesregierung erhöht sich der Verbrauch bis ins Jahr 2030 von 576 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2019 um rund 20 Prozent auf 685 TWh. Unter anderem deshalb, weil immer mehr E-Autos, elektrische Wasserpumpen, Wasserstoffelektrolyse und Digitalisierung Energie im großen Stil verschlingen.

Neben Energie sind aber auch Lieferketten und gedämpfte Exportaussichten Sorgenfelder der Hamburger Wirtschaft. Wenn in China, der „globalen Werkbank“, aufgrund von Corona-Lockdowns Häfen dicht sind und wegen des Krieges in Osteuropa Waren nicht geliefert werden können oder große Umwege nehmen müssen, sind solche globalen Dämpfer lokal nur schwer zu kompensieren.

Konjunkturbarometer

Das Hamburger Konjunkturbarometer gibt es seit 1971. Es beruht auf anonym übermittelten Daten, die direkt von den Unternehmen kommen. Eine digitale Ausstellung widmet sich einem Blick zurück auf Booms und Krisen, Aufschwung und Rezession – und auf die Stellschrauben der Politik im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Inflation.

Wenn die aktuelle Krise eines verdeutlicht, dann die Tatsache, dass beim Wirtschaften fast alles miteinander zusammenhängt. Über die Hamburger Branchen betrachtet, zeigen sich die größten negativen Quartalsbewegungen auf folgenden Gebieten: Schlechter als in der Hamburger Wirtschaft insgesamt (19,2 Punkte weniger als im Vorquartal) ist das Geschäftsklima gegenwärtig im Einzelhandel mit einem Minus von 23,5 Punkten (aktuell: 83,7 Punkte; Vorquartal: 107,2 Punkte). Auch nicht besonders rosig bewertet mit minus 17,8 Punkten der Groß- und Außenhandel (aktuell: 76,6 Punkte; Vorquartal: 94,4 Punkte) die eigene Zukunft. Grund dürften neben gesprengten Lieferketten auch die hohe Inflation sein: Wenn für Verbraucher alles teurer wird, müssen viele von ihnen sparen.

Auch die seit Jahren boomende Baubranche und das Verarbeitende Gewerbe klagen derzeit vernehmbar. Im Baugewerbe fiel der Index um 48,2 Punkte (aktuell: 82,8 Punkte; Vorquartal: 131 Punkte), im Verarbeitenden Gewerbe waren es 36,5 Punkte (aktuell: 81 Punkte; Vorquartal: 117,5 Punkte). Die Gründe dürften ebenfalls im energieintensiven Geschäft liegen, zudem sind Bau- und Werkstoffe deutlich teurer geworden.

Doch es gibt auch positive Signale: Die Personal- und Investitionsplanungen der von der Handelskammer befragten Unternehmen sind trotz benannter Sorgen expansiv ausgerichtet. 21,4 Prozent der Betriebe streben aktuell eine höhere, nur 11,6 Prozent eine geringere Beschäftigtenzahl in den kommenden zwölf Monaten an. Immerhin zwei Drittel sehen einen in etwa gleichbleibenden Personalbedarf.

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