Menschen und Unternehmen zusammenbringen, die in ihrem Arbeitsalltag sonst nur selten miteinander ins Gespräch kommen, und mit Klischees aufräumen: Das ermöglichen die „Experience Journeys“, die unter diesem Titel jetzt erstmals in Hamburg ausgerichtet wurden. Zwischen April und Mai standen insgesamt sechs Besuche in Betrieben auf dem Programm, die bereits inklusive Arbeitsplätze anbieten. Zu den Rundgängen eingeladen waren Hamburger Unternehmen, die Interesse daran haben, zukünftig Mitarbeitende mit Behinderung zu beschäftigen.
Eines der ersten Treffen führte nach Billbrook an den Pinkertweg in die Traditionsrösterei J.J. Darboven GmbH & Co. KG. Hier sind aktuell 27 Mitarbeitende der Außenarbeitsgruppe täglich im Einsatz – vermittelt von den Elbe-Werkstätten, die die Betriebe sowie die Mitarbeitenden mit Fachleuten bei der Anleitung und Ausführung der Arbeit vor Ort unterstützen. Daneben beschäftigt Darboven drei Festangestellte mit Handicap im Bereich Logistik/Retoure über das Budget für Arbeit – und das aus voller Überzeugung: „Inklusion ist für uns ein wichtiger Wert, den wir als Unternehmen aktiv leben“, so Unternehmenssprecherin Ute Lund.
Mit den Elbe-Werkstätten arbeitet Darboven bereits seit 2009 eng zusammen. „Wir freuen uns umso mehr, dass wir im Rahmen der „Experience Journey“ der Sozialbehörde auch anderen Unternehmen zeigen können, dass Inklusion im Arbeitsleben nicht nur möglich ist, sondern auch zu einer erfolgreichen Arbeitsumgebung beiträgt“, erklärt Lund.
Inklusion ist Mehrwert
Ob Rollstuhl, Sehbehinderung oder andere gesundheitliche Einschränkungen – knapp 40 Prozent der Hamburger Unternehmen beschäftigen laut Bundesagentur für Arbeit bereits Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Berufsalltag stoßen sie aber immer noch auf Barrieren oder sind in vielen Branchen unterrepräsentiert.
Deshalb hat die Sozialbehörde zusammen mit der Behörde für Wirtschaft und Innovation, der „Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen“ (LAG WfbM) und der Handelskammer die Kampagne „Inklusion? Ist in Arbeit.“ zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen auf dem ersten Arbeitsmarkt ins Leben gerufen. Mit verschiedenen Motiven auf Plakaten im gesamten Stadtgebiet und in sozialen Medien informiert das Netzwerk Unternehmen über die verschiedenen Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten auf ihrem Weg zu einem inklusiven Betrieb.
Fachkräftesicherung und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung sind jedoch nur zwei triftige Gründe, sich als Betrieb näher mit dem Thema zu beschäftigen. „Wir sind davon überzeugt, dass Unternehmen von einer vielfältigen, inklusiven Belegschaft profitieren. Inklusion steht für ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld“, erklärt Handelskammer-Mitarbeiterin Christine Hohmann, Geschäftsbereich „Fachkräfte und Lebenswerte Metropole“. „Das ist ein Gewinn für alle.“
Betriebe, die sich für Inklusion am Arbeitsmarkt engagieren, bekennen sich zu Fairness und Wertschätzung von Menschen im Unternehmen. Weitere Informationen zu inklusiven Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten hier.
Dabei können inklusive Unternehmen und Menschen mit Behinderung auch auf Unterstützungsangebote zählen. So fördert Hamburg ihre gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt mit dem „Budget für Arbeit“. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, die Mitarbeitende mit Beeinträchtigungen und einer wirtschaftlich tragfähigen Perspektive auf dem regulären Arbeitsmarkt beschäftigen, können damit auf Antrag einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent erhalten.
Auch die Handelskammer berät gern zum Thema „Inklusion am Arbeitsmarkt“ und nennt Betroffenen wichtige Anlaufkontakte – schließlich stellen sich ihnen schon vor der Bewerbung zahlreiche Fragen, und die Verfahren gelten als „kompliziert“: Welche Anlaufstellen gibt es, werden spezielle Schulungen benötigt oder Lohnkostenzuschüsse gewährt?
Wie Inklusion gelingt
Dass Begegnungen und persönlicher Erfahrungsaustausch ein erster Schritt sind, um Berührungsängste abzubauen, hat auch Claudia Krüger beobachtet, Director Talents & Culture des Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg. Gut zwölf Unternehmen jeder Branche und Größe besuchten das Grandhotel zur „Experience Journey“, stellten Fragen – und staunten über die Normalität im täglichen Miteinander zwischen allen Teammitgliedern im Haus an der Alster. „Wir gehen die Zusammenarbeit immer einfach an, mit Leichtigkeit und Normalität“, beschreibt die Personalchefin.
Aktuell beschäftigt das Vier Jahreszeiten Inklusiv-Arbeitskräfte in den Bereichen Einkauf, Technik und Floristik sowie eine Auszubildende in der Küche. Was diese aber eventuell doch von anderen Mitarbeitenden unterscheidet, ist ein stärkerer Fokus auf feste Routinen im Arbeitsalltag, erzählt Krüger.
Inklusion ist für uns ein wichtiger Wert, den wir als Unternehmen aktiv leben.
Ute Lund
Mitunter erhält der Begriff „Mitarbeiterentwicklung“ hier sogar eine weitere Bedeutung: So habe etwa eine Kollegin mit einer doppelten Schwerbehinderung vor mehr als zehn Jahren als Praktikantin begonnen – anfangs noch mit zwei Betreuern der Hamburger Arbeitsassistenz (HAA) an ihrer Seite. Die Hospitanz mündete nicht nur in einer Festanstellung im Weinkeller, die junge Fachkraft ist mittlerweile sogar aus dem Elternhaus in eine Wohngemeinschaft gewechselt.
Zwar gebe es, wie überall, auch Höhen und Tiefen im beruflichen Alltag. Aber letztlich gingen alle Teams im Beruf auch immer einen Lebensweg gemeinsam. „Es geht um gelebte Werte, um das Normale, um Menschlichkeit. Und nebenbei lernen auch schon unsere jungen Auszubildenden, mit Schwerbehinderung umzugehen“, ergänzt Krüger. Der Höhepunkt der „Experience Journeys“ war eine große Abschlussveranstaltung am diesjährigen „Diversity Day“ am 28. Mai in der Handelskammer: Inklusion sollte uns allen wichtig sein.