Als Herkules, der Held der griechischen Antike, am Scheideweg stand, wählte er den steinigen Pfad – und wurde dafür mit einem Platz im Olymp belohnt. Mit dieser antiken Metapher eröffnete Handelskammer-Präses Prof. Norbert Aust seine eindringliche Rede vor 1200 Gästen bei der traditionellen Jahresschlussveranstaltung der Versammlung Ehrbarer Kaufleute zu Hamburg e. V. (VEEK) in der Handelskammer Hamburg. Die Botschaft war klar: Auch Hamburg stehe vor wegweisenden Entscheidungen.
In der Sage hatte Herkules zwölf Aufgaben zu bewältigen; für Hamburg präsentierte Aust sieben, die es zu bewältigen gelte: die Garantie von Frieden und Sicherheit, die Verbesserung der Infrastruktur und des Hafens, der Abbau von Bürokratie, die Bekämpfung des Fachkräftemangels, die Stärkung der norddeutschen Zusammenarbeit, das Erreichen von Klimaneutralität bei gleichzeitiger Wettbewerbsfähigkeit sowie die Förderung von Zukunftsfeldern und Innovationen.
„Die deutsche Wirtschaft stagniert seit fünf Jahren“, mahnte Aust. „Unser Hamburger WeltWirtschaftsInstitut und andere führende Konjunkturforscher erwarten auch im kommenden Jahr keine Besserung. In der EU werden wir in der Wachstumsrangliste durchgereicht. Wir sind im Tabellenkeller angekommen.“
Besonders alarmierend sei das fortschreitende Schrumpfen der industriellen Sektoren: Seit 2018 sinke die Produktion. Die Deindustrialisierung betreffe nicht nur um die großen, energieintensiven Unternehmen, „sondern vor allem die mittelständischen Betriebe, das sind die vielen Familienunternehmen. Das Herz unserer Volkswirtschaft.“ Aust brachte es auf den Punkt: „Wer in dieser Situation lapidar das Sprichwort ,Die Klage ist des Kaufmanns Gruß‘ bemüht, verkennt die Dramatik der Situation, der hat den Schuss nicht gehört.“ Angesichts globaler Veränderungen und hausgemachter struktureller Probleme sei es höchste Zeit, den Reformstau zu überwinden.
Innovationen fördern
Ein zentraler Appell richtete sich an die Politik: Innovationen müssten stärker gefördert werden, um den Standort zukunftsfähig zu machen. Aust wiederholte die Bitte an den Senat, eine extra Innovationsmilliarde bereitzustellen und erneuerte die Forderung nach der Gründung einer „Hamburger Zukunftsstiftung“, die unabhängig von politischen Zyklen und haushaltsrechtlichen Zwängen Innovationen unterstützen solle. Finanziert werden solle sie aus den privatwirtschaftlichen Erträgen und Dividenden der Stadt.
Für seine Begründung („Wenn der Staat sich schon privatwirtschaftlich engagiert, dann müssen die Erträge zumindest in die Zukunft des Wirtschaftsstandorts reinvestiert werden.“) erhielt er großen Applaus – ebenso wie für seine Bemerkung in Richtung von Dr. Peter Tschentscher: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sagen Sie bitte nicht, Sie hätten kein Geld für so etwas. Dem halte ich entgegen: Der Senat schafft es seit Jahren nicht, vorhandenes Geld für Investitionen auszugeben“, kritisierte Aust und verwies auf die investiven Reste von 2,1 Milliarden Euro, die Ende 2022 in das Jahr 2023 übertragen worden seien.
Im Interesse der Innovationsfähigkeit rief Aust die Hamburger Wissenschafts- und Wirtschaftsgemeinschaft dazu auf, enger zusammenzuarbeiten: „Das sogenannte ,death valley’ zwischen Grundlagenforschung und Anwendung muss endlich überwunden werden.“
Besonders betonte Aust die Notwendigkeit, die Ressorts im Senat nach der kommenden Bürgerschaftswahl neu zu ordnen. „Genauso wie das Energiethema ins Wirtschaftsressort gehört, sollte die Innovationspolitik in die Zuständigkeit der Wissenschaftsbehörde übergehen“, forderte der Präses. Nur so könnten Synergien geschaffen und die drängenden Aufgaben bei Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit bewältigt werden.
Renaissance der sozialen Marktwirtschaft
Aust untermauerte seine Forderungen mit Zahlen aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage, die im Auftrag der Handelskammer durchgeführt wurde. Danach hat eine Mehrheit von 55 Prozent nicht den Eindruck, dass das Thema Wirtschaft für die Politik in Hamburg den Stellenwert hat, den es haben müsste. Rund zwei Drittel der Befragten vermissen beim Senat eine langfristige Strategie für unseren Wirtschaftsstandort. „Wir brauchen eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft, die auf unternehmerischer Freiheit, Wettbewerb, Tarifautonomie und vor allem einer klaren Aufgabenverteilung zwischen Wirtschaft und Staat basiert“, erklärte Aust. Seine Vision: „Der Staat konzentriert sich auf seine Kernaufgaben und schafft Rahmenbedingungen, in denen die Wirtschaft frei agieren kann. Und die Unternehmen erwirtschaften in diesem Rahmen die Steuern, die der Staat braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen.“
Als eine der größten Herausforderungen bezeichnete Aust die überbordende Bürokratie und langwierige Planungsverfahren. Und erfreute das Publikum mit einem Vergleich: Der Bürokratieabbau gleiche der Hydra aus der griechischen Mythologie – für jeden abgeschlagenen Kopf wüchsen zwei neue nach. Unter Applaus der Gäste forderte er eine konsequente Umsetzung des Prinzips der Genehmigungsfiktion, bei dem Genehmigungen als erteilt gelten, wenn Behörden nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspreche: „Wir müssen weg von einer Verbotskultur hin zu einer Ermöglichungskultur!“
Ein weiterer Schwerpunkt der Rede war der Fachkräftemangel, der Hamburgs Wirtschaft zunehmend bedroht. „Fast 60 Prozent der Hamburger Unternehmen sehen sich vom Fachkräftemangel bedroht“, betonte Aust. Das Hamburgische WeltWirtschaftsinstitut habe errechnet, dass Anfang der 2040er Jahre allein in Hamburg annähernd 200.000 Fachkräfte fehlen würden.
Auch in Ihrem Unternehmen sollte die KI zu einem selbstverständlichen Werkzeug werden. Nutzen Sie diese große Chance!
Prof. Norbert Aust
Teil der Lösung könne der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung sein, um Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. „KI bietet enorme Chancen, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig den Fachkräftebedarf zu senken. Hamburg sollte sich als Innovationsstandort in diesem Bereich positionieren.“ An die Anwesenden gerichtet: „Auch in Ihrem Unternehmen sollte die KI zu einem selbstverständlichen Werkzeug werden. Nutzen Sie diese große Chance! Und kommen Sie auch zu uns in die Handelskammer – wir beraten Sie gerne.“
Die Infrastruktur wurde ebenfalls thematisiert. „Unsere Stadt lebt wie kaum eine andere vom fließenden Verkehr und Gütertransport. Aber unsere Infrastruktur wird dem immer weniger gerecht. Alle Brücken über die Norder- und Süderelbe müssen saniert werden!“, stellte Aust klar. „Wir laufen Gefahr, dass der Hafen seiner wichtigen Versorgungsfunktion für ganz Deutschland nicht mehr gerecht werden kann. Oder, um es mit einem geflügelten Wort der Schiffsmakler zu sagen: ,No Shipping – No Shopping!‘ Genau deshalb brauchen wir auch dringend die Fertigstellung der A26-Ost, der Hafenquerspange.“
Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie
Die Bedeutung des Klimaschutzes für die Wirtschaft hob Aust in seiner Rede besonders prominent hervor. Er forderte ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie. Hamburg solle Vorreiter für klimafreundliche Technologien werden: „Hamburger Unternehmerinnen und Unternehmer haben längst erkannt, welche Wettbewerbsvorteile technologiegetriebener Klimaschutz mit sich bringt.“
Zum Abschluss seiner Rede kehrte Aust zum Ausgangspunkt zurück: „Herkules hat sich bekanntlich für den schweren, steinigen Weg entschieden. Und wurde dafür am Ende reichlich belohnt: mit einem Platz im Olymp. Gleiches gilt auch für uns: Wenn wir zunächst mehr leisten, werden wir uns später auch viel mehr leisten können. Das ist doch eine Aussicht, für die es sich zu kämpfen lohnt!“
Jochen Spethmann, Vorsitzender der VEEK, eröffnete die Veranstaltung und betonte die Bedeutung von Vertrauen und Selbstvertrauen in schwierigen Zeiten. „Vertrauen ist einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg einer Organisation und auch einer Gesellschaft. Vertrauen ermöglicht eine robuste und belastbare Führung, die auch Fehler verkraften kann“, sagte Spethmann.
Er griff auf ein Prinzip der Ökonomen Peter Drucker und Fredmund Malik zurück, die von der systematischen Müllabfuhr sprechen: „Was von dem, was wir heute tun, würden wir nicht wieder anfangen, wenn wir damit nicht schon begonnen hätten?“ Spethmanns Appell an die neue Hamburgische Bürgerschaft und den Deutschen Bundestag: Beide sollten in den ersten zwei Jahren der neuen Legislaturperiode keine neuen Gesetze erlassen, sondern sich stattdessen darauf konzentrieren, bestehende Gesetze zu streichen, zu kürzen oder zu vereinfachen.
Spethmann unterstrich zudem die Notwendigkeit einer gemeinsamen Idee der Zukunft: „Wir brauchen die soziale und nachhaltige Marktwirtschaft 2.0: Agieren statt reagieren, Handeln statt nur reden, Zuversicht statt Hoffnungslosigkeit, Wagen statt Zögern. Kurz: Deutschland – trau dich!“, schloss der VEEK-Vorsitzende seine Rede.
VEEK
Die „Versammlung Ehrbarer Kaufleute zu Hamburg e. V.“ (VEEK) ist mit mehr als 1000 persönlichen Mitgliedern die größte werteorientierte Vereinigung Deutschlands. Die persönliche Mitgliedschaft setzt die Anerkennung gemeinsamer Werte wie Beständigkeit, Weltoffenheit und Verlässlichkeit voraus, die seit dem Zusammenschluss der VEEK im Jahr 1517 Bestand haben. Die Prinzipien, zu deren Einhaltung sich die Mitglieder verpflichtet haben, sind in der Vision und Mission der VEEK zusammengefasst. Hier finden Sie mehr über Vision und Mission, Kooperationen, Ausschüsse, Projekte und Mitgliedschaft.