Zuwanderung fördern, Willkommenskultur ausbauen, Integration erleichtern: Diese Forderungen gehören aus gutem Grund zum Konzept zur Bekämpfung des Fachkräftemangels der Handelskammer. Schließlich bietet der Zuzug von Menschen aus dem Ausland Betrieben nicht nur gute Chancen, Stellen in Mangelberufen zu besetzen, sondern bereichert auch die Unternehmenskultur und Gesellschaft – und nicht zuletzt sind Hamburg und seine Wirtschaft seit jeher international geprägt.
„Berichte aus der Praxis zeigen, dass sich anfängliche Sprachprobleme bei schnellen Einstiegen in den Arbeitsmarkt mildern lassen“, so das Positionspapier. Und viele bereits Zugewanderte oder Geflüchtete sind nicht nur gut qualifiziert, sondern auch hoch motiviert, zu arbeiten und ihre Kenntnisse zu erweitern. Häufig fällt es ihnen allerdings schwer, sich im Dickicht des deutschen Arbeitsmarkts und Ausländerrechts zurechtzufinden.
Um ihnen den Zugang zu Jobs zu erleichtern und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial zu nutzen, organisiert die Kammer regelmäßig „Marktplätze der Begegnungen“. Hier können Jobinteressenten mit Betrieben und Organisationen in Kontakt treten: eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen und in lockerer Atmosphäre zu klären, ob man zueinander passen könnte – und welche Möglichkeiten etwa für Praktika oder Minijobs zur Verfügung stehen.
Während sich der letzte „Marktplatz der Begegnungen“ am 24. Juni 2022 speziell an Menschen aus der Ukraine richtete, stand der Termin am 20. März allen nach Deutschland zugewanderten Menschen mit ausreichenden, etwa durch einen Sprach- oder Integrationskurs nachgewiesenen Deutschkenntnissen offen, die über eine Arbeitserlaubnis verfügen und eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt suchen.
Neue Fachkräfte für Hamburg
Welche Fähigkeiten Mitarbeitende aus dem Ausland, etwa Geflüchtete, mitbringen und wie wichtig der persönliche Kontakt ist, weiß zum Beispiel die „Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten e.V.“ (ASM), die auch auf dem nächsten „Marktplatz“ mit ihrem Beratungsangebot präsent war. In Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Handelskammer, dem Hamburg Welcome Center und dem Jobcenter team.arbeit.hamburg unterstützt der Verein Menschen aus anderen Ländern unter anderem bei Existenzgründungen und der Arbeitssuche – etwa im Rahmen des Programms WorkingExperience (siehe Kasten unten).
Flüchtlinge integrieren: Das erfolgreiche Konzept des Reichshofs
„Als Unternehmen ist es wichtig, Werte zu haben: eine Willkommenskultur, die das ganze Team teilen muss und die ich als Personalchefin nicht vorgeben kann. Es gilt, Menschen ankommen zu lassen, und dafür brauche ich mein Team“, erklärt Mignon Kashani, Executive Assistant Manager des Reichshofs.
Um dieses Ankommen zu erleichtern, nutzt das Hotel unter anderem ein „Patensystem“, bei dem Mitarbeitende Geflüchteten etwa bei der Wohnungssuche helfen oder ihnen Hamburg zeigen. „Wir nehmen jeden, wie er ist“, betont Kashani. „Individualität ist wichtig, und wir haben einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe. Das macht mich stolz.“
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die flexible Arbeitsgestaltung, die etwa den Besuch von Deutschkursen ermöglicht: „Unternehmen müssen umdenken. Neue Arbeitszeitmodelle sind nötig, und eine Drei-Tage-Woche ist für uns völlig okay.“
Für das Hotel zahlt sich das aus. So besteht etwa kein Mangel an Interessenten für Ausbildungsplätze: „Wir begleiten viele. Und die bleiben dann auch“, sagt Kashani.
Davon profitierte zum Beispiel die Ukrainerin Anastasiia Ocheretna, die am 1. März 2022 nach einer dreitägigen Flucht per Auto aus der Ukraine in Hamburg eintraf. „Als ich hier war, habe ich sofort begonnen, einen Integrationskurs zu besuchen und Deutsch zu lernen“, berichtet die 24-Jährige, die inzwischen eine Prüfung auf B1-Niveau abgelegt hat. „In Kyiv hatte ich ein Hochschulstudium in Hotel- und Restaurantwirtschaft abgeschlossen und fünf Jahre als Restaurantmanagerin gearbeitet, zuletzt im Luxusrestaurant ,Haus Nr. 10‘. Deshalb war für mich klar, dass ich weiter in der Gastronomie tätig sein wollte. Doch ich wusste anfangs nicht, wie ich dazu am besten vorgehen sollte, und traute mich nicht, mich in Restaurants vorzustellen. ASM war mir dann eine riesige Hilfe.“
Der Verein unterstützte sie unter anderem beim Vorbereiten von Bewerbungsgesprächen – und organisierte zwei Probe-Arbeitstage im Restaurant des Hotels Reichshof am Hauptbahnhof. Mit Erfolg: Seit Anfang Februar arbeitet Ocheretna dort als Commis de rang, also Stationskellnerin.
„Mein Deutsch ist leider noch nicht gut genug, um alle Aufgaben zu übernehmen“, erzählt sie. „Bisher unterstütze ich die Kollegen etwa bei der Vorbereitung der Räume oder dem Servieren von Essen und Getränken. Aber alles ist mir aus meiner Arbeit in Kyiv vertraut. Und natürlich hatte ich dort eine höhere Position – aber irgendwo muss man ja anfangen; und ich hoffe, mich hier weiterentwickeln und wieder als Restaurantmanagerin arbeiten zu können.“ Besonders gut gefällt ihr der Teamgeist im Hotel: „Alle sind hoch professionell und jederzeit bereit, Fragen zu beantworten und einander zu unterstützen. Wir sind sehr international, und es gibt keine Konflikte.“ Dank des flexiblen, integrativen Konzepts des Reichshofs (siehe Kasten) kann sie zudem neben der Arbeit ihr Deutsch perfektionieren.
Kompetente Veterinärin in spe
Fachlich gut qualifiziert ist auch Kateryna Bidnyk, die schon bald nach ihrer Flucht aus der Ukraine begann, als Tierarzthelferin (TFA) in einer Tierklinik in Norderstedt zu arbeiten. Gleichzeitig absolviert sie online das letzte Jahr ihres veterinärmedizinischen Studiums an der Universität Charkiw und ist als Gasthörerin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover eingeschrieben. „Ich stamme aus Berdjansk, das derzeit von Russland besetzt ist“, erklärt die 23-Jährige, „aber ich habe in Charkiw studiert. Von dort bin ich fünf Stunden vor Beginn des russischen Einmarschs nach Deutschland geflogen: ein reiner Zufall, denn ich hatte hier schon zwei Praktika absolviert und war auf dem Weg zu meinem dritten Praktikum in Rostock. Hamburg ist eine superschöne Stadt, deshalb bin ich danach hierher gewechselt.“
Auch Bidnyk profitiert von flexiblen Arbeitszeiten: „In der Tierklinik arbeite ich drei Tage die Woche, an weiteren drei Tagen lerne ich Deutsch und schreibe meine Diplomarbeit.“ Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland: „Ich möchte hier als Tierärztin weiterarbeiten. In der Ukraine habe ich schon nichts mehr, keine Heimatstadt. Ich habe alles wegen Russland und des Kriegs verloren.“
Wenn sie ihr Studium im Sommer beendet hat, steht allerdings noch einige Arbeit an: „Ich muss hier eine Reihe von Prüfungen wiederholen beziehungsweise Zusatzprüfungen ablegen, damit mein Abschluss in Deutschland anerkannt wird“, führt sie aus.
Treffpunkt am 20. März in der Kammer
Hoch motiviert, kompetent und lernbegeistert: Ocheretna und Bidnyk sind bei Weitem keine Einzelfälle und zeigen, welche Chancen die Einstellung von Geflüchteten und Zugewanderten bietet. Denn sicher ist auch: Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen bringen uns alle voran, sorgen dank neuer Ideen für dringend nötige Innovationen und fördern die Vielfältigkeit – im Betrieb ebenso wie in der Gesellschaft. „Ich fühle mich hier total wohl und sehe meine Zukunft in Deutschland“, sagt Anastasiia Ocheretna. „Aber wenn der Krieg zu Ende ist, müssen die Deutschen unbedingt die Ukraine besuchen – es ist ein wunderschönes Land.“
WorkingExperience
Mithilfe des von der Stadt Hamburg und der EU finanzierten Projekts „WorkingExperience mit Sprach- und Betriebstraining“ bereitet der Verein ASM Zugewanderte, insbesondere aus der Ukraine, auf eine qualifizierte Beschäftigung beziehungsweise duale Berufsausbildung vor. Dazu dienen Sprach- und Fachtrainings, betriebspraktische Trainings in Betrieben des Einzelhandels, der Hotellerie, Gastronomie und Logistik, aber auch ein Coaching- und Mentoringangebot. „Wir verfügen über ein breites Netzwerk von Kooperationspartnern“, sagt die Projektkoordinatorin Olga d’Attoma von ASM, „und erstellen regelmäßig Bedarfsanalysen von Unternehmen, um geeignete Kandidaten zu vermitteln.“
Fachkräftestrategie der Kammer
Im Rahmen ihrer Initiative „Hamburg 2040“ hat die Kammer ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung des Fachkräftemangels vorgelegt. Zu den zahlreichen Vorschlägen gehören auch die gezielte Förderung der Zuwanderung sowie die Anwerbung und Qualifizierung von Fachkräften aus dem Ausland und die vereinfachte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse.