Kompliziert, unpraktisch und zeitintensiv: So sehen viele Unternehmen die Vergabepraxis bei öffentlichen Aufträgen. Je nach Art, Wert und Gegenstand des Auftrages finden verschiedene nationale und internationale Regelungen Anwendung, für zusätzliche Verwirrung sorgt die Vielzahl der unterschiedlichen Vergabeplattformen. „Das Vergaberecht mit seinen Sonderregelungen für jedes Bundesland ist für Unternehmen schwer überschaubar“, meint etwa Alexander Gollatz, der bei der Softwareallianz Deutschland GmbH, in der sich mehr als 100 kleine und mittelständische Unternehmen zusammengeschlossen haben, für das Management und die Abwicklung von öffentlichen Ausschreibungen verantwortlich ist. „Oft ist eine Einschätzung nur mithilfe eines Anwaltes möglich. Und die Vielzahl der Vergabeplattformen mit ihren unterschiedlichen Nutzeroberflächen erschwert die Suche und Angebotsabgabe. Wer geeignete Ausschreibungen gefunden hat, wird dann oft vom hohen Bürokratieaufwand abgeschreckt.“
Neue Gesetzesprojekte
Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, öffentliche Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Bereits eingerichtet wurde ein zentrales Portal, das die bundesweite Suche nach Bekanntmachungen öffentlicher Auftraggeber aus Bund, Ländern und Kommunen erleichtert, eine komfortable Filterfunktion zur Verfügung stellt und zu den jeweiligen Angebotsunterlagen führt.
Anfang 2023 kündigte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zudem eine Modernisierung des Vergaberechts an und lud zur Teilnahme an einem digitalen öffentlichen Konsultationsverfahren ein, an dem sich neben der Deutschen Industrie- und Handelskammer und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks unter anderem Solo-Selbstständige, Mittelstandsunternehmen und Branchenverbände beteiligten und ihre Stellungnahmen zum Gesetzesvorhaben in Fachgesprächen diskutierten (Details finden sich hier). Weniger Bürokratie und mehr Nachhaltigkeit sind die Hauptziele des Gesetzesprojektes, neben der Digitalisierung des Beschaffungswesens und der Berücksichtigung sozialer und umweltfreundlicher Aspekte ist eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren vorgesehen.
Martin Conrads, Senior Counsel und Fachanwalt für Vergaberecht der Kanzlei Bird & Bird LLP in Hamburg, gibt allerdings zu bedenken, dass die geplante Berücksichtigung von sozialen Kriterien und Umweltaspekten zwar gesellschaftlich „absolut nachvollziehbar und sinnvoll“ sei, den Vergabeprozess allerdings „nicht gerade einfacher“ mache. Und er ergänzt: „Öffentliche Vergabe ist komplex und zeitintensiv. Inwieweit die Vergaberechtsmodernisierung daran maßgeblich etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt gibt es innerhalb des gesetzlichen Rahmens gewisse Spielräume, die allerdings in der Praxis auch genutzt werden müssten.“
Mit den geplanten Reformen im Bundesrecht soll auch das Hamburgische Vergaberecht effizienter werden. Im April 2023 hat der Senat eine Änderung des Hamburgischen Vergabegesetzes beschlossen und für die offizielle Verbändeanhörung freigegeben. Vorgesehen ist unter anderem ein vereinfachtes Beschaffungsverfahren für Aufträge bis 100 000 Euro im Liefer- und Dienstleistungsbereich. An der Verbändeanhörung hat sich auch die Handelskammer über die Auftragsberatungsstelle Hamburg (siehe Kasten) beteiligt und ihre Einschätzung und Vorschläge eingebracht.
Öffentliche Aufträge als Wirtschaftsfaktor
Die öffentliche Hand vergibt in Deutschland jährlich Aufträge in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages an private Unternehmen. Damit ist die öffentliche Vergabe ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Und gerade in unsicheren Zeiten gibt es gute Gründe, sich als Unternehmen an Vergabeverfahren zu beteiligen und den Staat als Kunden zu gewinnen. Bund, Länder und Kommunen gelten in der Regel als zuverlässige Auftraggeber, die ihre Rechnungen begleichen.
Die Auftragsberatungsstelle Hamburg ist ein Zusammenschluss von Handelskammer und Handwerkskammer. Sie unterstützt Unternehmen, die sich für öffentliche Aufträge interessieren, mit Beratung, Veranstaltungen und Informationen. Die Handelskammer berät ihre Mitglieder auch persönlich zu Fragen der Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen. Kontakt: Britta Heegardt, 36138-265.
„Wenn man als Unternehmen verstanden hat, wie Vergabeprozesse laufen, ist die Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren eine gute Möglichkeit der Geschäftsanbahnung“, bestätigt Martin Conrads. „Man sollte allerdings diese Art der Geschäftsanbahnung nicht mit den sonst zwischen Unternehmen üblichen Beziehungen vergleichen. Mit dem Staat läuft es etwas anders. Wer hier ständig vergleicht, wird frustriert sein. Angesichts des insgesamt hohen Auftragsvolumens in der Vergabe lohnt es sich aber, sich als Unternehmen intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen.“
Dabei sind nicht nur Unternehmen an einer schlankeren Vergabepraxis interessiert. Auch die öffentliche Verwaltung hat ein Interesse an schnellen und einfachen Verfahren, um den eigenen Arbeitsaufwand zu reduzieren und eine ausreichende Auswahl an Angeboten auf ihre Ausschreibungen zu erhalten. Seit Jahren beklagt die öffentliche Verwaltung einen Bietermangel. Ob die geplanten Reformen daran etwas ändern, bleibt abzuwarten.