Vollgas für die Energiewende 

Der Norden spielt eine wichtige Rolle für Deutschlands Energieversorgung. In der Zukunftsregion entstehen Hotspots für LNG, Windenergie, Wasserstoff und Fotovoltaik.
EWE/Matthias Ibeler
Die 30 Windräder des 2013 errichteten EWE-Windparks Riffgat in der Nordsee liefern Energie für 120 000 Haushalte.

Von Kerstin Kloss, 10. Juni 2022 (HW 3/2022)

Der Krieg in der Ukraine könnte auch für die hiesige Energieversorgung gravierende Folgen haben: Ohne russisches Gas gerät die Kupferproduktion am größten Aurubis-Standort Hamburg ins Stocken, und ein ähnliches Szenario droht in anderen Regionen mit Verarbeitendem Gewerbe – im Norden stammt schließlich „über 50 Prozent des Gases aus Russland“, so der Netzbetreiber Schleswig-Holstein Netz (SH Netz). Welche Auswirkungen bei einem kompletten Lieferstopp drohen, ermittelte Ende April das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle: Im Norden wäre demnach ein Rückgang der Bruttowertschöpfung zwischen 5,1 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 6,9 Prozent in Bremen zu erwarten – mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze.

Faire Stromsteuern

Der Norden kann zur Energiedrehscheibe Deutschland werden, doch Klimaschutz muss sich wirtschaftlich lohnen. Deshalb regt die IHK Nord an, kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, das Thema frühzeitig zu berücksichtigen – und fordert eine Reform der staatlich induzierten Preisbestandteile im Strom- und Energiesektor. Faire Wettbewerbsbedingungen ließen sich mittelfristig durch eine CO2-Bepreisung in Kombination mit gesenkten Strompreisen schaffen. Die energiepolitischen Positionen der IHK Nord finden Sie hier.

In Zukunft soll „Liquid Natural Gas“ (LNG), also Flüssigerdgas, zwei Drittel des russischen Erdgases in Deutschland ersetzen. Dafür werden jetzt unter Hochdruck Terminals gebaut: Bereits Anfang 2023 soll der Import in Wilhelmshaven beginnen, im Frühjahr 2024 in Brunsbüttel, ab 2026 in Stade; schwimmende LNG-Terminals sind zudem in Hamburg und Rostock geplant.

Allerdings sieht IHK-Nord-Referentin Denise Ring hier noch viele Herausforderungen, die kurzfristige Lösungen benötigen: „Wo kommt das LNG her? Wo wird es eingespeist? Wo haben wir die Infrastruktur, damit LNG auch genutzt werden kann?“ Und Ring betont, dass es angesichts der angespannten energiepolitischen Situation wichtiger denn je ist, „norddeutsch zu denken und zusammenzuarbeiten“.

Um die Sichtbarkeit der Zukunftsregion weiter zu steigern, hat die IHK Nord eine Schnittstelle zur Europapolitik installiert. Zur Energiepolitik sagt Patricia Schlimbach, die Teamleiterin des Brüsseler Büros: „Bedingt durch den Europäischen Green Deal rücken Themen wie Wasserstoff, LNG und Offshore-Windenergie in Brüssel verstärkt in den Fokus, und hier kann der Norden mit enormen Standortvorteilen punkten.“

Rein rechnerisch könnte sich Schleswig-Holstein heute schon ausschließlich mit erneuerbarer Energie selbst versorgen.

Denise Ring

Als Beispiel nennt sie die Planungen, die Windenergiekapazität vor den europäischen Küsten bis 2050 auf 300 Gigawatt auszubauen: „Hierbei spielt Norddeutschland als einer der europäischen Spitzenreiter beim Erzeugen von Offshore-Windenergie eine entscheidende Rolle.“ Schon 2017 haben knapp 1200 Windenergieanlagen in der offenen See über 5400 Megawatt ins Netz eingespeist – Tendenz steigend.

Von der frischen Brise profitieren speziell die drei Küstenländer mit ihren Off- und Onshore-Windparks. Immerhin 2,0 Prozent der Unternehmen in Schleswig-Holstein, 1,9 in Mecklenburg-Vorpommern und 1,5 in Niedersachsen arbeiteten 2018 im Bereich Erneuerbare Energien. „Rein rechnerisch könnte sich Schleswig-Holstein heute schon ausschließlich mit erneuerbarer Energie selbst versorgen“, sagt Ring.

Für energieintensive Unternehmen problematisch ist allerdings der Strompreis. Dieser wird zwar durch den Wegfall der EEG-Umlage zum 1. Juli 2022 auch im Norden günstiger, laut SH Netz kostet Strom in Schleswig-Holstein derzeit aber etwa 20 Prozent mehr als in anderen Bundesländern – und das liegt vor allem an hohen Netzentgelten. Die IHK Nord fordert, Netzkosten bundeseinheitlich festzusetzen, damit stromintensive Unternehmen aus dem Norden nicht abwandern. Denn das Gegenteil ist das Ziel: wertschöpfungsintensive Industrien dort anzusiedeln, wo grüne Energie entsteht. Dafür startete die IHK Nord bereits 2015 die Kampagne „Come to where the power is“.

Sechs Monate dauert der Bau einer Windkraftanlage, aber sechs Jahre die Planung.

Alexander Anders

Ob bei LNG-Terminals oder Windrädern: Bis die Bagger rollen, sind stets zahlreiche Hürden zu überwinden. IHK-Nord-Geschäftsführer Alexander Anders drängt die Politik, Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren für den energiereichen Norden zu beschleunigen. „Sechs Monate dauert der Bau einer Windkraftanlage, aber sechs Jahre die Planung“, nennt er ein drastisches Beispiel. Damit Wertschöpfungsketten mit alternativen Energieträgern funktionieren, ist dort, wo Energie, Industrie und Häfen sind, zudem eine gute Infrastruktur entscheidend.

Auch grüner Wasserstoff steht bei der IHK Nord im Fokus. „Obwohl wir Wind im Überfluss haben, werden Windräder abgeschaltet. Diesen überschüssigen Strom möchten wir künftig über die Elektrolyse in grünen Wasserstoff umwandeln“, erklärt Ring. Auf Initiative der IHK Nord haben sich die fünf norddeutschen Länder in der Initiative HY-5 zusammengeschlossen, um einen Hotspot für grünen Wasserstoff im Norden zu etablieren.

Energie für die Schifffahrt

Die EU-Kommission diskutiert derzeit die „FuelEU Maritime Verordnung“ zur Emissionsreduktion. Da die dafür sinnvolle Umstellung auf LNG-Treibstoff für kleine Schiffe und Reedereien zu teuer ist, fordert der IHK-Nord-Vorsitzende Prof. Norbert Aust „eine Begrenzung der Verordnung auf die Big Player“ und regt Dual-Fuel-Konzepte an. Auch bei der bis 2030 verpflichtenden Umrüstung der etwa 550 deutschen Hafenliegeplätze für Landstrom setzt sich die IHK Nord auf EU-Ebene für Flexibilität ein.

Mit Clean Port & Logistics (CPL) hat die HHLA kürzlich ein Cluster zur Erprobung wasserstoffbetriebener Geräte in der Hafenlogistik gegründet, um Emissionen zu senken.

Potenzial gibt es auch bei der Fotovoltaik, die bei der Energieerzeugung im Norden laut Ring bisher „eine verschwindend geringe Rolle“ im Vergleich zur Windenergie spielt: In Niedersachsen etwa hat die jährlich neu installierte Onshore-Windenergie eine Leistung von 12 000 Megawatt, die Fotovoltaik nur 400 Megawatt. Zumindest gibt es einige Projekte – schließlich scheint die Sonne auch im Norden: So entsteht bis Herbst dieses Jahres entlang der Autobahn 24 zwischen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern der 14,5 Hektar große Solarpark Lüttow-Valluhn mit einer Gesamtleistung von 14,4 Mega-Watt-Peak.

Michael Prinz, Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke, erklärt: „Als größter Ökostromproduzent Hamburgs nutzen wir jedes Potenzial, um grüne Energie zu erzeugen. Allein im Hafengebiet haben wir Windkraftanlagen mit einer Leistung von mehreren Megawatt errichtet. Die Dächer Hamburgs wollen wir verstärkt mit Fotovoltaikanlagen ausbauen.“

Wenig tut sich hingegen bei anderen Stromquellen: „Energie aus Wasserkraft und Biomasse spielt im Norden mit einer Zuwachsrate von Null eine untergeordnete Rolle“, erklärt Denise Ring. Unterdessen arbeiten Unternehmen an einer resilienten, also krisenfesteren Energieversorgung. Für Aurubis scheint mittelfristig eine völlige Umstellung auf grünen Wasserstoff realistisch, denn die Stadt Hamburg will bestehende Gasleitungen in der ersten Stufe bis 2030 in ein 60 Kilometer langes Wasserstoff-Industrienetz umrüsten. Der Norden hat echtes Potenzial – jetzt kommt es darauf an, die Aufgaben gemeinsam anzupacken.

Beteiligen Sie sich an der Diskussion:
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
Ihr Name wird mit ihrem Kommentar veröffentlicht.
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Das Kommentarformular speichert Ihren Namen, Ihre E-Mail-Adresse und den Inhalt, damit wir die auf der Website abgegebenen Kommentare verfolgen können. Bitte lesen und akzeptieren Sie unsere Website-Bedingungen und Datenschutzerklärungen, um einen Kommentar abzugeben.
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments