Seinen beruflichen Neujahrswunsch kann Prof. Dr. Carsten Claussen bereits jetzt klar formulieren: „Ich möchte 2023 gern drei Start-ups mit unseren neuen Datensätzen versorgen. Damit sollen sie Apps entwickeln, die bei gesundheitlichen Problematiken helfen können und als fertige App im Idealfall dann sogar auf Rezept zu bekommen sind.“
Es ist zwar immer noch ein weiter Weg, damit aus solchen Visionen bundesdeutsche Wirklichkeit werden kann. Valide Gesundheitsdaten, um Medizinforschung und Produktentwicklungen schneller voranzutreiben, waren (zu) lange schwer bis gar nicht zu bekommen. Doch Corona hat vieles geändert und „schneller“ gemacht. So hat etwa die seit Dezember 2021 amtierende Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Schaffung eines neuen Gesundheitsdatenzugangsgesetzes verankert.
Und genau an solcher aus Expertensicht überfälligen Öffnung wird auch am Hamburger Standort des Fraunhofer-Institutes gearbeitet. Mit Carsten Claussen als „Innovationsbereichsleiter Medical Data Science“ und einem zehnköpfigen Team. Ihr vorrangiger Anspruch: „einen Hamburger Datenschatz zu schaffen, den wir der hiesigen Gesundheits-Community und ihren Playern zur Verfügung stellen können“.
Claussens vor dreieinhalb Jahren neu geschaffene Unit hat inzwischen eine umfangreiche Dateninfrastruktur aufgebaut, die jetzt zum Jahreswechsel „live“ gehen soll. Den Schatz heben dürfen dann auch und vor allem ganz „normale“ Unternehmen, die an gesundheitsrelevanten Fragestellungen und Geschäftsmodellen arbeiten.
Unser vorrangiger Anspruch ist es, einen Hamburger Datenschatz zu schaffen, den wir der hiesigen Gesundheits-Community und ihren Playern zur Verfügung stellen können.
Carsten Claussen
So unterstützen Claussen und sein Team bereits Projekte wie einen diagnostischen Selbsttest zur Altersbestimmung, liefern Daten zu Darmkrebs-Thematiken und helfen auch bei einer Unternehmensforschung zu datenbasiert wirksamen neuen Trainingsmethoden, die Übergewichtigen bessere Gesundheit bringen sollen. Auch habe jemand angerufen, fügt Claussen an, der mit seinem Unternehmen Hautbilder analysieren wolle. „Ob wir da mit Daten helfen könnten? Ja, können wir!“ Dass dabei alle Datenschutzregeln penibel beachtet und kontrolliert werden, versteht sich von selbst.
Für derart unterschiedliche Fragestellungen ist es wichtig, möglichst viele aussagekräftige Gesundheitsdaten zur Verfügung zu haben und dann durch Algorithmisierung gezielt nach speziellen Erkenntnissen zu suchen. „Trainingsdatensätze“ heißen laut Claussen diese individuellen Pools, die aus den Daten von jeweils 100 bis 1000 Versuchspersonen bestehen. Das sei schon sehr viel: „Bei allen bisherigen Corona-Studien weltweit lag die durchschnittliche Probandenzahl bei 50.“ Deshalb bestehe die Arbeit seines Teams auch „zu 80 Prozent aus Daten putzen“.
Drei Millionen Euro sind bislang in den Aufbau des Projektes geflossen, plus eine Million für die Technik – nun soll der immense Aufwand Früchte tragen. Interessierte Unternehmen können ihre Fragestellungen beim Fraunhofer-Institut platzieren, dort prüft ein Expertengremium den jeweiligen Antrag und erteilt im Idealfall grünes Licht für die anonymisierte Datenfreigabe. Carsten Claussen: „Wir freuen uns über jede Anfrage und haben Platz für zehn Projekte!“
Medizindaten aus Eidelstedt
Mit ihren mehr als 30 000 Mitarbeitenden ist die Fraunhofer-Gesellschaft die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung. Die 1949 gegründete Organisation betreibt in Deutschland derzeit 76 Institute und Forschungseinrichtungen und ist seit 2018 auch in Hamburg vertreten. Am Standort Schnackenburgallee sitzt das Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie, in dem auch Prof. Dr. Carsten Claussen und sein Datenteam beheimatet sind.