

Der Informationsbedarf ist riesig, „an uns wenden sich viele Unternehmen“, sagt Sabrina Pohlmann, die sich beim 2019 gegründeten Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC), dem offiziellen KI-Zentrum der Stadt Hamburg, um Marketing und Kommunikation kümmert. Denn Künstliche Intelligenz (KI) kann Kosten einsparen, die Effizienz verbessern, Standardprozesse automatisieren – und besitzt enormes Potenzial.
Dieses Potenzial nutzt etwa das 2016 gegründete Start-up vilisto, das im September den „Hamburg Innovation Award 2024“ erhielt und ein Vorreiter beim digitalen Wärmemanagement von Nicht-Wohngebäuden ist. Mithilfe von Energiecontrolling in Echtzeit und selbstlernenden Thermostaten, die die Raumnutzung erkennen und die Temperatur automatisiert steuern, verspricht es, die Heizkosten um bis zu 32 Prozent zu senken.
Auch in der Logistik kommt KI zunehmend zum Einsatz. So hat die Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA) ein KI-Modul entwickelt, mit dem das Lagerkransystem am Burchardkai optimale Stellplätze für die Container findet. Über die Plattform „HHLA Next“ investiert der Konzern zudem in innovative Start- und Scale-ups. Dabei hat der Konzern sämtliche Transportarten im Blick. So arbeitet die HHLA etwa mit FERNRIDE an autonom fahrenden, elektrisch betriebenen Lkw und Zugmaschinen, die bereits in Estland getestet wurden.
Die HHLA Sky GmbH hat den ersten skalierbaren Drohnenleitstand entwickelt, mit dem sich Drohnenflotten an verschiedenen Einsatzorten weltweit steuern lassen. Und die Plattform RailSync koordiniert den Schienengüterverkehr an intermodalen Terminals. Die HHLA-Tochter HPC Hamburg Port Consulting wiederum bietet einen „KI Potentialanalyse-Service“, der ermittelt, welche Terminalprozesse sich per KI automatisieren lassen. Dazu analysiert das Hafen- und Logistik-Beratungsunternehmen die bestehenden Abläufe etwa in der Frachtabfertigung oder im Verkehrsmanagement.
Ein weiteres KI-Einsatzfeld ist „Predictive Maintenance“ – also die Analyse des Zustandes von Maschinen samt Hinweisen, wann sie gewartet oder Ersatzteile ausgetauscht werden müssen. Gemeinsam mit der Uni Bremen hat die HHLA ein entsprechendes System für Hafenfahrzeuge entwickelt.
IKS Hamburg Die Innovations Kontakt Stelle (IKS) Hamburg wurde 2011 von der Handelskammer und den Hamburger Hochschulen im Rahmen der „InnovationsAllianz Hamburg“ gegründet, um die Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern. Sie vermittelt kostenlos passende Projektpartner für innovative Projekte, identifiziert das Potenzial von Kooperationen und begleitet sie als Moderator.
Und das Hamburger Start-up ai-omatic solutions, das im Januar 2024 zwei Millionen Euro Wagniskapital einsammeln konnte, setzt auf einen KI-gestützten digitalen Wartungsassistenten, mit dem sich auffällige Maschinendaten früh erkennen und somit ungeplante Stillstände verhindern lassen.
„Viele Start-ups, wie auch wir, bieten innovative Lösungen für bestehende Probleme, angepasst an die individuellen Anforderungen und Bedürfnisse unserer Kunden“, sagt CEO und Co-Founder Lena Weirauch, die Landessprecherin Hamburg beim „Startup-Verband“ ist.
Zahlreiche Möglichkeiten für den KI-Einsatz finden sich auch im medizinischen Bereich. So entwickelte zum Beispiel die casuu GmbH ein virtuelles, KI-basiertes Training, mit dem sich nicht-muttersprachliche Pflegekräfte schnell das medizinische Fachvokabular aneignen können. Dafür erhielt das Start-up 2024 den Publikumspreis des „Hamburg Innovation Award“ sowie den „Innovation in Digital Equality Award“ (IDEA), den Förderpreis des Hamburger Senates.
Für Unterstützung und Schutz älterer Menschen gedacht ist das „Tablet BEJOY“ von Beyond Emotion – eines von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg) ausgegründeten Start-ups, das von der Unterstützung der Innovations Kontakt Stelle (IKS) Hamburg profitieren konnte. Mithilfe von KI erkennt das Gerät unter anderem Emotionen und kann zum Beispiel Verwandten Stimmungsanzeigen oder Warnungen bei längerer Inaktivität zuschicken. So können die Kontaktpersonen im Notfall schnell reagieren.

Unternehmen, die Input zu KI-Fragen brauchen, können dabei auf das ARIC zurückgreifen. „Wir vernetzen Akteure miteinander und matchen Start-ups, große Player und Verwaltung“, sagt Sabrina Pohlmann. „Zudem sind wir in Förderprojekten aktiv und unterstützen speziell bei anwendungsnahen Fragen mit Know-how und passenden Kontakten.“ Unterstützung bei Digitalisierungsfragen bietet beispielsweise auch der ARIC-Partner EDIH Hamburg.
Superschnelle Rechner
Disruptives Potenzial besitzt auch die Quantentechnologie (QT). Computer, die mit QT arbeiten, können parallel sehr komplexe und datenintensive Analysen vornehmen und eröffnen damit Perspektiven für alle Felder, in denen die rasche Verarbeitung immenser Datenmengen notwendig ist, zum Beispiel bei der Steuerung von Verkehrsflüssen, der Optimierung der Energieversorgung oder der Berechnung von Klimadaten und Wetterprognosen.
Ausschuss Der „Ausschuss für Technologie, Innovation und Digitalisierung“ der Handelskammer arbeitet an der Entwicklung von Positionen, um technologische Neuheiten in Breite und Spitze der Unternehmenslandschaft zu etablieren. Kontakt über Dr. Miriam Putz, Geschäftsführerin des Bereiches „Innovation und neue Märkte“ (Telefon 040 36138-249).
Die Bundesregierung beschloss 2023, die Entwicklung von Quantencomputern und ihre Anwendungen bis 2026 mit rund drei Milliarden Euro zu fördern. Davon waren allein 740 Millionen Euro für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bestimmt. Dieses stellt seine zwei Innovationszentren in Ulm und in Hamburg-Lokstedt im Rahmen der DLR-Quantencomputing-Initiative Industriepartnern für QT-Forschungsprojekte zur Verfügung.
In Lokstedt wurde Ende Mai 2024 auch der erste Prototyp eines Quantencomputers vorgestellt, den das DLR bei den QT-Unternehmen eleQtron und ParityQC und dem Halbleiterhersteller NXP Semiconductors – 2023 Preisträger des „Hamburg 2040-Awards“ der Handelskammer – in Auftrag gegeben hatte.
„Hamburg zählt europaweit zu den QT-Hotspots“, sagt Benedikt-Sebastian Mehmel. Der Physiker arbeitet für die QT-Initiative „Hamburg Quantum Innovation Capital“ (hqic), die die QT-Aktivitäten in der Metropolregion koordiniert und fördert. „Weltweit gibt es rund 260 QT-Start-ups, in Hamburg sind es acht bis zehn. Das ist eine beachtliche Anzahl für den Standort.“ Und der lang ersehnte Sprung in die Praxis könnte schon bald erfolgen: „Wir sind in der Phase, dass wir raus aus dem Labor und in die Anwendung gehen.“

Zu den Unternehmen, die sich und andere auf den Einsatz der QT-Rechner vorbereiten, gehört Lufthansa Industry Solutions (LHIND) in Norderstedt. Der IT-Dienstleister, der bereits ein im ARIC-Showroom zu bestaunendes KI-gestütztes Gepäcklaufband entworfen hat, entwickelt gemeinsam mit der Uni Hamburg Quantenalgorithmen, die die Abfertigung an Flughäfen optimieren sollen.
Für Airlines könnte dies künftig immense Vorteile bieten, etwa bei der Erstellung der Jahresflugpläne oder der schnellen Änderung von Routen bei Luftraumsperrungen oder Unwettern. „Optimierungen im Flugverkehr führen zu weniger Kerosinverbrauch. Das ist nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch gut für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das gilt auch bei besseren Logistikketten“, erklärt Sebastian Mehmel.
Neben Quantencomputing haben auch Quantensensorik und -kommunikation große Bedeutung, sagt die Molekularbiologin und promovierte Neurowissenschaftlerin Natalie Rotermund, die wie Mehmel am ARIC für die Initiative hqic tätig ist.
Als Einsatzzwecke nennt sie abhörsichere Kommunikation, Informationsdistribution und Hochleistungssensorik, die beispielsweise medizinische Therapie- und Diagnosemöglichkeiten verbessern könnte. „Wir wissen zudem bereits heute, dass sich vieles verändern wird, etwa das Online-Banking. Denn die aktuellen Verschlüsselungscodes werden künftig nicht mehr sicher sein. Mit Quantentechnologie lassen sich Finanzgeschäfte gegen Hacking schützen.“
Das Potenzial von 3D-Druck
Ein weiteres Zukunftsfeld ist 3D-Druck, also „Additive Fertigung“. Dabei werden auf Grundlage digitaler 3D-Modelle Materialien wie Keramik, Kunststoff oder Metall schichtweise aufgetragen. Das ermöglicht das Herstellen sehr komplexer Objekte. Insbesondere in der Unterhaltungselektronik oder Medizintechnik gibt es eine starke Entwicklung hin zur Miniaturisierung. Klein und dennoch leistungsstark ist das Ziel – 3D-Druck macht es möglich.
In der Metropolregion sollen der im November gegründete Verein „Industrialized Additive Manufacturing Hub Hamburg“ (IAMHH) und das gleichnamige Fraunhofer-Leistungszentrum die 3D-Technik weiter voranbringen.
QT-Studie Die Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey bezifferte das Wertschöpfungspotenzial von Quantentechnologie in ihrem „Quantum Technology Monitor 2024“ bis 2035 auf bis zu zwei Billionen US-Dollar – insbesondere in den Bereichen Chemie, Biowissenschaften, Finanzen und Mobilität. Die schnellen Quantencomputer könnten zudem „bahnbrechende Fortschritte bei der Fehlerminderung und -korrektur“ ermöglichen.
In Bergedorf startete im Herbst 2024 der Neubau einer Erweiterung der Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien (IAPT). Diese arbeitet schon heute im Projekt AKROPOLYS daran, per 3D-Druck gefertigte Komponenten und Altpulver ohne Qualitätsverlust wiederzuverwerten.
Die Hamburger Firmengruppe FEHRMANN entwickelt erfolgreich Metallpulver, die sich sowohl im 3D-Druck als auch in Gussverfahren einsetzen lassen – und vermarktet eine besonders dehnbare Aluminiumlegierung, die bis zu 30 Prozent Gewicht einsparen soll. Das von Henning Fehrmann in fünfter Generation geführte Familienunternehmen setzt dabei auch auf KI und hat mit dem ARIC bereits einige Veranstaltungen zur Frage durchgeführt, wie sie sich nutzen lässt, „um Fortschritte in der Materialwissenschaft und der Nachhaltigkeit voranzutreiben“.
Dieser interdisziplinäre Austausch ist eine Voraussetzung für den Fortschritt. So kann die „lebendige KI-Community in Hamburg“, von der ARIC-Kommunikatorin Pohlmann spricht, auch die anderen neuen Technologien befruchten. Und die Quantentechnologie kann neue Perspektiven für den 3D-Druck eröffnen: Mithilfe entsprechender Partikelsensoren lassen sich die für den Druck notwendigen Pulver viel genauer und einfacher, weil homogener herstellen. „Es gibt eine wachsende Aufgeschlossenheit“, stellt hqic-Experte Mehmel fest. Und er ist sich sicher: Die neuen Technologien „werden unser Wirtschaften verändern und in relevanten Industriebereichen einen Mehrwert schaffen“.
