Es ist ein großer Tag für das kleine Eimsbüttel. Hunderte von Zaungästen ziehen 1951 zur Osterstraße, als dort Altbekanntes und doch Extravagantes aufsperrt: Karstadt. 54 Jahre, nachdem Thüringer Kaufleute hinter dem Rathaus das modernste Warenhaus ihrer Zeit eröffnet hatten, ist dieser Neubau zwar weder das erste noch das letzte, nicht das schönste oder größte, sondern einfach nur eines mehr im Wirtschaftswunderland. Für Volksaufläufe reicht es trotzdem.
Kein Wunder. Seit der Pariser Grand Marché oder das Harrods in London Einkaufsgewohnheiten revolutioniert haben, geben Karstadt, Quelle, Kaufhof, Hertie und Horten ein demokratisches Versprechen: Wohlstandsteilhabe für alle an Orten, die Bedarf nicht nur befriedigen, sondern auch erschaffen und zum Verweilen statt Durcheilen anregen. Den Anfang macht 1881 Karstadt in Wismar, die Krönung ist 26 Jahre später das Berliner KaDeWe, dazwischen erhält auch Hamburg sein Konsumdenkmal.
Mit doppeltem A und allem, was das Herz begehrt, eröffnet 1897 das „Waarenhaus Hermann Tietz“ am Großen Burstah, zieht aber 1912 an den Jungfernstieg um, wo ihm Faschismus, Krieg und Zerstörung zumindest äußerlich nichts anhaben. Im Gegenteil. Beim Wiederaufbau steht das „Alsterhaus“ als Flaggschiff des kollektiven Konsumrauschs für das Wirtschaftswunder wie Ludwig Erhard oder VW-Käfer und trägt mit einer wachsenden Zahl Konkurrenten zehn Prozent oder mehr zum Einzelhandelsumsatz bei. Es ist schon seltsam, aber ausgerechnet Zweckbauten von Karstadt bis Hertie brachten ihre Umgebung zum Blühen.
Lang ist’s her. Mitte März verkündet Galeria Karstadt Kaufhof nach diversen Besitzerwechseln und Sparrunden den nächsten Kahlschlag: Bis Ende 2024 schließen 47 der insgesamt 129 deutschen Filialen, die Hamburger in Harburg und Wandsbek sogar schon im Juni. Doch nachdem die Stadt einst mehr Konsumtempel als Kirchtürme besaß, schätzt Brigitte Nolte vom Handelsverband Nord ihre Zahl heute nur noch auf „eine Handvoll“. Nur das fusionierte Dreigestirn der SIGNA Holding betreibe ja „Warenhäuser, die ihren Namen noch verdienen“.
Damit meint Nolte großflächige Einzelhandelsbetriebe mit 3000 Quadratmetern aufwärts, deren Angebot vom Aal in Aspik bis zum Zwirn aller Art ins Zeitalter pausenlos besetzter Online-Shops passt wie einst der Sommerschlussverkauf, bei dem sich das halbe Land am Grabbeltisch versammelte. Die Kette Hertie, 1933 aus der „arisierten“ Beute plus Initialen des jüdischen Kaufmanns Hermann Tietz entstanden, macht ihre Kundschaft dank einer Kundenkarte gerade zu Mitgliedern, da neigt sich die Epoche der Warenhäuser auch schon wieder ihrem Ende entgegen: 1970 entsteht an der Hamburger Straße das bundesweit größte Einkaufszentrum.
Das Prinzip Warenhaus hat einfach ausgedient.
Boris Hedde
Konsum wird Shopping wird Lifestyle, den Hanseviertel und Gänsemarkt-Passage bald innerstädtisch bieten. Krise, Krieg, Corona und E-Commerce haben das Grab der „Einkaufsorte für den gesamten Mittelstand“, wie Boris Hedde vom Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln Multi-Label-Stores umschreibt, demnach nur tiefer gegraben. Dass sie bei einem Marktanteil von 1,3 Prozent absehbar Geschichte sind, ist für den IFH-Geschäftsführer aber kein Grund zum Klagen: „Das Prinzip Warenhaus hat einfach ausgedient.“ Schließlich könne „kein stationäres Geschäft Sortimente so bündeln wie Online-Shops“ – wenngleich einige es auch versuchen.
Bei Karstadt in der Osterstraße passiert man Parfum und Uhren, Geschenk- und Büroartikel, Süßes und Socken, Koffer und Gürtel, Magazine, Bücher und Regenschirme, während im Untergeschoss Aldi und zwei Etagen darüber Mode, Spielzeug und Accessoires warten. Das findet zwar sein Publikum, doch weil es buchstäblich ausstirbt, liegt die Zukunft konzentrierten Konsums im Widerspruch: Zuspitzung und Vielfalt. Erstere liefern Ketten wie C&A, letztere muss sich ringsum vollziehen, etwa an Hamburgs Nobeladresse. Vorbei an Dior, Fendi und Yves Saint Laurent lockt das Alsterhaus solvente Kundschaft drei Stockwerke voller Luxus hoch zur Feinkostabteilung, wo es sein Angebot mit Champagner zum Mittagstisch komplettiert.
Dank Angebot und Größe ist das Kauf- am Übergang zum Warenhaus, eine Gattung, zu der in Hamburg ab dem kommenden Jahr auch das Unternehmen Breuninger gehört. Dann eröffnet die Stuttgarter Gruppe einen Flagship-Store im Überseequartier, expandiert also ausgerechnet in der E-Commerce-Ära nach Norddeutschland. Die Sehnsucht nach Sinnlichkeit, sie scheint trotz kriselnder Platzhirsche wie Peek & Cloppenburg ungebrochen.
Nur wenn sich die City als Erlebnisort zeigt, kann sie Handelsforscher Boris Hedde zufolge dem Internet trotzen. Hamburgs Fokus müsse daher auf „zielgruppengerecht kuratierter Diversifikation von Konsum über Kultur, Arbeit, Wohnen bis Bildung“ liegen. Wie das Bremer Nachhaltigkeitskaufhaus Ekofair oder das ehemalige Karstadt Sports am Hauptbahnhof. Nach Schließung plus Leerstand beherbergt das Vorzeigeobjekt der nivellierten Mittelstandsgesellschaft gegenüber Saturn – ehemals Horten – zurzeit ein Kunstprojekt und lockt damit verlorenes Publikum an. Das macht zwar noch lange kein Warenhaus lebendig, aber Immobilien. Immerhin etwas.
Wie alles begann
Als Keimzelle großflächiger Einkaufsbetriebe mit breitem Produktsortiment gilt seit 1834 das Harrods in London. 47 Jahre später eröffnet Rudolph Karstadt sein „Manufactur-, Confections- und Tuchgeschäft“ in Wismar, das 1900 auch nach Hamburg expandiert. Es folgen goldene Zeiten, bevor Einkaufszentren, Shoppingmalls und Konsumwandel dem Warenhaus zusetzen. Infolge der Krise übernimmt Karstadt 1994 den Konkurrenten Hertie. Fünf Jahre darauf fusioniert der Konzern zur KarstadtQuelle AG, die 2007 ihrerseits von Arcandor übernommen und fünf Jahre später Teil der SIGNA Holding wird und 2019 mit Galeria Kaufhof zum zweigrößten Anbieter Europas fusioniert. Anfang 2023 verkündet dieser dann das Aus für 47 der verbliebenen 129 Häuser in Deutschland.