25 Mitarbeitende, zehn Auszubildende, geführt von den Söhnen der Unternehmensgründer. Auf den ersten Blick wirkt die SITRA Spedition so gar nicht wie ein digitaler Vorreiter. Und doch ist das Familienunternehmen mit Sitz in Hamburg-Wilhelmsburg genau das: SITRA steuert mit Höchstgeschwindigkeit auf der Daten-Autobahn. Die Tiefe der erhobenen Daten verändert auch die Diskussion mit der Kundschaft. „In der Logistik heißt es oft: ‚Ihr seid zu spät!‘ Wir können nun den Kunden zeigen, wo die Schwachstellen im Transportprozess sind. Dass die Zeit auch an Lade- und Entladestellen verloren geht, weil wir dort auf die Abfertigung warten müssen“, sagt Geschäftsführer Merlin A. Müller.
Zu dieser Expertise verhalf SITRA ein Projekt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dessen Konsortium aus Handelskammer, Handwerkskammer, Technischer Universität Hamburg (TUHH) und Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) besteht. Seit 2016 gibt das Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg (zuvor Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum) Unternehmen Impulse in Sachen Digitalisierungs- und Industrie-4.0-Strategien – und das dank BMWK-Förderung kostenfrei.
Laut Rudolf Neumüller von der Handelskammer, der das Kompetenzzentrum aufbaute, wollte man damals bewusst kein neues Technologiezentrum starten: „Es ging um den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.“ Sein Nachfolger Jörn Schüßler erklärt: „Mittelständische Unternehmen haben für die Digitalisierung in der Regel weder Geld noch Personal. Genau da können wir helfen.“ „Ich war bei diesem Projekt sofort Feuer und Flamme“, sagt Prof. Wolfgang Kersten, Leiter des Institutes für Logistik und Unternehmensführung bei der TUHH. „Wir kommen als Wissenschaftler über dieses Zusammenspiel mit der Kammer ganz anders mit den Unternehmen in Kontakt. Das bietet auch unseren Studierenden viele Chancen.“
Auf der Internetseite des Mittelstand-Digital Zentrums Hamburg finden Sie zahlreiche Fachartikel und Videos, unter anderem Berichte über konkrete Projekte des Zentrums. Auf der Veranstaltungsseite werden Workshops und praktische Demonstrationen angeboten.
Bei SITRA entwickelte sein Team mit den Mitarbeitenden unter anderem ein Modell, um auf Basis von Werten wie Lademeter, Transportgewicht und Transportentfernung den Preis für einen entsprechenden Auftrag zu ermitteln, basierend auf einem Lern-Algorithmus. Merlin A. Müller spricht von einem Kulturwandel: „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben die Scheu vor wissenschaftlichen Tools verloren.“ Das gelingt auch durch das psychologische Geschick des Expertenteams. Das von Prof. Kersten startet gern mit Lego. Über die „Serious-Play-Methode“ wird versucht, komplexe Probleme spielerisch zu lösen.
Das Digital-Zentrum Hamburg berät vielfältig. Silo-Denken war gestern. Die Liste der Partner reicht von der Dello-Gruppe aus der Fahrzeugbranche über den Hard- und Software-Spezialisten MAKE WORK FLOW bis hin zu Eneg, einem Mittelständler, spezialisiert auf Gebäude- und Energietechnologie. Mit Eneg entwickelte das Kompetenzzentrum eine Datenbank.
Überraschend findet sich auch Gasnetz Hamburg auf dieser Liste, obwohl das Unternehmen als Betreiber des Erdgasnetzes mit rund 160 000 Hausanschlüssen und fast 230 000 Kundinnen und Kunden alles andere als ein Mittelständler ist. HAW-Fachleute entwickelten mit dem Unternehmen ein digitales Auftragsmanagement. Dr. Daniel Frank, Fachbereichsleiter Qualitätsmanagement bei Gasnetz Hamburg, spricht von „exzellenten Anregungen für die Lösung unserer Herausforderungen“. Sie würden die Personal- und Einsatzplanung erleichtern und die externen Dienstleister besser einbinden.
Wolfgang Kersten findet es positiv, dass selbst große Unternehmen als Partner ins Boot kommen: „Davon profitieren auch die Mittelständler.“ Der Wissenschaftler lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig Themen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind: „Die Kleinen und Mittleren müssen mithalten, wenn die Großen diesen Weg gehen. Der Handlungsdruck ist enorm.“
Der Exot unter den Partnern ist Schurr Gerätebau. Das Unternehmen aus Baden-Württemberg fertigt vor allem Kuhbürstensysteme, mit denen sich das Tier selbstständig reinigen kann. Allerdings sind in den Ersatzteilen nur metallische Plaketten mit eingravierten Seriennummern angebracht. Geht etwas kaputt, rufen die Landwirte an – aufwendig und damit teuer für das Unternehmen. Das Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg entwickelte als Lösung QR-Codes, damit die Bauern über ihre Smartphones Ersatzteile ordern können. Möglich war diese Hilfestellung, weil die regionalen und thematischen Zentren im bundesweiten IHK-Netzwerk „Mittelstand“ kooperieren. Silo-Denken war eben wirklich gestern.