Schauerleute sucht man an der Hamburger Kaikante heute vergeblich – zum Glück. „Im Hafen sehnt sich niemand mehr danach, schwere Säcke schleppen zu müssen“, sagt Bernd Mann, Vorstandsvorsitzender der iSAM AG. Das auf Automatisierungstechnik spezialisierte Unternehmen gehört seit 2020 zur Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA). Wie bei Industrie, Mobilität und anderen Branchen schreitet die Automatisierung bei der HHLA rasant voran.
Als Anfang der 1980er-Jahre das unternehmensübergreifende Datenkommunikationssystem DAKOSY den Datenaustausch beim Seegüterumschlag vereinfachte, wurden die Fahrerkabinen der Portalhubwagen, den sogenannten „Van Carriern“ (VCs), für den Containertransport auf dem Container Terminal Burchardkai (CTB) mit Displays ausgestattet und ans Rechenzentrum angebunden. Bereits seit Gründung des Container Terminals Altenwerder (CTA) werden automatisierte, computergelenkte, batteriebetriebene Containertransporter (Automated Guided Vehicles, AGVs) eingesetzt.
Als Schlüsseltechnologie durchdringt Künstliche Intelligenz (KI) immer mehr Bereiche der Wirtschaft wie Robotik, Fahrassistenz, Bild- oder Sprachverarbeitung. Auf dem CTB optimieren KI-Programme die Lagerung der Container im Automatiklager, außerdem setzt die HHLA Bilderkennung für die Inspektion von Containerbrücken ein.
KI für den Mittelstand
Die GermanAI GmbH in der Elbchaussee ist angetreten, um mittelständischen Unternehmen zu helfen, das volle Potenzial von Künstlicher Intelligenz zu nutzen. Die Fachleute zeigen Chancen und Risiken für das individuelle Geschäftsmodell und entwickeln die passende KI-Strategie/-Roadmap bis zur Umsetzung. Für Mittelständler gibt es ein umfangreiches Trainingsangebot mit monatlichen Terminen vom KI-Grundkurs für Anwender bis hin zum Prompt Engineering für Entwickler. Um Geschäftsideen zu pilotieren und an den Markt zu bringen, stellt GermanAI Gründerteams für Start-ups zusammen.
Die Bahntochter Metrans will digitale Abbilder (Digital Twins) von Güterwaggons einsetzen, um Schäden automatisiert schneller zu erkennen. Wie die Digitalisierung Hafenjobs verändert, lässt sich beispielsweise bei der HHLA-Tochter HVCC Hamburg Vessel Coordination Center beobachten. Das Team koordiniert rund um die Uhr Schiffsankünfte und -abfahrten – am Schreibtisch vor großen Monitoren.
Auch die Reederei Hapag-Lloyd setzt KI ein, beispielsweise um E-Mail-basierte Kundenanfragen den richtigen Mitarbeitenden zuzuordnen, damit diese schneller und besser helfen können. „KI ist auch im Einsatz, um Hapag-Lloyds Container-Transporte möglichst effizient durch das globale Netzwerk zu steuern“, sagt Florian Heinemann, Senior Director Business Intelligence & Analytics. Als weiteres Beispiel nennt er die intelligente Bepreisung von Neugeschäften, um, wie er sagt, „unnötige Leertransporte weitestgehend zu vermeiden“.
Mitarbeitende müssen sich weiterbilden, damit ihr Know-how auf dem Stand der Technik ist. Den Bedarf der Wirtschaft veranschaulicht eine Analyse des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zu KI-Einsatzbereichen in Deutschland. Allein im ersten Quartal 2023 gab es 16 387 KI-Stellenanzeigen, ein Großteil davon allein in Hamburg. Bedarf haben vor allem Unternehmen aus den Bereichen Sensorik, Automobil, Optik und Medizintechnik. An Alster und Elbe wird ein Großteil der KI-Jobs in den Bereichen Business Intelligence und Big Data sowie Beratung ausgeschrieben.
Seit die Handelskammer im Jahr 2020 ihr Standpunktepapier „Künstliche Intelligenz – Chancen für die Hamburger Wirtschaft nutzen“ veröffentlichte, hat sich viel verändert. Bei einer branchenübergreifenden Umfrage im Juni 2020 gaben erst 17 Prozent von 269 teilnehmenden Hamburger Unternehmen an, Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz zu nutzen.
Die Kammer fordert, die Hansestadt zum „Zentrum für angewandte nachhaltige KI“ zu entwickeln. Zentrale Maßnahmen: Aufklärung über Einsatzmöglichkeiten, verbesserte Datengrundlage, Stärkung der KI-Wissenschaftslandschaft, Förderung eines Hamburger KI-Fachkräftepools. Inzwischen hat sich das Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) in der Metropolregion als themen- und branchenübergreifendes Know-how-Center für KI etabliert. ARIC bietet mit Kooperationspartnern aus Wirtschaft und Wissenschaft Kurse, Trainings und Weiterbildungsmodule zu unterschiedlichen Themenbereichen an.
Längst betreiben Industrieunternehmen wie IBM oder Philips in der Hansestadt eigene KI-Forschungseinrichtungen. Daneben entwickeln nach Angaben von ARIC 125 KI-Start-ups innovative Lösungen. Zum ARIC-Netzwerk gehört etwa die SimCog Technologies GmbH, die auf unternehmensspezifische Machine-Learning/KI-Lösungen am Standort Hamburg spezialisiert ist und Betrieben aus den Branchen Pharma, Logistik oder Energiemanagement beim Aufbau von KI-Kompetenzen unterstützt.
Jungheinrich beispielsweise hat sich für einen anderen strategischen Schritt zur Stärkung der Automatisierungskompetenz entschieden. Der Hamburger Intralogistiker übernahm im August 2023 den Robotik-Spezialisten Magazino mit einem der größten Entwicklungsteams Europas in der mobilen Robotik. Das System ist in Lagern von Industriekunden, Online-Händlern und Logistikdienstleistern im Einsatz.
Der Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group hingegen hat im vergangenen Oktober einen eigenen Chatbot gelauncht, der auf ChatGPT-Technologie für KI-Textverarbeitung basiert. Rund 26 000 Mitarbeitende im deutschsprachigen Raum können den KI-Assistenten „ogGPT“ mit konzerninternen Informationen nutzen. Zusätzlich zur Chatfunktion lassen sich Dokumente oder „Knowledge-Bases“ hochladen, zu deren Inhalt die sichere, datenschutzkonforme Lösung befragt werden kann. Die interne Support-Unit „Discover-AI-Community“ bietet konkrete Hilfestellung sowie spezielle Online-Trainings für Fachleute aus technischen Bereichen, aber auch Neulinge an. Alexander Birken, CEO der Otto Group, will, wie er sagt, „Anwendungen wie ogGPT kontinuierlich weiterentwickeln“.
Der Hamburg Airport hat eine automatisierte Gepäckabfertigung mit der KI-Lösung „PSIairport/BHS“ in einer Testumgebung installiert. An der Förder- und Sortieranlage erfassen hochauflösende Kameras kontinuierlich in Echtzeit die mit den Flug- und Passagierdaten verknüpften Gepäckstücke und deren Barcodes.
Zwar verändern sich viele Jobs in Hamburg unaufhaltsam durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz, spezialisierte Fachkräfte sind in Zukunft aber umso mehr gefragt. Denn Menschen finden kreative Umwege und treffen dank ihrer Erfahrung Entscheidungen, „die außerhalb programmierbarer Routinen liegen“, sagt iSAM-Chef Bernd Mann. Im Hafen werde es auch auf automatisierten Terminals wie dem CTA künftig genug Arbeit geben, „allerdings eher in Bereichen wie Steuerung, Disposition oder Wartung“. Für diesen Transformationsprozess will die HHLA besonders in Qualifizierung und Weiterbildung investieren.