„Mental Health ist Führungsaufgabe“

Psychische Erkrankungen haben massiv zugenommen. Für Führungskräfte ist es deshalb wichtig, sich dem Thema zu widmen und den Umgang mit Betroffenen bewusst zu gestalten. Dabei helfen externe Einrichtungen wie das Fürstenberg Institut.
Fürstenberg Institut / Verena Reinke
Das Fürstenberg Institut berät Unternehmen und ihre Mitarbeitenden gezielt zu Fragen der psychischen Gesundheit.

Von Birgit Reuther, 7. Juni 2024 (HW 3/2024)

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Fürstenberg Institut / Verena Reinke
Reinhild Fürstenberg ist die Geschäfts­führerin des Fürstenberg Institutes

„Für die Produktivität eines Unternehmens, gerade in Hinblick auf den Fachkräftemangel, ist psychische Gesundheit ein immens wichtiger Faktor“, erklärt Reinhild Fürstenberg. Seit 1989 bietet die Hamburger Gesundheitsheitswissenschaftlerin und Familientherapeutin in ihrem Fürstenberg Institut individuell zugeschnittene Mental Health Coachings an. Ihr Team, das Mitarbeitende von Unternehmen bundesweit an 80 Standorten berät, ist spezialisiert darauf, Führungskräfte im Umgang mit seelischen Problemen zu unterstützen und zu qualifizieren. Denn, so die Expertin: „Mental Health ist Führungsaufgabe.“

Von 2011 bis 2021 erhöhte sich die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland um mehr als 18 Prozent und die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage um über 53 Prozent, ergab eine Umfrage der AOK – und die Tendenz ist ungebrochen, wie weitere Studien zeigen. Das mentale Wohlbefinden der Mitarbeitenden ist für Betriebe schon deshalb eine zentrale Frage. Inzwischen beschäftigen Konzerne wie OTTO interne Mental-Health-Spezialistenteams; zahlreiche andere Firmen nehmen externe Beratung in Anspruch – und bieten diese auch ihren Mitarbeitenden an. Das Fürstenberg Institut etwa arbeitet in Hamburg unter anderem mit Jungheinrich, Statista und der Handelskammer zusammen.

Gute Rahmenbedingungen schaffen

„Mental Health steht viel stärker als vor 20 Jahren auf der Agenda der Führungsebene“, sagt Fürstenberg. Allerdings dauere es nach wie vor zu lange, bis in Unternehmen über psychische Probleme gesprochen wird, vor allem bei Suchterkrankungen. Besonders hoch sei die Burnout-Rate bei Lehrkräften, in sozialen Berufen sowie in der Verwaltung, aber auch bei schnell wachsenden Start-ups im IT-Bereich. Denn viele Chefs sind dort aus dem eigenen Team hervorgegangen und konnten bei diesem raschen Upgrade kaum Führungskompetenzen erlernen.

Wie wichtig es für Firmen ist, das Thema mentale Gesundheit in den Fokus zu rücken, zeigt etwa der Mental Health Report des Versicherungsunternehmens AXA vom März 2024. 31 Prozent der Befragten in Deutschland gaben an, psychisch erkrankt zu sein: Sie leiden unter Depressionen, Angst-, Ess- und Zwangsstörungen. Besonders betroffen sind junge Menschen und Frauen. Die Umfrage zeigt, dass ein unterstützendes Umfeld und therapeutische Behandlung essenziell sind, um Krankheitsverläufe abzumildern und Betroffene zu stabilisieren. 57 Prozent erklärten, dass sie professionelle Hilfe in Anspruch genommen haben, um wieder gesund zu werden.

Häufig starte der Beratungsprozess mit einem akuten Einzelfall, der sich jedoch auf die gesamte Firma auswirken kann, erläutert Fürstenberg. „Hat eine Person wegen einer psychischen Erkrankung lange Ausfallzeiten, klappen wegen der Mehrbelastung im Extrem ganze Abteilungen hintereinander weg.“ Im Coaching des oberen Managements unterscheidet die Expertin zwei Bereiche: Über Workshops und Gespräche unterstützt sie Führungskräfte dabei, mit psychisch erkrankten Mitarbeitenden und Belastungen im Team umzugehen. Und sie hilft leitenden Angestellten dabei, persönliche Krisen und Konflikte anzugehen.

Neben der individuellen Beratung gehe es vor allem darum, mit dem Corporate Health Consulting umfassende Rahmenbedingungen für mentale Gesundheit im Betrieb zu schaffen. Dazu zähle auch, eine Kommunikationsleitlinie zu erstellen, um den Grat zwischen Fürsorge und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden zu definieren. Wenn sich etwa jemand schon länger zur Arbeit nur noch schleppt, sei eine Nachfrage wie „Kann ich dich unterstützen?“ angebracht. Führungskräfte sollten die Situation achtsam beobachten und ihre Sorge artikulieren. Sie sollten jedoch nicht versuchen, private Probleme von Beschäftigten zu lösen, sondern externe Hilfsangebote aufzeigen. Wichtig sei zudem, regelmäßig eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, um Belastungsschwerpunkte zu erkennen und zu beheben.

Prinzipiell gehe es darum, für eine angemessene Auslastung der Mitarbeitenden zu sorgen: „Wenn ich meine Arbeit ständig nicht schaffen kann, ist das nicht gesund“, so Fürstenberg. Als Ursachen für gestiegenen Druck sieht sie auch die Corona-Pandemie und die aktuellen Kriege, die Inflation und Unsicherheit um den Arbeitsplatz. „Häufig besteht der Anspruch, trotz veränderter Herausforderungen den alten Status quo aufrechtzuerhalten.“ Doch um die Renditeziele zu erreichen, sei es effektiver, das Erreichbare im Auge zu behalten, statt Ausfälle oder gar Kündigungen zu riskieren, die zu hohen Verlusten führen können.

HPA: Psychische Gesundheit im Fokus

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Lina Ehmer-HPA
Christina Kitzmann, Head of Health Department bei der HPA

Bei der Hamburg Port Authority, kurz HPA, ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) direkt an die Geschäftsführung angebunden. „Das bringt eine höhere Sichtbarkeit in der Unternehmensorganisation und verdeutlicht gleichzeitig den Stellenwert des Themas Gesundheit im Unternehmen“, erklärt Christina Kitzmann, Head of Health Department bei der HPA. Ganz gezielt sorgt ihr Team unter anderem dafür, Führungskräfte für das komplexe Feld der psychischen Gesundheit zu sensibilisieren und eine offene Unternehmenskultur zu etablieren, in der Stigmata und Tabus abgebaut werden.

Ein Mental-Health-Fokus in Feedback- und Jahresgesprächen soll dafür sorgen, Warnsignale bei Beschäftigten frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig Unterstützung anzubieten. Homeoffice- und Teilzeitregelungen zählen für Kitzmann ebenso zu gesunden Arbeitsbedingungen wie Angebote zu Achtsamkeit und Resilienz. Und da Menschen mit psychischen Beschwerden oftmals Schwierigkeiten haben, einen Therapieplatz zu finden, kooperiert die HPA mit einem externen Anbieter, um für Mitarbeitende und deren Angehörige schnelle Hilfe zu ermöglichen.

Zudem bietet das Health Department drei eigens für den Bedarf der HPA entwickelte Seminare für Führungskräfte an. In dem Format „Gesund führen – sich und andere“ reflektieren diese ihr eigenes Gesundheitsverhalten. Das Seminar „Schön, dass du da bist“ befasst sich mit wertschätzendem Miteinander vor, während und nach einer Krankheit. Und in dem Kurs „Wenn Verhalten aus dem Rahmen fällt“ lernen Führungskräfte spezifische Krankheitsbilder und ihre eigene Rolle im Umgang mit psychisch Erkrankten kennen. „Ein wichtiger Aha-Effekt entsteht immer dann, wenn Führungskräfte auf externe Betroffene treffen und diese erzählen, was ihnen im Arbeitskontext während ihrer Depression geholfen hat“, erzählt Kitzmann. „Grundsätzlich sollten Führungskräfte wissen, welche starke Vorbildrolle sie haben und welche Einflussfaktoren es in Bezug auf Gesundheit gibt.“


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