„Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen“

20 000 Beschäftigte arbeiten weltweit für die Lufthansa Technik Group. In Hamburg schlägt das Herz des Unternehmens. Personalchef Dr. Frank Bayer spricht über die schwierige Suche nach Auszubildenden, den Fachkräftemangel und die Faszination Fliegen.
Mike Schaefer
Der promovierte Jurist Frank Bayer, Jahrgang 1972, ist seit Januar 2021 Personalchef der Lufthansa Technik Group.

Interview: Andreas Eckhoff und Peter Wenig, Fotos: Mike Schaefer, 10. Februar 2023 (HW 1/2023)

Herr Dr. Bayer, Sie waren viele Jahre Chefjurist bei Lufthansa Technik. Seit Januar 2021 sind Sie Personalchef. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Lufthansa_Technik_Bayer-136
Mike Schaefer
 

Dr. Frank Bayer: Ich habe mich immer für das Thema Personal interessiert. Und als durch das bei Lufthansa Technik gepflegte Rotationsprinzip im Management ein Wechsel für mich anstand, habe ich mich gefragt: Was fasziniert mich? Wie könnte der nächste Schritt für mich aussehen? Die Herausforderung, Menschen für dieses Unternehmen zu begeistern, hat mich gereizt. Hier geht es darum, den Betrieb am Laufen zu halten.

Fast alle Unternehmen beklagen, dass es immer schwieriger wird, Fachkräfte und Auszubildende zu finden. Wie ist die Lage bei Lufthansa Technik?

Auch für uns ist die Situation nicht einfach. Wir spüren die Folgen der geburtenschwachen Jahrgänge. Und es gibt den Trend zur Akademisierung. Viele streben das Abitur und anschließend ein Studium an. Das macht es auch uns extrem schwer, die Lücken zu füllen. Allerdings haben wir den Vorteil, dass wir nach wie vor ein sehr attraktiver Arbeitgeber sind, der eine enorme Bandbreite von Jobs anbietet.

Es gab allerdings auch andere Zeiten …

Sie spielen auf den größten Personalabbau in der Geschichte von Lufthansa Technik an. Die Auswirkungen der Pandemie haben uns sehr gefordert. Das war wirklich eine extreme Zeit. Es ging um das Überleben des Unternehmens. Deshalb haben wir rund 300 Mitarbeitenden, die noch in der Probezeit waren, kündigen müssen. Ein bitterer Schritt. Aber im Rückblick kann ich sagen, dass wir den Umbau gut gemeistert haben. Und wir haben dabei den Kontakt zu vielen Betroffenen gehalten. Das hat sich nun nach der Bewältigung der Krise ausgezahlt. Wir haben im Recruiting geschaut, ob wir Mitarbeitende, die damals gehen mussten, wieder für uns gewinnen können. Das ist uns in mehreren Fällen gelungen.

Wir spüren die Folgen der geburtenschwachen Jahrgänge.

 

Worauf schauen Sie bei Bewerbungen?

Wir haben weiter einen Qualitätsanspruch, von dem wir nicht abrücken. Fachkräfte müssen eine entsprechende Ausbildung vorweisen oder bereit sein, eine Umschulung zu machen. Diese Kolleginnen und Kollegen werden dann über zwölf bis 18 Monate qualifiziert. Zeugnisse sind nicht das Wichtigste, auch nicht die Schulnoten bei den Bewerbungen für Ausbildungsplätze. Auch Bewerber mit dem Ersten Schulabschluss haben bei uns eine Chance. Entscheidend ist für uns, ob die Bewerberinnen oder die Bewerber zum Unternehmen passen. Sind sie teamfähig? Brennen sie für das Thema Technik? Aber ja, es wird immer schwieriger, geeignete Kandidaten zu finden. Wir haben allein im Bereich Elektronik 100 offene Stellen.

Kann man zugespitzt sagen, dass sich früher die Menschen bei Ihnen beworben haben, während heute Sie sich bei den Menschen bewerben?

Ja, das würde ich schon sagen. Das gilt nicht nur für uns, sondern fast überall. Der Personalmarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt gedreht. Früher hatten unsere Recruiter primär die Aufgabe, aus der Fülle der Bewerber diejenigen herauszusuchen, mit denen man sich trifft, Gespräche führt und dann den richtigen oder die richtige auswählt. Heute müssen wir bei manchen Berufen im Fachkräftebereich Headhunter einsetzen. Wir suchen inzwischen sogar im Ausland mit Headhuntern nach Fachkräften.

Lufthansa_Technik_Bayer-166
Mike Schaefer
 

In welchen Ländern?

Aktuell sind wir in Marokko sehr erfolgreich. Potenziell schauen wir auf Länder, in denen Triebwerksmechaniker ausgebildet werden – mit Schwerpunkt auf Europa und Nordafrika. In diesem Jahr wollen wir 60 Mechanikerinnen und Mechaniker einstellen, die nicht aus Deutschland kommen.

Wie lösen Sie das Sprachproblem?

Englischkenntnisse sind unabdingbar, aber wir wollen natürlich die Menschen hier richtig integrieren. Daher unterstützen wir sie bei Deutschkursen, helfen bei Behördenterminen und bei der Wohnungssuche.

Dr. Frank Bayer,

geboren 1972 in Rotenburg/Wümme, ist seit Januar 2021 Personalchef der Lufthansa Technik Group. Der Jurist begann seine Karriere in der Unternehmensgruppe 2005 als Legal Counsel und bekleidete anschließend mehrere Führungspositionen im Lufthansa-Konzern. Vor seinem Wechsel in den Personalbereich arbeitete er vier Jahre als Head of Legal, Corporate Affairs and Compliance der Lufthansa Technik Group. Frank Bayer lebt mit seiner Familie in Kiel.

Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist in Hamburg ja in der Tat ein großes Problem, gerade für Auszubildende. Gibt es bei Lufthansa Technik Wohnheime?

Nein. Wohnheime haben wir nicht. Aber die Auszubildenden bekommen eine überdurchschnittliche Vergütung, ein 13. Gehalt und einen Mietgeldzuschuss von bis zu 240 Euro im Monat. Und wir unterstützen sie auch bei Familienheimfahrten. Es gibt das HVV-Jobticket und ein bezuschusstes Kantinenessen. Dennoch ist es schwierig, von einem Azubi-Gehalt in einer so teuren Stadt wie Hamburg zu leben. Und vielleicht müssen wir uns irgendwann auch mit der Frage von Wohnunterkünften beschäftigen. Wir möchten allein in Hamburg dieses Jahr 200 Azubis an Bord nehmen. Da müssen wir kreativ sein, denn die Konkurrenz schläft ja nicht.

Wie kreativ sind Sie denn in der Akquise?

Da gehen wir wirklich neue Wege. Wir sind in der Stadt präsent, etwa mit Werbungen im HVV-Bereich, zwei Busse sind gebrandet mit „Lufthansa Technik“. Wir sind in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Auf LinkedIn stellen wir gerade wie bei einem Quiz Fragen zu unserem Unternehmen. Die Antwortgeber, die damit einverstanden sind, kontakten wir. Und wir sind wieder viel stärker in den Schulen und Hochschulen unterwegs, zeigen konkret, was wir hier für spannende Themen bewegen.

Der Personalmarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt gedreht.

 

Zahlen Sie Mitarbeitenden Prämien, wenn sie Kollegen anwerben?

Ja, bei unserem internen Programm können Mitarbeitende 2000 Euro für die Vermittlung eines Mitarbeitenden und 1000 Euro für die Vermittlung eines Auszubildenden bekommen. Das ist ein sehr erfolgreicher Kanal, auch abseits der Prämien. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert.

Viele Personaler sehen die Generation Z, also die jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, mit einer gewissen Skepsis. Sie würden zu sehr auf die viel zitierte Work-Life-Balance achten …

Ich möchte das nicht verallgemeinern. Es stimmt aber, dass für viele aus dieser Generation das Gehalt nicht mehr an erster Stelle steht. Sie wollen Flexibilität in der Arbeitswelt. Aber da sind wir gut aufgestellt, ermöglichen flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, etwa in der Administration. Im Schichtdienst ist dies nur begrenzt möglich. Aber auch da bieten wir Teilzeit an.

Lufthansa_Technik_Bayer-78
Mike Schaefer
 

Wie unterstützen Sie Weiterbildungsmaßnahmen?

Wir sind daran interessiert, dass unsere Mitarbeitenden sich weiterbilden können und unterstützen dies, unter anderem über die Angebote des Lufthansa Group Campus. Und wir haben einen sehr gut gefüllten Bildungsfonds für Schichtgänger, auf den man sich bewerben kann.

Vor fast 50 Jahren sang Reinhard Mey: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Da hatte das Fliegen noch eine ungeheure Faszination. Heute assoziieren viele mit Flugreisen eher Flugscham. Nachhaltigkeit ist das große Thema.

Unsere Branche steht hier auf der Watchlist. Aber wir haben auch Antworten, gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit. Wir forschen an Lösungen, um den Treibstoffverbrauch zu verringern, denken Sie nur an die von uns für Flugzeuge entwickelte Haifischhaut. Wir beschäftigen uns mit Wasserstoff-Technologie. Und nicht zu vergessen: Wir reparieren, wir setzen instand. Wir tun alles, um Flugzeugteile möglichst lange im Lebenszyklus zu erhalten.

Klar ist zudem, dass Milliarden Menschen auf der Welt fliegen wollen. Auch für unsere Mitarbeitenden ist Fliegen weiterhin attraktiv: Nach wie vor zählen Flugvergünstigungen, die wir als Teil des Lufthansa-Konzerns Beschäftigten bieten, zu den wichtigen Benefits. Junge Menschen wollen die Welt erkunden. Es ist auch Teil unseres Ausbildungskonzeptes, Menschen die Möglichkeit zu bieten, Stationen im Ausland zu absolvieren.

Die Zahl der Geflüchteten steigt, vor allem durch den Krieg in der Ukraine. Darunter sind viele Kinder und Jugendliche. Kann dies auf Sicht den Personalmarkt entlasten?

Grundsätzlich schauen wir uns jeden Markt an. Und wir nehmen diese Menschen gern an Bord. Allerdings haben wir die Herausforderung der Zuverlässigkeitsüberprüfungen. Wer bei uns anfangen will, braucht Dokumente, die nachweisen, dass man sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Wir arbeiten nun mal in einem sicherheitsrelevanten Bereich. Diese Überprüfung dauert bei den Behörden selbst für deutsche Staatsangehörige inzwischen länger. Und für Geflüchtete ist es oft schwierig, an diese Dokumente aus dem eigenen Land zu kommen.

Lufthansa_Technik_Bayer-18
Mike Schaefer
 

Auch abgesehen von Zuverlässigkeitsüberprüfung ist Sicherheit der wohl wichtigste Faktor bei Ihrem Unternehmen. Wie vermitteln Sie Ihren Auszubildenden, dass ein kleiner Fehler, etwa bei der Triebwerkswartung, eine Katastrophe auslösen kann?

Als Unternehmen setzen wir auf eine gute Fehlerkultur. Für uns ist es extrem wichtig, dass jeder Beschäftigte mit Fehlern offen umgeht und diese sofort berichtet. Das Schlimmste wäre, wenn einem Mechaniker eine Schraube ins Triebwerk fällt, er nichts sagt und das Triebwerk dann in der Luft ausfällt. Deswegen lehren wir von Tag eins an: Wenn du einen Fehler machst oder einen Fehler siehst, sprich darüber! Wir haben ein sehr ausgereiftes, ausgeklügeltes System entwickelt, was unsere Qualität angeht. Darauf sind wir sehr stolz, das ist Teil unserer DNA.

Seit Jahren stellen Sie auch Gehörlose ein. Ist das für ein Unternehmen, das so stark auf Teamarbeit setzt, eine Herausforderung in der Kommunikation?

Seit 2000 bilden wir Gehörlose aus, wir haben bislang jeden übernommen, wenn die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wurde. Gebärdendolmetscher stehen ihnen zur Seite. Mich berührt sehr, dass sich mehrere Kolleginnen und Kollegen die Gebärdensprache angeeignet haben, um leichter mit diesen Kolleginnen und Kollegen kommunizieren zu können. Inzwischen gehören zu unserer Stammmannschaft rund 40 Mitarbeitende mit einer Hörbehinderung.

Lufthansa_Technik_Bayer-235
Frank Bayer im Gespräch mit den HW-Autoren Andreas Eckhoff (li.) und Peter Wenig (Mi.)

Lassen Sie uns den Blick weiten. Was könnte Hamburg, was könnte Deutschland im Kampf gegen den Fachkräftemangel besser machen?

Für mich gehört dazu als Erstes die Erkenntnis, dass wir es ohne qualifizierte Zuwanderung nicht schaffen werden. Denn die Herausforderung wird ja nicht kleiner. Viele Beschäftigte werden in den nächsten Jahren verrentet. Deshalb müssen wir offen sein für Migration. Derzeit erleben wir einen wahnsinnig langwierigen und anstrengenden bürokratischen Prozess, um Menschen aus dem Ausland zu holen, die hier arbeiten möchten. Aber das kann nicht nur die Aufgabe der öffentlichen Hand sein. Wir müssen uns als Gesellschaft öffnen.

Was ist noch wichtig?

Wir müssen die duale Ausbildung attraktiver machen. Wir müssen es schaffen, dass wieder mehr junge Menschen Gefallen daran finden, eine Ausbildung zu machen. Viele denken, dass man nur nach einem Studium gut verdienen kann. Dabei ist dies auch nach einer Ausbildung in der Logistik oder im Handwerk sehr wohl möglich. Aber wir reden auch über ein Imageproblem des Handwerks. Wir müssen daran arbeiten, dass handwerkliche Berufe in der Gesellschaft wieder mehr geschätzt werden. Wir brauchen den Nachwuchs.

Plädieren Sie für ein höheres Renteneintrittsalter, damit Fachkräfte länger im Job bleiben?

Nein. Ich würde stattdessen lieber die Bereitschaft fördern, nach der Rente freiwillig weiterzuarbeiten. Viele wollen das. Das ist auch unsere Stoßrichtung. Wir gucken gerade sehr stark darauf. Wir wollen hier auch ein Programm namens Senior Experts einführen, das sich genau darum bemüht.

Wir müssen die duale Ausbildung attraktiver machen.

 

Auf der anderen Seite ist gerade die handwerkliche Tätigkeit sehr herausfordernd. Was tun Sie, damit ältere Beschäftigte fit bleiben?

Wir haben im vergangenen Jahr ein betriebliches Gesundheitsmanagement mit zwei Stellen neu geschaffen. Diese Kolleginnen und Kollegen kümmern sich um Programme wie Rückenschule oder Mentaltrainings.

Was stimmt Sie gerade für Lufthansa Technik optimistisch?

Dass wir ein sehr attraktiver Arbeitgeber sind. Wir haben nicht nur eine Produktionslinie, sondern viele spannende Tätigkeitsbereiche, kümmern uns um Flugzeugtypen unterschiedlicher Hersteller, von Airbus über Boeing bis zu Bombardier. Wir rüsten Privatflugzeuge für den VIP-Bereich aus. Und wir treiben die Digitalisierung unserer Branche voran, haben beispielsweise gerade Lufthansa Industry Solutions aus Norderstedt übernommen und werden damit noch enger mit deren IT-Spezialisten zusammenarbeiten. Aus all den genannten Gründen ist mir vor der Zukunft nicht bang.

Lufthansa Technik

ist einer der weltweit führenden Anbieter für flugzeugtechnische Dienstleistungen. Das Unternehmen betreut vor allem kommerzielle Fluggesellschaften, daneben aber auch Betreiber von VIP-, Special-Mission- und militärischen Flugzeugen. 1995 als Aktiengesellschaft aus der Deutschen Lufthansa AG ausgegründet, umfasst Lufthansa Technik heute rund 35 Tochter- und Beteiligungsunternehmen und beschäftigt mehr als 20 000 Menschen auf der ganzen Welt. Für 2022 erwartet Lufthansa Technik ein Rekordergebnis (Adjusted EBIT) in Höhe von etwa 500 Millionen Euro.

Beteiligen Sie sich an der Diskussion:
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
Ihr Name wird mit ihrem Kommentar veröffentlicht.
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.
Das Kommentarformular speichert Ihren Namen, Ihre E-Mail-Adresse und den Inhalt, damit wir die auf der Website abgegebenen Kommentare verfolgen können. Bitte lesen und akzeptieren Sie unsere Website-Bedingungen und Datenschutzerklärungen, um einen Kommentar abzugeben.
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments