Perspektive für den Einzelhandel

Erst Corona, dann Inflation und Kaufzurückhaltung: Die Rahmenbedingungen für Hamburgs Einzelhandel trüben sich ein. Doch gibt es auch Erfolgsmodelle.
Visualisierung BIWERMAU Architekten bloomimages
Am Gänsemarkt entsteht derzeit ein Neubau mit rund 17 000 Quadratmetern Nutzfläche für Einzelhandel, Büros, Gastronomie und Wohnungen. So soll das Objekt nach seiner Fertigstellung aussehen.

Von Jochen Harberg, 11. April 2023 (HW 2/2023)

Am 3. März setzte Claas Gefroi, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Hamburgischen Architektenkammer, einen viel beachteten Tweet ab. „Und so stirbt Stadt“, schrieb er. „Nach fast 93 Jahren schließt Büromarkt Hansen, ein traditionsreiches Schreibwarengeschäft im Hamburger Schanzenviertel, am 17. März für immer. Weil Vermieter brutal hohe Mieten verlangen und immer mehr Leute sogar die Packung Buntstifte bei Amazon bestellen.“ Fünf Tage später erfolgte im „Hamburger Abendblatt“ die Bestätigung der Schließung des familiengeführten Betriebes durch Geschäftsführer Christian von Jutrczenka: „Im Moment fühlt es sich an wie auf einer Beerdigung. Man kann Einzelhandel heute niemandem mehr empfehlen.“

Hamburg ist eine Stadt mit hoher Kaufkraft, in der sich viele Menschen die Erfüllung ihrer Wünsche nach wie vor leisten können.

Heiner Schote

Ist das wirklich so? „Solche Meldungen stimmen auch uns traurig“, sagt Einzelhandelsexperte Heiner Schote von der Handelskammer. Aber seinen Erfahrungswerten entspreche eine derart trübe Sichtweise nicht. Einmal pro Quartal erhebt die Handelskammer eine Konjunkturbefragung, zuletzt zum Jahreswechsel. Das Ergebnis liest sich laut Schote seit einiger Zeit in etwa gleichlautend: „Die Einzelhandelsunternehmen bewerten die aktuelle Geschäftslage alles in allem eher positiv.“

Klar ist: Aktuelle Konjunkturbremsen wie hohe Inflation und steigende Lebenshaltungskosten drücken auf Gemüt und Geschäftsergebnisse. Aber vor allem Corona hat für eine „Zeitenwende“ im Einzelhandel gesorgt. Die erzwungenen Schließungen vieler Läden und damit ausbleibende Einnahmemöglichkeiten brachten zahlreiche Handeltreibende dazu, ihr Geschäftsmodell samt Sortiment zu über- und in Teilen auch komplett neu zu denken.

Ein weiterer Beratungsschwerpunkt der Handelskammer, die auch über das Angebot der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB) informiert, ist darüber hinaus das wichtige Thema „Finanzierung“, berichtet Schote. Für das bestehende Geschäft oder auch für ein neues Business. Aber selbst Unternehmen in der Krise könne man manchmal noch helfen, „wenn sie denn rechtzeitig zu uns kommen“.

Wichtiger denn je ist es heute für die Geschäftsleute, ganz individuell zu erkennen, mit welchem Sortiment und mit welchen Services sie besonders gut punkten können. „Die Menschen, die zu Ihnen in den Laden kommen, sind Ihre treuesten Kundinnen und Kunden“, erläutert Schote. „Die müssen finden, was sie suchen, die dürfen nicht enttäuscht wieder nach Hause gehen.“ Bestseller also möglichst immer in ausreichender Zahl im Laden vorrätig haben, Kleidung und Schuhe in den gängigsten Größen.

Ausreichende Fachkompetenz, gute Kapitalausstattung, raffinierte Verkaufskonzepte, ausgeklügelte Betriebsabläufe und exzellentes Marketing allein reichen in der Regel nicht aus, um in Einzelhandel oder Gastronomie erfolgreich zu sein. Vielmehr steht und fällt der Geschäftserfolg mit der Wahl des Standortes. Das gilt für neue Unternehmen ebenso wie für bestehende. Geschäftsleute sollten unterschiedliche Standorte unbedingt miteinander vergleichen. Mit den beiden Handelskammer-Checklisten „Standort“ und „Ladengeschäft“ dürfte eine Beurteilung leichter fallen. Zudem verfügt die Kammer über einzelhandelsrelevante Kaufkraft-Kennziffern, die bei der Standortwahl helfen können. Mehr Informationen erhalten Sie hier.

Der nicht verkaufte Sommermantel aus dem Vorjahr hingegen sei eher etwas für den Online-Vertrieb – wobei man herausfinden müsse, welche Plattform oder welcher Online-Marktplatz sich für welches Produkt am besten eignet. Daneben existierten nach wie vor erfolgreiche Einzelhandelsunternehmen, die sich auf ihr Ladengeschäft mit guter Beratung konzentrieren und bewusst auf einen Online-Shop verzichten.

Zudem gibt es in Hamburg einige Quartiere, in denen sich in den vergangenen Jahren erfolgreich neuer Einzelhandel etabliert hat. Als Beispiel nennt Heiner Schote die Neuetablierung einer Geschäftsstraße am Alten Wall nahe dem Rathaus mit einem Nutzungsmix aus Gastronomie und Kultur. In anderen Quartieren seien auch noch neue Wohnungen hinzugekommen.

Ähnliche Projekte gibt es derzeit einige, unter anderem am Gänsemarkt, wo die in die Jahre gekommene „Gänsemarkt-Passage“ gerade abgerissen wird und bis Ende 2025 ein Neubau mit rund 17 000 Quadratmetern Nutzfläche entsteht – auch hier ein Mix aus Einzelhandel, Büros, Gastronomie und Wohnungen. Ebenfalls erfolgreich sind Einkaufszentren wie die Europa Passage in der Innenstadt, das CCB in Bergedorf, das Mercado in Ottensen oder das EEZ ist Osdorf.

So ist Kammermitarbeiter Heiner Schote trotz der herausfordernden Lage für den Hamburger Einzelhandel mit seinen circa 70 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nicht bange: „Hamburg ist eine Stadt mit hoher Kaufkraft, in der sich viele Menschen die Erfüllung ihrer Wünsche nach wie vor leisten können.“

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