Vielfalt im Unternehmen: Verpflichtung und Chance

Diversität ist immer häufiger Teil der Unternehmenskultur, und mehr als 5000 Organisationen haben bereits die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Drei Hamburger Diversitätsbeauftragte berichten, wie diese in ihrem Betrieb gelebt wird.
NDR/AR
Die Eltern-Kind-Büros beim NDR erleichtern es, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Von Marina Friedt, 12. Februar 2024 (HW 1/2024)

Die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt („Diversity“), also unterschiedlicher Lebensweisen und Kulturen, ist in vielen Firmen längst Alltag. Das zeigen auch die mehr als 5000 Unternehmen und Institutionen, die sich bereits über die 2006 initiierte „Charta der Vielfalt“ darauf verpflichtet haben.

Zu den Unterzeichnenden gehört seit November 2008 auch der NDR. Nicole Schmutte wechselte dort 2012 von einer verantwortungsvollen redaktionellen Funktion in einem männerdominierten Arbeitsumfeld auf die Position der Gleichstellungsbeauftragten. Ihr Hauptauftrag: „Mixed Leadership“, also Frauen in leitende Positionen zu befördern. Das erreichte sie insbesondere mit Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, betriebsnahe Kitas wie „Antje“ in Lokstedt und Eltern-Kind-Büros sowohl in Lokstedt als auch am Rothenbaum.

Verändertes Mindset beim NDR

Während 2013 beim NDR nur 29,4 Prozent Frauen in Führungspositionen arbeiteten, betrug ihr Anteil 2017 schon 38 Prozent, wofür die Sendeanstalt 2018 mit dem „Helga-Stödter-Preis der Handelskammer Hamburg“ ausgezeichnet wurde. Ende 2022 waren von 220 Führungskräften 101 Frauen (46 Prozent), bis 2025 sollen die 50 Prozent „geknackt“ sein. „Die besondere Herausforderung bestand darin, aus einer sehr homogenen Belegschaft Diversität zu kreieren, und das kann nicht von einem auf den anderen Tag gelingen“, sagt Nicole Schmutte. „Es gilt, den Kulturwandel anzustoßen, und zudem gilt ‚Qualifikation first‘.“

Dabei gelang es nach und nach, das Mindset bei Verantwortlichen zu ändern und damit auch die Zusammensetzung der Belegschaft – unter anderem durch offen gestaltete Stellenangebote, eine entsprechende Auswahl der Auszubildenden, die Einführung von Diversitäts- sowie Väter- und Mütter-Netzwerken, die Kooperation mit dem Familienservice Benefit@work, die Teilnahme an MINT-Messen, am Boys-und-Girls-Day und am CSD und nicht zuletzt durch die Einführung einer Willkommenskultur. Schließlich mache der NDR auch in Hamburg Programm für alle Menschen dieser Stadt. „Und da in Hamburg fast 40 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte leben, ist es logisch, dass diese Menschen auch bei uns willkommen sind.“

Maßnahmenbündel bei der HOCHBAHN

Auch die Hamburger Hochbahn AG besitzt selbstverständlich einen Gleichstellungsplan – und ist seit 2020 ebenfalls Preisträgerin des „Helga-Stödter-Preises“ für Mixed Leadership. Als erste Diversity-Managerin ist hier seit Oktober 2017 Dr. Nicola Byok aktiv, eine gelernte Juristin und Ägyptologin. Sie kam damals aus der Selbstständigkeit und berät bis heute neben ihrer HOCHBAHN-Tätigkeit Unternehmen im In- und Ausland zur Umsetzung von Diversity.

Byok_Hochbahn
Ulrich Perrey
Dr. Nicola Byok empfing 2020 den „Helga-Stödter-Preis der Handelskammer Hamburg“ für die HOCHBAHN.

„Bei der HOCHBAHN ist Diversity ein strategisches Thema, daher bin ich direkt beim Vorstandsvorsitzenden angehängt“, berichtet Byok, die seinerzeit von einer Headhunterin gefunden wurde. Seit 2017 wurde hier ein bunter Strauß von Maßnahmen umgesetzt. So führt Byok Schulungen zu Diversity und „Unconscious Bias“ (also unbewussten Vorurteilen und Stereotypen) für das HOCHBAHN-Personal durch, um Diskriminierungen vorzubeugen. „Das sind Prägungen, die wir in uns tragen. Im Tagesgeschäft mag man seinesgleichen, und Pinguine stellen Pinguine ein. Das gilt es zu durchbrechen.“

Dafür lohnt sich zudem ein Blick auf männliche und weibliche Kommunikation, immer auch im Hinblick auf die Zielgruppe der Fahrgäste: „Fühlen diese sich in ihrer Vielfalt angesprochen?“, fragt sich die Diversity-Expertin – die dazu beitrug, dass bei der HOCHBAHN der Gebrauch einer geschlechtersensiblen Sprache beschlossen wurde. Darüber hinaus initiierte sie ein Netzwerk für weibliche Führungskräfte. Neben einer Queer-Gruppe entstand im Unternehmen ein Väternetzwerk und ein Zusammenschluss der Kolleginnen aus der Technik. Auch die Gründung externer Netzwerke wie dem „Hamburger Diversity-Netzwerk“  für städtische Unternehmen im Rahmen der Stadtwirtschaftsstrategie geht auf Byoks Initiative zurück.

Eine besondere Herausforderung für die HOCHBAHN ist das Finden junger Fachkräfte. „Die Babyboomer, die in Rente gehen, sind schwer zu ersetzen“, beobachtet Byok. In diesem Jahr soll ein strukturiertes Generationenmanagement eingerichtet werden. Für Mitarbeitende, die sich aus Altersgründen diskriminiert fühlen, gibt es einen formellen Beschwerdeprozess. Und die Förderung von Teilzeit- und anderen Arbeitszeitmodellen könnte die HOCHBAHN attraktiver für junge Generationen machen. Um Möglichkeiten zu erkunden, wurde schon während der Corona-Zeit mit einer Professorin der Kühne Logistik Universität (KLU) eine Studie zu Homeoffice-Arbeitsmodellen erstellt.

Zu den weiteren Diversity-Maßnahmen zählt die Teilnahme am CSD. Dort stand die HOCHBAHN im vergangenen Jahr mit ihrem Pride-Bus in Pink und Regenbogenfarben; in diesem Jahr soll auch ein HOCHBAHN-Truck in der Parade mitfahren. „Im Weiteren wollen wir den Blick noch mehr nach außen richten, also auf die Frage, wie sehr Diversität im öffentlichen Nahverkehr seinen Platz hat“, erklärt die Diversitätsexpertin der HOCHBAHN.

Sensibilisieren für Diversity: bonprix

Auf Diversität verpflichtet hat sich auch der Modeanbieter bonprix. Im Juni 2020 richtete das Unternehmen die Position einer Managerin für Diversity ein. Zwei Jahre später kamen die Bereiche „Equity“ (Chancengleichheit) und „Belonging“ hinzu – also der Versuch, eine „Wir-Kultur“ herzustellen, in der sich alle Mitarbeitenden mit allen Persönlichkeitsfacetten dem Unternehmen zugehörig fühlen. Zuvor war Diversity im Unternehmen eine reine Initiativenarbeit engagierter Mitarbeitender gewesen.

Nach dem Start von Kirstin Hahne auf der neuen Stelle setzte die Firma ein erstes Signal mit der  Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“. Bei der Auseinandersetzung mit den genannten Themen ist Hahne der Blick auf die unternehmerische und die menschliche Perspektive gleichermaßen wichtig. „Es braucht Transparenz, Sensibilisierung, Sichtbarkeit und Bewusstsein von und für Themen aus dem Diversity-Kontext“, betont sie. Das gelinge durch eingeführte Kommunikationsformate wie dem #DiversityDienstag, bei dem Mitarbeitende kurze Beiträge im eigenen Teams-Kanal und im Intranet posten. Zudem helfen Austauschrunden und Infotermine mit Fachbereichen, Führungskräften und Auszubildenden.

Kirstin Hahne_Bonprix
Martin Kielmann
Kirstin Hahne, Managerin Diversity, Equity & Belonging bei bonprix

Auf einem jährlichen Diversity-Tag präsentiert bonprix seinen Mitarbeitenden ein umfangreiches Programm mit internen und externen Vortragenden sowie Sessions zu verschiedenen Themen. Wichtig sei auch die Unterstützung von Fachbereichen bei der Berücksichtigung und Umsetzung diversitybezogener Maßnahmen, etwa beim Texten von Stellenausschreibungen, so Hahne.

Für den Umgang mit diskriminierenden und rassistischen Kommentaren auf den Social-Media-Kanälen helfen dem verantwortlichen Team neu formulierte Richtlinien. Zudem wurde eine regelmäßig durch und für Mitarbeitende durchgeführte Schulung zu gendergerechter Sprache konzeptioniert, die ihre Anwendung im beruflichen Alltag erleichtern soll. Allen Mitarbeitenden steht außerdem die Teilnahme an einem Unconscious-Bias-Training offen.

Seit 2022 ist bonprix Patron der Hamburger Kampagne „Welcoming out“, die sich für eine sichtbare Akzeptanz von Menschen jeder sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität (nicht nur) am Arbeitsplatz einsetzt, und zeigte vergangenes Jahr auf deren Truck Flagge. Intern gibt es hierzu eine eigene Intranetseite, auf der die Mitarbeitenden ihre Akzeptanz mit einem persönlichen Statement sichtbar machen können: Bei der Umsetzung von Diversity-Maßnahmen ist stets die Kommunikation nach innen und nach außen wichtig.

Diversity ist Trumpf – das gilt nicht nur für den NDR, die HOCHBAHN oder bonprix, sondern auch für alle Organisationen, die die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet haben, sowie für viele weitere Unternehmen. Und Diversity setzt nicht nur ein Zeichen, sondern bringt auch wirtschaftliche Vorteile: bei der Fachkräftesuche ebenso wie bei der Arbeitsproduktivität, die durch ein besseres Miteinander und das wertschätzende Nutzen aller Kompetenzen deutlich steigen kann.

Die „Charta der Vielfalt“ wurde im Dezember 2006 von Daimler, Deutscher BP, Deutscher Bank und Deutscher Telekom ins Leben gerufen. Inzwischen haben mehr als 5000 Firmen und Insitutionen  die Charta unterzeichnet.

Am 28. Mai 2024 startet zum 12. Mal der „Deutsche Diversity-Tag“. Die Mitglieder und Unterzeichnerinnen des Diversity-Netzwerkes und Organisationen, in denen Vielfalt gelebt wird, zeigen mit kreativen Aktionen an diesem Tag Flagge für Vielfalt.

Der „Helga-Stödter-Preis der Handelskammer Hamburg“ zeichnet seit 2012 Unternehmen aus, die sichtbar, wirksam und langfristig ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen auf Führungsebene fördern.

Über die Initiative „Welcoming out“ signalisieren zahlreiche Einzelpersonen, Firmen und Institutionen Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter oder queer (kurz: LGBTIQ+) identifizieren, dass sie sich auf Wunsch angstfrei outen können.


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