
Aus luftiger Höhe wirkt die Welt besonders eindrucksvoll. Doch was sich 30 Meter unter dem markanten Stellwerkstower am Bahnhof „Alte Süderelbe“ in Altenwerder erstreckt, bringt selbst alte Hasen wie Harald Kreft ein wenig ins Schwärmen. Unter sich zwei Dutzend mit Waggons besetzter Gleise, zeigt der Eisenbahner aus Leidenschaft auf ein Reich, das auch seins ist. Als „Head of Railway Infrastructure“ der Hamburg Port Authority (HPA) leitet er schließlich die Hafenbahn. „Europas größte“, wie er sichtlich stolz beteuert.
Hier im Stellwerk, das als Dispositionszentrum und zur Fahrdienstleitung dient, befinden sich „Herz, Kopf, Hirn“ einer Infrastruktur, die nicht nur kontinental, sondern global ihresgleichen sucht. Kaum zu glauben, wenn man die Anfänge betrachtet.
Mehr Informationen zur Hafenbahn und ihrer Geschichte erhalten Sie hier. Die Hamburg Port Authority informiert hier über die Infrastruktur der modernen Hafenbahn von heute.
Denn dort, wo Kreft über die Schienen weist, gab es bis vor gar nicht allzu langer Zeit kaum mehr als Dörfer, Wiesen, Äcker und Weiden. Auch wenn die Hafenerweiterung in Altenwerder schon in den 1950ern beschlossen wurde, wurden die letzten Häuser erst 1998 geräumt – und mit dem Ausbau entstand ein Wunderwerk moderner Logistik.
Kontinuierliche Expansion
Dabei waren die Anfänge der Hafenbahn vor fast 130 Jahren noch recht bescheiden. Am 11. August 1866 nahm die „Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft“ den ersten Teilabschnitt in Betrieb, der den Sandtorhafen mit dem Bahnhof am Deichtorplatz verband. Wo bald darauf die Speicherstadt entstand, verkehrten fortan Güterzüge – und revolutionierten den Warenumschlag. Damals ging es ganze drei Kilometer Richtung Sandtorkai und zurück. Ein kleiner Schritt für die Dampfloks also, aber ein großer Schritt für Hamburg.
Mittlerweile hat sich das Streckennetz ziemlich genau verhundertfacht. Auf 300 Gleiskilometern führen 200 Züge 164 verschiedener Verkehrsunternehmen Werktag für Werktag rund 1000 Rangierfahrten durch.
Durchschnittlich 5500 Waggons befördern dabei aktuell 46,1 Megatonnen Ladung pro Jahr. Mehr als die Bahnen in Antwerpen, Rotterdam und Bremerhaven – und zwar zusammen, Tendenz steigend. Fast 160 Jahre nach ihrer Einweihung, betont HPA-Geschäftsführer Jens Meier im Hausmagazin „Port of Hamburg“, habe sich die Hafenbahn vom „einfachen Anschlussgleis“ zum „komplexen System aus Rangierbahnhöfen entwickelt“.

Denn seit dem Sprung über die Elbe 1880 expandiert sie nahezu unaufhörlich. Finkenwerder und Köhlbrand, Hausbruch und Harburg, Kaiser- und Dalmannkai: Als das stählerne Verkehrsgewebe Ende der 1930er-Jahre mit fast 400 Kilometern seinen Höchststand erreichte, wurde ein Großteil der Ladung auf Schienen transportiert.
Die Verheerungen des Krieges legten zwar 90 Prozent der Kaischuppenfläche und einen großen Teil der Hafenanlagen in Schutt und Asche – darunter auch mehr als zwei Drittel der Hafenbahngleise (305 Kilometer). Aber schon fünf Jahre nach Kriegsende war die Infrastruktur wieder weitestgehend intakt – und schuf neue Chancen nachhaltiger Modernisierung.
Eine der wichtigsten Maßnahmen begann kurz vor dem ersten Containerschiff 1968: die Elektrifizierung. Schon vier Jahre später trübte der letzte Dampfzug die Hafenluft, doch schon war das nächste Problem in Sicht: der Autoverkehr.
Damit er dem Bahnbetrieb nicht in die Quere kommt, werden bis heute Parallelstrecken eröffnet. Zuletzt auf der neuen Kattwykbrücke über die Süderelbe – flankiert von einer weiteren Großbaustelle. Weil die Lage im Zentrum der Metropole kaum Erweiterungsspielräume bietet, sagt HPA-Vertriebsleiterin Frauke Paul, „müssen wir vorhandene Flächen besonders effizient nutzen und die Betriebsläufe kontinuierlich optimieren“.
Modernisierung und Optimierung
Eine stetige Optimierung ist unabdingbar, denn die Hafenbahn, sagt Kai Gerullis, ist nicht nur „ein Garant der Leistungsfähigkeit“, sondern „das Rückgrat des Hafens“. Die 24-stündige Belastung an 365 Tagen im Jahr macht das System schmerzanfällig, so der stellvertretende Geschäftsführer des Handelskammer-Bereiches „Nachhaltigkeit und Mobilität“.
Statistik Die Hafenbahn erzielte bis zur Pandemie zehn Jahre lang Umschlagsrekorde. 2021 lag der Spitzenwert bei 48,5 Megatonnen und 2,79 Millionen Standardcontainern (TEU). Nach einer kurzer Delle hat sich die Transportmenge auf hohem Niveau eingependelt (2024: gut 46 Millionen Tonnen in 58 300 Zügen). Damit hat die Hafenbahn 56 Prozent der Güter im Verkehrsmix des Hafens („Modalsplit“) transportiert. Zwölf Prozent aller Güterzüge, die deutschlandweit verkehren, starten oder enden im Hamburger Hafen. Im Containerverkehr ist es sogar ein Drittel. Insgesamt haben 164 Verkehrsunternehmen Zugang ins Netz, 50 bis 60 davon verkehren regelmäßig. Hinzu kommen zwölf Rangierunternehmen im Hafen, die teilweise Rangiereinheiten für die Konkurrenz des Hinterlandes bewegen.
„Längerfristige Sperrungen müssen im Sinne der Wirtschaft vermieden werden“, fordert er – auch mit Blick auf die Lage Anfang Juli, wenn der westliche Hafenbahnverkehr für den Bau der A26 volle vier Tage zum Erliegen kommen wird. Abseits der konsequenten Trennung von Straße und Schiene wünscht sich Gerullis folglich „eine weitere Ausfahrt, um ins Netz der Deutschen Bahn einzufädeln“.
Auch im Sinne der Klimaneutralität müsse zudem zügig die „weitergehende Elektrifizierung vorangebracht werden“, so der Hafenexperte. Hinzu kommt das gegenwärtige Zukunftsthema schlechthin: die Digitalisierung.
IT-gestützte Verkehrsmanagementsysteme wie transPORT oder SmartPORT sollen Leerfahrten vermeiden, Stellwerke optimieren, Kommunikationswege verbessern – unvermeidliche Infrastrukturmaßnahmen also, wie übrigens auch die neue Lokservice-Stelle. Mit Parkflächen für 43 Zugmaschinen befördert sie Wartung und Parken, Winterdienst und Tanken ins 21. Jahrhundert.
Vom Stellwerktower aus ist sie gut zu sehen. Dort also, wo seit 1995 sämtliche Fäden einer beeindruckenden Infrastruktur zusammenlaufen. Auf Dutzenden von Flatscreens verfolgen einige der 170 Hafenbahn-Fachkräfte, „welcher Wagen mit welcher Ladung sich wo im Hafen genau befindet“. Unter dem Panoramafenster zum Beispiel, Altenwerders Kirche im Hintergrund, wird gerade Eisenerz für Salzgitter rangiert. Ein 740 Meter langer, bis zu 6000 Tonnen schwerer Beweis dafür, wie viel Wasser die Elbe hinuntergeflossen ist, seit die Hafenbahn vor 159 Jahren als einfaches Anschlussgleis ihren Anfang nahm.
