André Mücke ist Schnellstarter. Noch vor seinem BWL-Studium gründet der Diplom-Kaufmann in spe einen Verlag. Kaum 20 geworden, gibt er Lifestyle-Magazine heraus, organisiert Events und wird Ausbildungsexperte, während die meisten Gleichaltrigen noch in der Ausbildung sind. Der Geschäftsführer der Tonndorfer Schulmarketing-Agentur DSA youngstar und einstige Handelskammer-Vize weiß also aus eigener Erfahrung, wie wichtig früher Einsatz für frische Karrieren ist. „Aber was ich in dem Alter mit 5000 Euro gemacht hätte?“, fragt er bei der Preisverleihung für besonders einsatzfreudige Azubis und lacht. „Die eigene Fortbildung wäre damals wohl weiter unten auf der Liste gelandet.“
Bei Moritz Wohlleben und Tobias Hoß stand Fortbildung dagegen ganz oben. Vorigen Herbst haben sich die angehenden „Mediengestalter Bild und Ton“ am Studio Hamburg für den Video-Wettbewerb „Mach’s wie wir“ beworben. Ziel der bundesweiten Azubi-Challenge: In 120 Sekunden die eigene Ausbildung so vorzustellen, dass auch andere Gefallen daran finden. Gesagt, gedreht, gewonnen – unter gut 100 Einsendungen fanden erst Jury, dann Publikum die humorvolle Entwicklungsgeschichte vom analogen zum digitalen Film am besten. „Ein toller Beitrag für die duale Berufsausbildung“, lobt Initiator Mücke.
Doch als er Pokal und Siegerscheck überreicht, staunt er nicht nur über die „Inspiration für junge Menschen in der Orientierungsphase“. Ebenso fasziniert ihn die Verwendung der vierstelligen Gewinnprämie. „Wir haben erst geteilt“, sagt der 17-jährige Moritz im kuscheligen, Corona-bedingt aber nicht allzu feierlichen Kino seines Tonndorfer Lehrbetriebes. „Und dann alles ins nächste Projekt investiert“, ergänzt sein unwesentlich älterer Kollege Tobias.
Videos können wirklich etwas gegen Fachkräftemangel bewirken.
Armin Grams
Es geht dem Nachwuchs also gar nicht nur ums Geld. Es geht ihm ums Ganze. Denn als André Mücke den Wettbewerb 2021 mit 35 Partnerorganisationen – darunter 25 Industrie- und Handelskammern – ins Leben ruft, steht er ganz im Zeichen einer bestürzenden Zahl: Allein Hamburg werden 2035 vermutlich bis zu 170 000 Fachkräfte fehlen.
Eine Lücke, die nicht nur auf dem ersten Arbeitsmarkt wächst: Schon heute kämen auf bundesweit eine halbe Million Ausbildungsplätze nur 420 000 Bewerberinnen und Bewerber, beziffert Mücke das Nachwuchsdefizit, das auch die annähernd 6000 Hamburger Lehrbetriebe betrifft.
Die Ausbildungskampagne „Mach’s wie wir“, unterstreicht Armin Grams für die Handelskammer, ist da „eine Riesenchance“. Schließlich ist dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer die Macht der Bilder nur allzu bewusst. Angesichts von vier Stunden, die Teenager Tag für Tag im Schnitt bei TikTok, YouTube, Instagram verbringen, „können Videos wirklich etwas gegen den Fachkräftemangel bewirken“. Genauer: „Sie können potenzielle Bewerberinnen und Bewerber von Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten beruflicher Ausbildungen überzeugen.“
Vorurteile abbauen
Sönke Fock von der Agentur für Arbeit Hamburg begrüßt das Projekt: „Als ich 1981 Abitur gemacht habe, gab es mehr Bewerber pro Ausbildungsplatz, heute ist es umgekehrt. Die betriebliche Ausbildung ist unverdient in den Schatten der akademischen geraten. Die Vielfältigkeit der Kampagne zeigt die Attraktivität eines jeden Ausbildungsberufes, spricht Schülerinnen und Schüler jugendlich locker an und hilft so, Vorbehalte charmant und witzig abzubauen.“
Das nämlich ist bitter nötig in einer Zeit steigenden Personalbedarfs bei sinkender Berufsausbildungsbereitschaft. „Die gesellschaftliche Realität, dass ein Studium höheres Ansehen genießt als die Ausbildung, müssen wir akzeptieren“, räumt Armin Grams ein. Auch in Hamburg liege die Abiturquote schließlich bei 60 Prozent pro Jahrgang, „die überwiegend an Universitäten drängen“. Umso wichtiger sei es da, das weltweit beneidete System dualer Ausbildung als „hervorragendes Fundament toller Berufskarrieren“ hervorzuheben – „man muss es nur zeigen“. Am besten reich bebildert.
„Lasst eure Azubis bei der Challenge mitmachen“, lautet daher André Mückes Appell an Hamburger Betriebe. Das bringe beiden Seiten schon deshalb ausschließlich Vorteile, weil der Online-Auftritt des Wettbewerbs direkt an die IHK-Lehrstellenbörse gekoppelt ist. So dient Mückes Challenge zwar einerseits den 750 000 Schulabgängerinnen und -gängern – sechs Prozent davon ohne Abschluss – zur Orientierung.
Sie verschafft den 150 Ausbildungsberufen der Handelskammer aber andererseits auch repräsentatives Renommee und damit die Fachkräfte von morgen, die den Mangel von übermorgen zumindest mildern. Gespeist aus der Hauptressource zufriedener Arbeitsverhältnisse: Eigeninitiative mit Sinn, Spaß und Verstand.
Ich habe schon als Kind Urlaubsvideos und Stop-Motion-Filme gedreht.
Moritz Wohlleben
Sämtliche eingesandten Videos – ob vom Betonfertigteilbauer, der Lebensmitteltechnikerin oder Kaufleuten im Büromanagement – zeugen aus Armin Grams’ Sicht von „riesiger Begeisterung, mit der alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihre Firmen präsentiert haben“. Und sie belegen damit ganz nebenbei, „wie groß die Corporate Identity mittlerweile schon zu Beginn der Lehrzeit“ sei. Das alles gilt auch für die ersten Sieger der #AzubiChallenge, wie das Projekt in Social-Media-kompatibler Schreibweise heißt.
Beide erlernen ja nicht nur Jobs, sondern Wunschberufe. „Ich habe schon als Kind Urlaubsvideos und Stop-Motion-Filme gedreht“, erzählt Moritz von den 2010er-Jahren in Hamburg, an deren Ende der Musiker Tobias aus Aachen herzog, um „was Praktisches mit Ton“ zu machen. Klingende Bilderwelten also wie der Siegesbeitrag, der ihr Gewerbe „auch anderen schmackhaft machen soll“.
Zum Wohle eines lokalen Arbeitsmarkts, auf dem 2021 die Hälfte aller Lehrstellen unbesetzt blieb. Wettbewerbe, pardon: Challenges à la „Mach’s wie wir“ helfen, das zu ändern.