„Als ich 2020 das OMR-Festival absagen musste, war ich teilweise den Tränen nahe“

Am 17. und 18. Mai fand nach zwei Jahren Pause in Hamburg wieder das OMR-Festival statt, bei dem diesmal rund 70 000 Gäste  für einen Besucherrekord sorgten. Wir blicken zurück und dokumentieren ein Interview, das wir vor einem Jahr mit OMR-Chef Philipp Westermeyer führten. Der Digital­unternehmer erzählte uns damals, wie seine Firma 2020 den Einschlag überstand.
OMR-Chef Philipp Westermeyer im Podstars-Studio

Text: Peter Jebsen, 16. Mai 2022 Fotos: Benne Ochs

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Philipp Westermeyer auf dem HW-Cover 3/2021

Wie in deiner Firma üblich, duzen wir uns. Wann hast du zuletzt in einem Unternehmen gearbeitet, in dem komplett gesiezt wurde?

Philipp Westermeyer: Bei Gruner + Jahr bis 2008, wenn auch nicht mehr komplett. Dass alle gesiezt wurden, habe ich nie erlebt.

Mittlerweile haben auch manche Konzerne das Duzen eingeführt. Ist das Kosmetik, oder verbessert es wirklich die Arbeitsatmosphäre?

Ich glaube, es gibt beides. Ich selbst sehe es schon wirklich als Verbesserung an, weil es – wenn es authentisch geschieht – eine schnellere und effektivere Art ist zu kommunizieren und weniger formal. Und trotzdem ist es hier und da sicherlich ein bisschen Kosmetik. Da gibt es ja zum Beispiel das „Hamburger Sie“, also Ansprache per Vornamen und „Sie“.

Eure Firma heißt ja offiziell nicht OMR oder Online Marketing Rockstars, sondern Ramp 106. Wie würdest du das Unternehmen jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat?

Wenn diese Person eher analog unterwegs ist, würde ich ganz trocken sagen, dass es im früheren Sinn ein Fachverlag für Digitalwirtschaft ist. Moderner ist es, uns als digitale Medienplattform zu bezeichnen. Wir berichten, wir veranstalten, wir produzieren Inhalte rund um das Digitalbusiness.

Eine eurer Hauptaktivitäten war das OMR Festival, das 2020 wegen Corona genau zwei Monate vor dem geplanten Termin abgesagt wurde, nachdem es 2019 rund 52 000 Besucher hatte. Wie ging es dir damals?

Es war schon ein sehr, sehr schwerer Moment. Ich habe ein Video aufgenommen, um das auch sauber zu kommunizieren. Ich war da wirklich teilweise den Tränen nah. Vor allem, weil ich so viele Leute enttäuschen musste, die so hart daran gearbeitet hatten, inklusive verschiedenste Partner. Wir haben über Jahre Vertrauen und sehr viel Emotion aufgebaut – das dann aus so einem Grund einreißen zu müssen, war bitter. Damals war ja noch nicht ganz klar, wie sich dieses Corona-Thema entwickeln würde.

Das Festival hat Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe erwirtschaftet. Wie verkraftet man eine solche Absage?

Zwei Monate vorher war die letzte Chance, das zu verkraften, sonst wären schon zu viele Kosten ausgelöst gewesen. So hatten wir irgendwo zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro Kosten, die wir schon produziert hatten, dazu halt die entgangenen Umsätze – das Festival machte zuletzt die Hälfte unseres Umsatzes aus.

Zum Glück haben wir uns dann nicht in den ­Winterschlaf begeben und alles stillgelegt, nach dem Motto: „In drei Monaten, wenn Corona vorbei ist, ­packen wir wieder aus, und dann geht’s weiter!“ Stattdessen haben wir versucht, schon in dem Moment die Firma umzubauen und zu sagen, wir machen’s jetzt ganz anders. Das hat uns bis heute geholfen, weil ­natürlich alles viel länger dauerte, als das jemand gedacht hätte. Wir haben wirklich neue Geschäftsfelder aufgebaut, die auch teilweise zwei, drei Jahre dauern, bis sie überhaupt richtig groß gereift sind – etwa eine neue Plattform für Software-Bewertungen.

Darüber hinaus übernahmen wir noch andere Auf­gaben, etwa das Impfzentrum in den Messehallen. Dafür wurden wir angesprochen, weil wir durchs Festival über die Jahre sehr gut verstanden haben, wie man die Hallen in größerem Stil betreibt. Gleichzeitig mussten wir in kurzer Zeit bis zu 800 Leute ­einstellen. Das war ein Thema, das man uns zutraute.

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Benne Ochs
Vorm OMR-Kellereingang

Dein öffentliches Auftreten ist durch eine gewisse Entspanntheit charakterisiert. Gibt es Momente, in denen du als Unternehmer dennoch immer noch schlaflose Nächte hast?

Damals bei der Absage habe ich mir schon Gedanken gemacht. Aber ich habe generell einen ruhigen Schlaf. Ich glaube, all die Jahre Unternehmer zu sein, das ist ein bisschen wie ins Fitnessstudio zu gehen. Als Neuling ohne Muskeln bist du eingeschüchtert, aber dann kommen die Routine und das Selbstvertrauen. Im Business mache ich das jetzt schon seit so vielen Jahren, und ich habe alle Arten von ­Situationen erlebt – Firmenverkäufe, Gründungen, alles mögliche –, dass ich da jetzt ein bisschen gelassener geworden bin. Viele Sachen kosten einfach am Ende nur Geld, wenn es blöd läuft. Aber ich glaube, solange die Existenz der Firma und die Arbeitsplätze nicht gefährdet sind, bin ich erst mal entspannt.

In der Start-up-Methodik heißt eure Reaktion auf die Pandemie „Pivot“, also strategisches Drehmanöver. Musstest du in deiner Zeit als Unternehmer Pivots schon häufiger vollführen?

Nee, in der Größenordnung noch nicht. Wir haben auch vorher immer schon ergänzende Aktivitäten ausprobiert. Was nicht klappt, lässt man einfach wieder sein. Aber in dieser Größenordnung ein Unternehmen mit über 100 Leuten damals umzudrehen, das ist mir neu, war aber eine super Erfahrung.

2023 wollt ihr auch den Hamburger Fernsehturm wiedereröffnen. Wie kam die Übernahme des Telemichels zustande?

Wir arbeiten mit der Hamburg Messe und Congress und Tomislav Karajicas Home United Management zusammen. Der Impuls kam von der Messe, die quasi Nachbarn von uns sind. Einen Fernsehturm zu betreiben, war bis dahin nichts, was ich irgendwie für mich in Erwägung gezogen hatte. Aber als ich es dann näher gesehen habe, fand ich es total spannend. Da haben wir in der Ausschreibung ein Konzept eingereicht und am Ende den Zuschlag erhalten. Der Heimvorteil spielte bestimmt auch eine gewisse Rolle. Es soll eine spannende Eventfläche geben, und eine Sozialfläche. Deren Atmosphäre stelle ich mir so ähnlich wie die Strandperle in Övelgönne vor.

Welche Rolle spielt bei deinen Überlegungen Wachstum? Sollen es in fünf Jahren statt 130 260 Mitarbeiter sein, sollen es beim OMR ­Festival statt 52 000 104 000 Besucher sein?

Das ist eine super Frage, und darüber denke ich auch oft nach: Warum Wachstum, und was bringt er eigentlich? Als Teil der Wirtschaft bist du natürlich oft zum Wachstum gezwungen. Teammitglieder wollen sich entwickeln, du musst denen Perspektiven ­zeigen. Machst du es nicht, ergreifen andere die Chance und drängen dich zurück. Dann kannst du nicht mal das jetzt Bestehende mehr halten. Ich habe das Gefühl, wir haben da eine ganz gute ­Balance. Aber es wäre für mich auch vollkommen okay, wenn wir mal ein Jahr haben, in dem wir jetzt nicht um 50 Leute zulegen. Das wird’s auch geben.

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Benne Ochs
 

Wie wichtig ist Personal Branding, also der Aufbau deiner Personenmarke, für euch? Es gab zum Beispiel in Kooperation mit dem Abendblatt zwei Ausgaben der Zeitschrift „Philipp“. Haben es Unternehmen, deren CEOs nicht solche ­Rampensäue sind wie du, schwerer als OMR?

Ich muss dazu erst mal sagen: Ich habe das nie an­gestrebt! Das Magazin „Philipp“ war eine Idee von Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider. Das empfand ich als Auszeichnung für uns, als tolle Chance; das habe ich natürlich angenommen. Da wir selber Medien machen, also Inhalte herstellen, werde ich darüber natürlich auch als Absender mittrans­portiert. Das ist okay, und das mache ich auch gerne. Aber ich würde jetzt nicht hingehen und das allen anderen empfehlen.

Bei einigen Geschäften ist das aber wirklich hilfreich und gut. Viele CEOs von großen Konzernen werden jetzt zum Beispiel bei LinkedIn aktiver. Das ergibt Sinn, da können sie ja auch ihre eigenen Leute ansprechen. Ich war vor Kurzem im Gespräch mit dem VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Dieß. Der hat weit über 600  000 Mitarbeiter, die kann er wahrscheinlich über LinkedIn besser erreichen als über alles andere.

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Benne Ochs
Im Podstars-Studio

Einer eurer Schwerpunkte sind Podcasts, abonnierbare Audioinhalte. Davon produziert und/oder vermarktet eure Firma Podstars über 70. Was macht den Reiz für Unternehmen aus?

Es gibt wahnsinnig viel Aufmerksamkeit für das Thema, da es eine komplett neue Mediengattung ist, die so ein bisschen das Radio verdrängt. Podcasts kosten in der Produktion nicht so viel, und es ist sehr viel möglich. Sie können eine moderne Form von Firmenzeitschriften, von Corporate Publishing sein. Da ist schon eine Menge Luft.

Der „OMR Podcast“, den du moderierst, hat über 50 000 Zuhörer:innen. Ab welcher Kennzahl können Podcasts ernsthaft profitabel sein?

Das hängt so ein bisschen vom Thema ab. Bei sehr spitzen Wirtschaftsthemen, Technologie oder auch Aktien oder sowas kann das schon mit 15 000 Leuten funktionieren. Bei sehr breiten Themen wie Fußball braucht man auf jeden Fall eher Richtung 60-, 70 000 Zuhörer. Etwa die Hälfte der Wertschöpfung entsteht durch guten Vertrieb, die Inhalte müssen auch ihr Publikum finden.

Du erwähntest Geschäftsideen, die nicht funktionieren. Gibt es diesbezüglich immer noch ein Stigma, oder ist Scheitern in Deutschland akzeptabler geworden?

Scheitern wird im Lebenslauf eher positiv wahrgenommen.

Auf jeden Fall Letzteres! Ich sehe das ja jetzt in meiner Generation, auch bei befreundeten Unternehmern: Wenn jemand mal ein Start-up gemacht hat, das nicht funktionierte, wird das im Lebenslauf tendenziell eher positiv wahrgenommen. Man hat das Gefühl, der hat schon Erfahrung gemacht, der weiß schon, wie das geht, der hat sogar auch schon Rückschläge erlebt, er ist nicht mehr ganz so naiv. Etwas zu gründen, ist ja heutzutage fast schon so wie ein MBA früher, ein Masterabschluss oder ein Doktortitel. Heute gründet man halt was; und mal klappt’s, und mal nicht.

Als digitale Medienplattform konntet ihr besonders agil auf Corona reagieren. Hat die Pandemie aus deiner Sicht die Digitalisierung generell wirklich nachhaltig nach vorne gebracht?

Ich glaube schon. Ich denke, dass ganz viele Leute erstmalig gelernt haben, mit digitalen Bezahlinstrumenten zu bezahlen, digital Aktien zu kaufen, online zu shoppen, Lebensmittel zu bestellen. Das hat auch den Druck auf verschiedenste Firmen erhöht, sich digitale Arbeitsmethoden anzueignen. Beim industriellen Internet, für das man sehr stark auch erst mal Hardware entwickeln muss, da hat sich jetzt vielleicht nicht so viel getan. Aber in der Business-to-Consumer-Welt, also der B2C-Endkonsumentenwelt, da hat sich schon viel getan.

Welche Entwicklungen hältst du dabei für besonders wichtig?

Ohne Internet wäre so eine Pandemie deutlich problematischer geworden.

Am wichtigsten war, dass man weiter kommuni­zieren konnte. Ohne Internet wäre so eine Pandemie für uns alle deutlich problematischer geworden. Dadurch wird das Homeoffice als Option ­bleiben. Bei uns auf jeden Fall, bei manch anderen Unternehmen sicherlich zumindest in Teilen. Das ist schon eine Errungenschaft, die sonst vielleicht noch viele Jahre gedauert hätte.

Aber ob’s jetzt die wichtigste ist? Ich glaube, das Wichtigste ist vielleicht, dass die Leute jetzt verstanden haben, wie sie sich aus dem Netz Bildung, Fortbildung, Weiterbildung ziehen können. Man musste sich teilweise ja auch umorientieren, umqualifizieren. Das könnte volkswirtschaftlich die größte Auswirkung haben. Und das wird über ­Generationen hinaus spürbar sein.

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Benne Ochs
HW-Chefredakteur Peter Jebsen und Philipp Westermeyer

Wie steht Hamburg als Digitalstadt im internationalen Vergleich da?

Ich glaube, weder richtig exzellent noch richtig schlecht, sondern irgendwo in der Mitte. Es hat sich sicherlich in den letzten Jahren sehr viel auf Berlin konzentriert, und Hamburg war dann vielleicht ­zusammen mit München Nummer zwei oder drei. Das ist für unsere Stadtgröße einigermaßen angemessen. Jetzt ist die Aufgabe, die Chance zu nutzen, die darin liegt, dass Berlin teuer und der Wettbewerb um Software-Entwickler so hart ­geworden ist.

Philipp Westermeyer

(43) startete seine Karriere im Jahr 2005 bei Gruner + Jahr als Vorstandsassistent. Danach war er Mitgründer zweier Firmen, die jeweils nach ein paar Jahren an Ex-G+J-Tochter Ligatus respektive Zalando verkauft wurden. 2011 rief er mit Freunden die Messe „Online Marketing Rockstars“ ins Leben. Aus anfänglich 200 Besucher:innen wurden über 50 000. Veranstalterin des Festivals ist die Ramp 106 GmbH, eine digitale Medienplattform, die 2021 auch als Dienstleister beim Impfzentrum in den Messehallen tätig war und ab 2023 den Hamburger Fernsehturm mitbetreiben wird.

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Benne Ochs
 

(Aus der HW 3/21)

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