„Verstehen – entwickeln – anwenden“: Schon der Titel-Dreiklang des fünften KI-Summit am 2. September in der Handelskammer Hamburg klang wie eine unmissverständliche Handlungsanweisung: Wir alle müssen unsere Bereitschaft zur Anwendung von KI („KI-Readiness“) erhöhen und verstehen, wie wir die Technik in der Wertschöpfung einsetzen können.
„Das Potenzial der KI für unsere Wirtschaft und Gesellschaft hier in Deutschland ist enorm“, sagte auch Kathrin Haug, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, zum Auftakt der Veranstaltung. „330 Milliarden Euro könnte generative KI in Zukunft zur deutschen Brutto-Wertschöpfung beitragen“, zitierte sie eine Studie der IW Consult im Auftrag von Google. „Aber dieses Potenzial können wir nur nutzen, wenn mindestens die Hälfte der Unternehmen auch wirklich KI anwendet und damit zur Effizienz und Verbesserung ihrer Wertschöpfungskette beiträgt.“
Daher, so Haug, sei es wichtig, dass möglichst viele Menschen die Grundlagen von KI verstünden. Natürlich auch deren Grenzen und Risiken, die seit 1. August 2024 mit der KI-Verordnung der EU festgelegt wurden. Für manche Speaker des Summits ist der „AI Act“ eher ein Hemmschuh der Entwicklung; für andere ein wichtiges Signal ethischer Prinzipien und auch einer Professionalisierung der Produkte, wie Robert Kilian betonte, CEO von CertifAI, einer Firma, die KI-Produkte testet und zertifiziert.
ChatGPT als „Game Changer“
Dass KI in der öffentlichen Wahrnehmung immer stärker vom Technik-Insider-Thema zum bahnbrechenden Innovationsmotor der Wirtschaft wurde, hatte mit der Markteinführung von ChatGPT im November 2022 zu tun. Dies wurde gleich von mehreren Fachleuten betont. Für die Wahrnehmung von KI scheint das Datum ebenso für Disruption zu stehen wie die Unterteilung der Zeit in vor und nach Christus in der abendländischen Religionsgeschichte. Seit ChatGPT war der Hamburger KI Summit Hamburg übrigens zweimal ausverkauft. Seitdem erlebt man fasziniert die Wirkmächtigkeit generativer KI, also einer Technik, die auf Basis raketenschneller Datenverarbeitung hilfreiche Dinge wie neue Texte, Bilder oder anderes „Kreatives“ erschafft.
Der digitale „Ich-schreib’s-dir“-Gefährte war jedoch nur der Anfang. „Wir stehen kurz vor einer Veröffentlichungswelle, bei der ganz viele Produkte eine eingebaute KI haben werden“, war sich auch Michael Koch, Director AI bei Lufthansa Industry Solution, sicher. Koch war Teilnehmer einer Panel-Runde zum Thema „Wie erhöht man den KI-Reifegrad?“, bei der sowohl Hemmschuhe (deutsche „Gründlichkeit“ und Überregulierung) als auch Wege baldiger Anwendung von KI diskutiert wurden.
Dabei sprach Mirko Gontek, KI-Experte und Tech Advisor, einen Praxistipp aus der Summe seiner Erfahrungen aus: „Noch vor kurzem dachten Unternehmen, sie bräuchten Super-Experten für KI mit zehn Jahren Erfahrung im Deep Learning und dazu einen Head of AI. Viel wichtiger ist es aber, KI in den gesamten Prozess der Digitalisierung mit einzubauen. Technologie muss immer mit der Business-Strategie verknüpft werden. Was funktioniert: KI-Projekte mit Data-Teams verknüpfen und dann dieses Data-Team nah ans Business zu rücken.“
Es sei die Aufgabe der Unternehmensleitung, die dafür nötigen Organisationsstrukturen zu schaffen, meinte Summit-Moderatorin Anke Nehrenberg (Expertin für Change & Digitale Transformation und Geschäftsführerin der bergan GmbH). „KI ist Digitalisierung auf Speed: Daten treiben Digitalisierung, KI schafft Innovation. Rein effizienzgetriebene Organisationsstrukturen brauchen crossfunktionale, interdisziplinäre Teams, die zusammen daran arbeiten,“ so Nehrenberg. Sie zitierte Alex Scheifer, Head of Design bei Airbnb: “You can’t innovate on products without first innovating the way you build them.” („Du kannst keine Produkte erneuern, ohne zuerst die Art und Weise zu erneuern, wie du sie herstellst.“)
Einführung in die Grundprinzipien
Bevor jedoch Handlungsstrategien wie diese greifen, müssen viele Kleinunternehmer, Mittelständler und auch noch große Firmen an die Grundprinzipien der Technik herangeführt werden. Christian Märkel, Senior Economist beim Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste GmbH und ebenfalls Panelteilnehmer, warb für das Angebot des Mittelstand-Digital Zentrums Hamburg, das in Sachen KI-Readiness berät. Ein erster Schritt zur Nutzung von KI-Technik sei allerdings in jedem Unternehmen das Erfassen und Bereitstellen von Daten, denn sie sind das Futter einer jeden KI-Anwendung.
Noch eine Schwelle niedriger dürfte der Einstieg ins KI-Erlebnis über das von der Universität Hamburg und Partnern vorgestellten Projekt „HHAI Score“ sein. Am Vormittag des KI Summit konnte man sich in der Handelskammer einer Selbsterfahrung stellen: „Hamburg knackt den HHAI-Score – Generative KI lernen, ausprobieren, anwenden und reflektieren“ hieß es da. Ziel der Initiative ist es, möglichst viele Unternehmen in Hamburg zum Mitmachen zu bewegen, um die eigenen Mitarbeitenden in die Welt der KI und ihrer aktuellen und künftigen Anwendungen einzuführen. Interessierte Unternehmen können sich hier eintragen: www.hhai-score.de. Für jede und jeden galt dabei: Einfach mal machen, Erfahrungen sammeln und vielleicht Inspiration fürs eigene Geschäftsmodell finden.
Verstehen, Anwenden, Entwickeln
In drei „Breakout-Sessions“ am Nachmittag durfte man sich danach alternativ den KI-Aufgaben „Verstehen“, „Anwenden“ und „Entwickeln“ nähern. Dabei warb Aleksander Fegl, CEO der Ailio GmbH, die Firmen bei KI-Projekten berät, für eine Strategie des Ausprobierens und nicht des ewigen Planens, auch wenn explorative Herangehensweisen Deutschen mitunter schwerfallen.
„90 Prozent der Erkenntnisse kommen erst dann, wenn man anfängt, mit Daten zu arbeiten“, sagte Fegl. „Zwei Tage mit den Daten zu arbeiten, ist besser als zwei Jahre darüber reden.“ Um kleine oder auch größere KI-Projekte zu implementieren, empfahl Fegl Unternehmen kleine Teams mit am besten drei Fachkräften – jeweils eine für den betrachteten Prozess, für Daten und fürs Business.
„Wir müssen jetzt endlich ernst machen mit KI“, forderte Professor Tilo Böhmann, Vizepräsident der Universität Hamburg und Vorstandsmitglied des Hamburger Digitalvereins The Interface Society (ThiS) dagegen in seiner Rede. „Das ewige Rumspielen ist nicht die Lösung. Damit das gelingt, sind Kompetenzen im Umgang mit generativer KI entscheidend.“ Als Fazit des KI Summit Hamburg blieb sozusagen eine dialektische Botschaft: Einerseits müssen wir viel lernen in Sachen KI, um unsere Unternehmen fit machen. Anwendungen, die konkret weiterhelfen, erhält man aber erst nur, wenn man aktiv wird und zumindest schon mal Daten sammelt, um sie bald an selbst lernenden Systemen auszuprobieren.
Kostenlose KI-Beratung
„Wir reichen Ihnen die digitale Hand“, verspricht das Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg. Wer sich in Sachen KI-Readiness oder anderen Fragen der Digitalisierung beraten lassen möchte, kann sich über www.digitalzentrum-hamburg.de informieren. Zum Angebot gehören kostenfreie On- und Offline-Veranstaltungen, individuelle Beratung und Infos zu Fördermitteln.