Auf der Suche nach dem kleinsten Teilchen

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY setzt wissenschaftliche Meilensteine, von denen auch die Wirtschaft profitiert – sogar bei der Optimierung von Corona-Impfstoffen. Dafür erhielt das Forschungszentrum den „Zukunftspreis der Hamburger Wirtschaft“. Die HW schaute sich auf dem Campus in Bahrenfeld um.
European XFEL/Heiner Müller-Elsner
Der European XFEL erzeugt ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich – 27.000-mal in der Sekunde und milliardenfach intensiver als die besten herkömmlichen Röntgenquellen. Seine Tunnelröhren sind mehr als drei Kilometer lang.

Von Frank Schlatermund, 5. August 2022 (HW 4/2022)

Nicht nur in Deutschland ist DESY für Wissenschaft, Industrie und Wirtschaft bedeutend, sondern auch in Europa und auf der ganzen Welt, berichtet Maike Bierbaum. „Jedes Jahr kommen mehr als 3000 Menschen aus über 40 Nationen zu uns, um bei DESY als Gäste zu forschen.“ Mit insgesamt rund 2700 Angestellten ist DESY für die Hansestadt und die Region auch als Arbeitgeber relevant. Mehr als 130 junge Menschen lassen sich in Hamburg und im brandenburgischen Zeuthen, dem zweiten Standort des Forschungszentrums, in Bereichen wie Industriemechanik, IT-Fachinformatik oder Technisches Produktdesign ausbilden.

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DESY 2012
Überblick über die Messstationen in der 300 Meter langen Experimentierhalle PETRA III.

Doch was genau macht DESY? Die Forschenden suchen nach Antworten. Sie wollen die Grundbausteine verstehen, aus denen sich alles zusammensetzt. Woher kommen, woraus bestehen wir? „Um Struktur, Dynamik und Funktion von Materie zu erforschen, reicht ein herkömmliches Mikroskop aber nicht aus“, sagt Maike Bierbaum, die bei DESY für die Kommunikation im Bereich „Innovation und Technologietransfer“ zuständig ist. „Der Beschaffenheit von Elementarteilchen kommt die Wissenschaft nur mithilfe von Teilchenbeschleunigern auf die Spur.“

Gewaltige Anlagen, wie sie DESY, eines der führenden Beschleunigerzentren weltweit, entwickelt, baut und betreibt. Sie funktionieren stets nach demselben Prinzip: Teilchen werden beschleunigt. Die Teilchenphysik lässt sie dann frontal aufeinanderprallen, um die Bausteine der Materie zu entschlüsseln. Bei der Forschung mit Photonen hingegen könnten Elektronenbeschleuniger etwa der Strahlentherapie dienen, denn mit energiereichen Teilchenstrahlen lassen sich künftig möglicherweise Tumore gezielt zerstören. Und nicht zuletzt ist Röntgenlicht, das Teilchenbeschleuniger erzeugen, hell genug, um damit Materialien und deren Eigenschaften analysieren zu können.

Jedes Jahr kommen mehr als 3000 Menschen aus über 40 Nationen zu uns, um bei DESY als Gäste zu forschen.

Maike Bierbaum

Der 1978 fertiggestellte Ringbeschleuniger PETRA wurde inzwischen zu einer der stärksten Röntgenstrahlungsquellen der Welt umgebaut und schickt seine Teilchen seit 2009 unter dem Namen PETRA III auf die Reise. Das kommt auch der Wirtschaft zugute. Unternehmen etwa aus Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, aber auch aus Energie- und Landwirtschaft sowie aus Luft- und Raumfahrt kooperieren mit DESY. Unter anderem buchen sie Messzeiten, um ihre eigene Forschung und Entwicklung voranzutreiben – um beispielsweise Materialien oder Wirkstoffe auf atomarer Ebene zu untersuchen, um neue Produktionsverfahren zu erschließen oder Herstellungsprozesse zu optimieren.

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DESY
LINAC II, PIA und DESY II sind Elektronen-Vorbeschleuniger für den Betrieb des Speicherrings PETRA III, der zusammen mit den beiden Freie-Elektronen-Lasern FLASH 1 und FLASH 2 sowie dem Europäischen Röntgenlaser XFEL als weltweit beste Lichtquellen für die Forschung mit Photonen dienen.

Die Röntgenstrahlung von PETRA III ist stark gebündelt und daher sehr brillant. Damit lassen sich zum Beispiel Schweißnähte überprüfen, Ermüdungserscheinungen an Flugzeugturbinen erkennen oder Metalllackierungen für Autos analysieren. Und werden Proben kurzen Röntgenblitzen ausgesetzt, machen diese sogar ultraschnelle Prozesse sichtbar, etwa die einer chemischen Reaktion. „Denken wir nur an eine Batterie“, erläutert Bierbaum. „Was geschieht während des Be- oder Entladevorganges? Wenn die Wissenschaft das mithilfe des Röntgenlichtes herausgefunden hat, kann sie überlegen, wie sich die Batterie verbessern lässt.“

DESY steht für Forschung auf Weltklasse-Niveau und hat erheblichen Einfluss auf die künftige Wettbewerbs­fähigkeit und Innovationskraft des Wirtschafts­standortes.

Norbert Aust

Ebenfalls eignet sich die Strahlung von PETRA III für die Analyse von Viren und Impfstoffen, wovon auch die Corona-Forschung Gebrauch macht. Gemeinsam mit Partnern suchte beispielsweise das Mainzer Unternehmen BioNTech auf diese Weise nach Möglichkeiten, die Verpackung von mRNA-Impfstoffen zu optimieren. Und mithilfe der Strahlen von PETRA III durchleuchtete ein Forschungsteam Wirkstoffe auf ihre Tauglichkeit als Covid-19-Medikament. Ein anderes identifizierte einen synthetischen Antikörper, der das Virus neutralisieren könnte.

Bei der Entwicklung seiner Teilchenbeschleuniger und Detektoren arbeitet DESY eng mit geeigneten Hightech-Unternehmen zusammen. Oft kommt es dabei zur Erschließung neuer Verfahren und technischer Lösungen, die später für die Herstellung anderer Produkte nützlich sind, etwa in der Radar- und Satellitentechnik, im medizinischen Bereich und im chemischen Anlagenbau. Nicht selten erwachsen aus Forschungsprojekten bei DESY eigene Firmengründungen, sogenannte Spin-offs.

Derzeit erweitert DESY die Möglichkeiten für Innovationen und Gründungen auf dem rund 59 Hektar großen Gelände in Bahrenfeld. „Dazu gehört auch die Förderung und Beratung der Spin-offs“, sagt Bierbaum. „Dafür ist das ‚DESY Start-up-Office‘ der Anlaufpunkt.“ DESY ist zudem Partner der Hamburger Gründerplattform „beyourpilot“, die ebenfalls Ausgründungen aus dem Wissenschaftsbetrieb fördert. Das Innovationszentrum „Start-up Labs Bahrenfeld“ bietet Gründenden Büro- und Laborflächen auf dem Campus.

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DESY / Heiner Müller-Elsner
Vorbereitung einer Messung am Messplatz P06. Die Strahlführung P06 an der brillianten Röntgenlichtquelle PETRA III bietet eine fortschrittliche Visualisierung mit mikro-/nanoskopischer Ortsauflösung mit verschiedenen Röntgentechniken.

Mit der „DESY Innovation Factory“ plant und baut DESY ein integriertes Technologie- und Gründerzentrum, das auf anwendungsnahe Forschungsvorhaben und Start-ups, aber auch auf Kooperationsprojekte mit etablierten Firmen zugeschnitten ist. Und mit der „Science City Hamburg Bahrenfeld“ soll bis in die 2040er-Jahre hinein ein vollkommen neues Quartier entstehen, in dem außer Wissenschaft und Forschung abwechslungsreicher Wohnraum im Fokus steht.

Mit seiner Grundlagenforschung und seinen zukunftsweisenden Projekten setzt das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY Maßstäbe. Das wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Hansestadt und der Metropolregion aus, wofür die Handelskammer DESY mit dem „Hamburg 2040“-Award ausgezeichnet hat. „DESY steht für Forschung auf Weltklasse-Niveau und hat erheblichen Einfluss auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Wirtschaftsstandortes“, so Präses Prof. Norbert Aust in seiner Laudatio auf dem Sommerfest der Handelskammer. „Es ebnet beispielsweise mit der Förderung von Deeptech-Technologien in den ‚Start-up Labs Bahrenfeld‘ und dem Einsatz von Röntgenlicht die Grundlage für künftige Innovationen und verbesserte Technologien in der Wirtschaft.“

Der Zukunft voraus

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, am 18. Dezember 1959 in Hamburg-Bahrenfeld gegründet, ist ein mit öffentlichen Mitteln finanziertes nationales Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft mit Standorten in Hamburg und Zeuthen in Brandenburg. Der Grundetat liegt bei 349 Millionen Euro. Die Finanzierung liegt mit 90 Prozent beim Bund, 10 Prozent übernehmen die Stadt Hamburg und das Land Brandenburg. DESY war der erste Ringbeschleuniger in Bahrenfeld und hat der Anlage seinen Namen gegeben. Er dient heute als Vorbeschleuniger der Röntgenstrahlungsquelle PETRA III. Der Röntgenlaser European XFEL ist der stärkste der Welt. Seine Tunnelröhren sind mehr als drei Kilometer lang und reichen vom Campus in Bahrenfeld bis ins schleswig-holsteinische Schenefeld, wo sich auch die Messhalle befindet.

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