Runter vom Ausweichgleis

Mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen – auch dieses Ziel verfolgt die Bahn mit ihrem neuen Deutschlandtakt. Einfacher gesagt als getan: Eine aktuelle Studie der IHK Nord benennt problematische Punkte für Wirtschaft, Handel und Seehäfen.
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Um den Hamburger Hafen noch besser anzubinden, braucht es mehr Güterzüge. Doch die bisherigen Planungen reichen noch nicht aus.

Von Jochen Harberg, 9. Dezember 2022 (HW 6/2022)

Politik und Deutsche Bahn haben sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2030 soll die Gütertransportleistung auf deutschen Schienen auf 153,7 Milliarden Tonnenkilometer (tkm) steigen, so der „Zielfahrplan Deutschlandtakt“ („D-Takt“) – das wären gut 30 Milliarden tkm mehr als noch 2020. Bedeutsam ist das Vorhaben insbesondere für die norddeutschen Seehäfen. Denn über diese werden mehr als zwei Drittel des deutschen Außenhandels abgewickelt, und ihr Güterumschlag hängt entscheidend von leistungsfähigen Schienenverbindungen ab, die die Hafen-Terminals mit dem Binnenland verbinden.

„Wir unterstützen die Ziele des Deutschlandtaktes uneingeschränkt, er ist eine riesige Chance für den Schienenverkehr im Norden“, sagt Prof. Norbert Aust, noch bis Ende Dezember Vorsitzender der IHK Nord, die 13 Industrie- und Handelskammern aus den fünf norddeutschen Bundesländern vereint. Um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, seien jedoch „Investitionen in eine entsprechend leistungsfähige Infrastruktur nötig“ – und hier bestehe noch reichlich Handlungsbedarf. Austs klare Forderung: „Der Schienengüterverkehr muss in den Planungen des Deutschlandtaktes noch stärker berücksichtigt werden.“

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Elbe&Flut / Thomas Hampel
Robert Mahler ist der Geschäftsführer der METRANS, einem Tochterunternehmen der HHLA.

Das zeigt auch eine aktuelle Studie der IHK Nord und des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe ZDS. Sie überprüfte, ob die im Rahmen des D-Takts beschlossenen Ziele und infrastrukturellen Maßnahmen eine ausreichende Grundlage darstellen, um die ambitionierten Ziele des Projektes auch im Schienengüterverkehr zu erreichen. „Wir haben geschaut: Reichen die Kapazitäten? Und da muss man sagen: aus unserer Sicht nicht!“, fasst Frank Zühlke, stellvertretender Geschäftsführer der IHK Nord, die Ergebnisse der Studie zusammen.

Die geforderten Verbesserungen im Güterverkehr sind noch Zukunftsmusik, im Personenverkehr bietet der neue Winterfahrplan der Bahn ab dem 11. Dezember schon konkrete Verbesserungen für Hamburg. So wird die zweistündliche Verbindung Köln–Mannheim–Karlsruhe–Basel bis Hamburg rückverlängert. Auf der stark frequentierten Strecke nach Bremen, Osnabrück, Münster und Köln bestehen damit ab Hamburg stündliche Direktverbindungen – meist im modernen ICE 4 XXL mit 917 Sitzplätzen und acht Fahrradstellplätzen. Der Hamburger Hauptbahnhof ist übrigens der meistfrequentierte Fernbahnhof der Deutschen Bahn – und der europäische Bahnhof mit dem höchsten Passagieraufkommen nach Paris-Nord.

Denn eigentlich hatte sich das Bundesverkehrsministerium schon 2019 im „Masterplan Schienenverkehr“ zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Güteranteil am Schienenverkehr von derzeit 18 auf 25 Prozent zu steigern – was rund 200 Milliarden tkm entspräche. Die Gutachter der IHK-Studie halten dieses Zeitfenster für unrealistisch, 25 Prozent seien eher bis 2040 zu erreichen.

Vor allem die für den D-Takt ausgegebene Devise „Erst Fahrplan, dann Infrastrukturmaßnahmen“ bereitet den Fachleuten für Güterverkehr Sorgen. Alle Beteiligten betonen zwar immer wieder ihre Sympathie für das ehrgeizige Bahnreform-Projekt. Man wolle, so Frank Zühlke, „keinesfalls Personenverkehr gegen Güterverkehr ausspielen“.  Doch die Probleme für die Bahnlogistik würden in den derzeitigen Planungen kaum geringer, sondern eher mehr. „Ein Großteil der Maßnahmen bezieht sich auf Ausbauten für den Fernverkehr“, urteilt Roger Mahler, Geschäftsführer der METRANS, die als Tochterunternehmen der HHLA hochfrequente Bahnverbindungen zu den deutschen Seehäfen herstellt.

Für den Personenverkehr sei das auch in Ordnung, sagt Mahler. „Jedoch kann es nicht sein, dass der Schienengüterverkehr nur das bekommt, was tagsüber übrig bleibt oder in die Nachtstunden verdrängt wird.“ Und nennt auch gleich ein prägnantes Beispiel: Der vorgezogene Deutschlandtakt auf der Strecke Hamburg–Berlin führe durch häufige Überholungen bereits jetzt zu einer Fahrzeitverlängerung von 30 bis 180 Minuten, mit mehrfachen zusätzlichen Halts und teilweise längeren Umwegstrecken. „Dabei wird sinnlos Energie verbrannt.“

Der Deutschlandtakt ist eine riesige Chance für den Schienenverkehr im Norden.

Norbert Aust

Als weitere Probleme benennt die Studie unter anderem fehlende Finanzmittel im höheren zweistelligen Milliardenbereich sowie viel zu geringe Planungs- und Baukapazitäten. Gleichzeitig nennt sie eine Reihe von Maßnahmen, die relativ schnell spürbare Abhilfe leisten könnten – unter anderem die Schaffung sogenannter Flexitrassen als Ausweichstrecken sowie eine Effizienzerhöhung durch längere Züge und höhere Zuggewichte zur besseren Auslastung der Terminal-Infrastrukturen.

Dafür müssten entsprechende Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Erforderlich sind auch Innovationen durch digitale Datenplattformen und Kapazitätsmanagement-Tools. Angeregt wird in der Studie zudem ein Branchenforum aller Beteiligten, eventuell unter der Führung des Bundesverkehrsministeriums. Eine solche Plattform ließe sich schon 2023 starten, mit ersten lösungsorientierten Ergebnissen könne man dann, so Zühlke, „schon in drei bis vier Jahren rechnen“.

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