War es im vergangenen Jahr die US- Band R.E.M., mit der Norbert Aust seine Rede begann, wählte er als Einstieg nun einen Text von Bob Dylan, den der Folksänger und Literaturnobelpreisträger vor nicht weniger als 60 Jahren verfasst hat: „You better start swimming or you`ll sink like a stone, for the times, they are a changing“, „Fangt besser an zu schwimmen, oder ihr werdet wie ein Stein sinken, denn die Zeiten ändern sich“, zitierte er. Mit diesen Worten wies Aust die Anwesenden auf die großen Herausforderungen der Gegenwart hin, die von Krieg und Klimawandel über Künstliche Intelligenz bis hin zur drohenden Deindustrialisierung reichen.
Rund 1200 Gäste kamen in den Großen Börsensaal der Handelskammer, um zu hören, was der Präses der Stadt, ihren Unternehmerinnen und Unternehmern sowie dem regierenden Senat am Ende des Jahres zu sagen hatte, darunter Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard, Finanzsenator Andreas Dressel und weitere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft.
Es ist Tradition, dass der Präses der Handelskammer anlässlich der Jahresschlussversammlung der „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ (VEEK) eine einstündige Rede hält, in der er das zurückliegende Jahr Revue passieren lässt, in der er Forderungen an die Politik stellt, Kritik an Senat und Bundesregierung gleichermaßen übt und ausspricht, was zu tun ist, damit der Standort Hamburg auch weiterhin erfolgreich bleibt.
Unter anderem forderte Aust den Senat auf, die Wirtschaftspolitik entschlossener voranzutreiben und eine klare Zukunftsvision zu entwickeln. „Ordentliches Regieren“ sei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Zukunft. „Spätestens seit dem gescheiterten Volksentscheid zur Olympia-Bewerbung scheint es mir zu häufig so, als hätte die politisch Verantwortlichen der Mut verlassen, groß und langfristig zu denken und echte Zukunftsprojekte anzustreben.“
Von Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher forderte Aust: „Rufen Sie eine ‚Hamburger Zukunftsklausur‘ ins Leben, bei der die Top-Entscheider aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft regelmäßig zusammenkommen, um gemeinsam Hamburgs Zukunft zu gestalten.“ Die Reaktion im Saal zeigte, dass er mit dieser Forderung vielen Anwesenden aus der Seele gesprochen zu haben schien. Als zentrale Themen für eine Zukunftsklausur sieht der Präses beispielsweise die Stärkung des Hafens durch mehr Wettbewerb und die Förderung von Innovationen am Standort.
Die Rede von Präses Prof. Norbert Aust können Sie auf der Internetseite der Handelskammer im Wortlaut nachlesen. Dort können Sie sich auch eine Aufzeichnung der Veranstaltung anschauen.
„Der Hafen ist das wirtschaftliche Herz unserer Stadt, doch dieses Herz schlägt nicht mehr im Takt der Weltwirtschaft.“ Das größte Problem sei der fehlende Wettbewerb. Während der weltweite Containerumschlag in den vergangenen 15 Jahren um fast 75 Prozent gestiegen ist, sei er in Hamburg um mehr als 15 Prozent zurückgegangen. „Die Häfen von Rotterdam und Antwerpen konnten im gleichen Zeitraum den Umschlag um fast 40 Prozent steigern.“
Der Präses machte deutlich, dass der Einstieg der weltweit größten Linienreederei MSC bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) allein noch längst nicht zu mehr Wettbewerb im Containerumschlag führe, der aber dringend notwendig sei, um Effizienz und Produktivität nachhaltig zu steigern.
Mit Blick auf die Forderung der Handelskammer nach einer Zukunftsmilliarde für die gezielte Förderung des Innovationsstandortes kritisierte Aust, dass der Senat eine echte Chance vertan habe. Hamburg habe sich 2023 allein über rund 1,5 Milliarden Euro Dividendenzahlung aus seiner Beteiligung an Hapag-Lloyd erfreuen dürfen, mit der die Stadt nicht habe rechnen können. „Ich frage daher den Hamburger Senat: „Wo ist das Geld geblieben?“ Eine Frage, auf die das Publikum amüsiert und mit großem Beifall reagierte.
Viel Applaus erhielt Aust zum Teil auch für weitere Ideen, die er für eine mögliche Zukunftsklausur nannte. Unter anderem schlug er Hamburg und die dänische Hauptstadt Kopenhagen als gemeinsamen Austragungsort der Olympischen Spiele 2040 vor. In fünf Jahren werde der Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark fertig sein, wodurch ein neuer großer Wirtschaftsraum aus Südschweden, Dänemark und ganz Norddeutschland entstehe. „Hamburg wird damit endgültig zur südlichsten Stadt Skandinaviens. Da liegt es doch nahe, dass wir uns gemeinsam mit Kopenhagen um die Austragung der Olympischen Spiele bewerben. Damit erhält auch der olympische Gedanke eine ganz neue völkerverbindende Qualität.“
Mehr unternehmerische Handlungsfreiheit ist laut Handelskammer-Präses das Gebot der Stunde, um aus der derzeitigen Krise zu kommen. Insbesondere, damit die deutsche Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleibt. Um die großen aktuellen Herausforderungen zu bewältigen, nimmt Aust auch die Bundesregierung in die Pflicht. Unter anderem fordert er eine Zukunftsagenda für mehr unternehmerische Handlungsfreiheit als Basis für Innovationskraft. Andernfalls drohe die deutsche Wirtschaft den Anschluss im internationalen Wettbewerb zu verlieren.
„Wir brauchen dringend weniger Bürokratie, einfachere Verwaltungsverfahren und viel schnellere Genehmigungen.“ Vor allem der Investitions- und Umsetzungsstau im Bereich der Infrastruktur ist aus Sicht des Präses ein deutliches Symptom dafür, dass staatliche Strukturen mit dem Tempo, in dem sich unsere Wirklichkeit verändert, immer weniger mithalten können. „Hinzu kommen realitätsferne Vorschriften und Gesetze, mit denen eine bessere Welt herbeireguliert werden soll.“
Einen kritischen Blick warf Aust auf die sogenannte „Stadtwirtschaftsstrategie“ der Stadt und drängte zur sichtlichen Zufriedenheit des Publikums darauf, die städtischen Tätigkeiten auf ihre Komplexität hin zu überprüfen und zu reduzieren: „Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Bitte achten Sie darauf, dass aus unserer Stadtwirtschaft keine Staatswirtschaft wird.“
In diesem Jahr fand die traditionelle Jahresschlussversammlung der VEEK zum letzten Mal unter ihrem alten Namen statt. Künftig wird sie „Versammlung Ehrbarer Kaufleute zu Hamburg“ heißen. Ihr Vorsitzender ist Jochen Spethmann. Der Gesellschafter der Laurens Spethmann AG & Co. KG folgte im November 2022 auf Gunter Mengers, der nach neun Jahren Amtszeit satzungsbedingt zusammen mit zwei weiteren VEEK-Mitgliedern aus dem engeren Vorstand ausgeschieden war.
In seiner Rede sicherte der Präses nicht nur der Ukraine die uneingeschränkte Solidarität der Hamburger Wirtschaft zu, sondern auch den Menschen in Israel, der notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen und den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. „Es erschüttert mich zutiefst, dass Jüdinnen und Juden in unserem Land wieder Angst haben müssen“, sagte er – und begrüßte den Landesrabbiner der Jüdischen Gemeinde Hamburgs persönlich: „Lieber Herr Bistritzky, ich versichere Ihnen, für Antisemitismus ist in der Hamburger Wirtschaft kein Platz, wir stehen fest an Ihrer Seite: Nie wieder ist jetzt!“
Aust befürchtet, dass sich viele der aktuellen Entwicklungen in der Welt – Ukrainekrieg, Nahostkonflikt, die Rivalität zwischen den USA und China, um nur einige wenige Beispiele zu nennen – direkt auf Hamburg als Deutschlands Außenwirtschaftszentrum auswirken. Sie ließen sich hier „wie durch ein Brennglas“ beobachten. Und er mahnte, Deutsche und Europäische Außenwirtschaftspolitik dürfe nicht an Hamburg vorbei gemacht werden. An Dr. Melanie Leonhard, die wie Peter Tschentscher in der ersten Reihe saß, appellierte er, genau dies in Berlin und Brüssel „in aller Deutlichkeit“ einzufordern. Ob die Wirtschaftssenatorin dieser Bitte nachkommen wird, war ihrem Gesichtsausdruck nicht abzulesen.
Ein weiterer Punkt, den der Präses in den Fokus rückte, ist das eindeutige Bekenntnis der Handelskammer zum Klimaschutz: „Wir verfolgen das ehrgeizige Ziel, den Wirtschaftsstandort Hamburg bis 2040 klimaneutral zu machen – und das unter besonderer Berücksichtigung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit.“ Natürlich könne Hamburg allein das Klima nicht retten, aber der Standort solle eine Modellregion werden, „die mit gutem Beispiel vorangeht“.
Um diesen Prozess voranzubringen, hat die Kammer in Kooperation mit der OECD ein umfangreiches Forschungsprojekt aufgelegt. Es soll aufzeigen, wie Unternehmen klimaneutral werden können, ohne dabei an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Gerade die Hansestadt bietet aus Sicht der OECD wegen des Hafens, der starken Industrie am Standort und der mittelständischen, breitgefächerten Wirtschaftsstruktur hervorragende Voraussetzungen, sich zu einer klimaneutralen Modellregion zu entwickeln.
Bereits auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai erregte die Studie, deren Ergebnisse am 26. Januar in Gegenwart von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Hamburg vorgestellt werden, große Aufmerksamkeit. Aust mahnte: Grundlage für den Klimaschutz sei eine starke Wirtschaft – und für diese wiederum sei eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen unabdingbar.
Es sei Kernaufgabe des Staates, dies zu gewährleisten, aber das Gegenteil geschehe. „Auch ohne weitreichende volkswirtschaftliche Kenntnisse ist doch klar: Wenn das Energieangebot verknappt wird, weil verfügbare und preiswerte Energieträger abgelehnt oder nicht mehr importiert werden können, wird Energie teuer, und wir alle zahlen dafür.“ Vor allem energieintensive Unternehmen können nach Aussage von Norbert Aust in Deutschland oft nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren, namhafte Firmen haben in Hamburg bereits Kapazitäten stillgelegt. „Wertschöpfung und Arbeitsplätze gehen verloren, Deindustrialisierung ist keine Befürchtung mehr, sie findet statt.“
Die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe zu senken, bezeichnet Aust als „überfälligen“ Schritt. „Besser wäre allerdings gewesen, dies für alle Wirtschaftszweige zu tun.“ Das Energieangebot, insbesondere die Kapazitäten an Erneuerbarer Energien, müsse konsequent ausgeweitet werden, damit wieder wettbewerbsfähige Strompreise über den Markt entstehen. Norddeutschland könne davon besonders profitieren.
Der Hafen ist das wirtschaftliche Herz unserer Stadt.
Norbert Aust
Des Weiteren hob der Präses hervor, dass die City zwar die „Visitenkarte unserer Stadt“ sei, diese allerdings seit Langem schon vor „absehbaren Herausforderungen“ stehe. Besonders wichtig sei es, die Innenstadt mit der HafenCity zu verbinden. Seit mehr als 25 Jahren wird inzwischen über dieses Thema und die Willy-Brandt-Straße diskutiert, die diese Quartiere voneinander trennt.
Die Handelskammer hat im Laufe der Zeit viel zu dieser Diskussion beigetragen. Im Jahr 2017 hatte sie beispielsweise eine Untertunnelung der viel befahrenen Straße vorgeschlagen, was seinerzeit als zu langwierig abgelehnt wurde. „Inzwischen hätte die Untertunnelung längst fertig sein können, und die Probleme wären weitgehend gelöst“, so Aust. „Was wir jetzt wirklich nicht brauchen, sind neue Diskussionen und Ideenwettbewerbe, es liegen genügend Vorschläge auf dem Tisch.“ Und nicht ohne Ironie fügte er augenzwinkernd hinzu: „Ich glaube, es gibt für keinen Stadtraum der Welt mehr Vorschläge.“
Damit Hamburg als Standort weiterhin so erfolgreich bleibt wie bisher, müssen Politik und Wirtschaft eng, vertrauensvoll und mit der gebotenen Arbeitsteilung zusammenarbeiten, konstatierte der Präses. „In Hamburg haben wir in dieser Zusammenarbeit eine lange erfolgreiche Tradition. Rathaus und Handelskammer, Rücken an Rücken im Zentrum der Stadt, sind ein eindrückliches Symbol dafür. Denn eines der Erfolgsgeheimnisse Hamburgs ist der Wettbewerb um die besten Ideen für unseren Standort.“ Bei aller Kritik, die er übte, schaute der Präses insgesamt konstruktiv nach vorn: „Wir können und wir werden uns gemeinsam eine positive Zukunft erarbeiten.“
Eröffnet hat die Jahresschlussversammlung der VEEK-Vorsitzende Jochen Spethmann. Es war seine erste Ansprache in dieser Funktion. Der Gesellschafter der Laurens Spethmann AG & Co. KG, der viel Humor zeigte („Un nu geiht dat los mit dem Klatschen“), folgte vor gut einem Jahr auf Gunter Mengers, der nach neun Jahren Amtszeit satzungsbedingt zusammen mit zwei weiteren VEEK-Mitgliedern aus dem engeren Vorstand ausgeschieden war. Die Schlussworte sprach Nataly Bombeck. Die Leiterin Development Elbphilharmonie und Geschäftsführerin Stiftung Elbphilharmonie wurde neu in den Vorstand der VEEK gewählt.
Die „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V.“ (VEEK) ist mit rund 1200 persönlichen Mitgliedern die größte werteorientierte Vereinigung Deutschlands. Die persönliche Mitgliedschaft setzt die Anerkennung des Leitbildes der VEEK voraus. Dieses steht auf drei Säulen: Verantwortung als Mensch, als Unternehmer:in und als Manager:in sowie als Mitglied der Gesellschaft. Persönliche Mitglieder der VEEK können Kaufleute oder Unternehmer:innen aus Hamburg oder Umgebung sein, die in leitender Position unternehmerische Budget- und Personalverantwortung tragen. Die Übereinkunft gemeinsamer Werte wie Beständigkeit, Weltoffenheit und Verlässlichkeit haben seit dem Zusammenschluss der VEEK im Jahr 1517 Bestand. Die Prinzipien, zu deren Einhaltung sich die Mitglieder verpflichtet haben, sind in der Vision und Mission der VEEK zusammengefasst. Einen großen Fokus legt die VEEK bei ihren Aktivitäten auf die Förderung des kaufmännischen Nachwuches, der Verankerung unserer Werte in Wirtschaft und Gesellschaft sowie auf den Schutz vor Wirtschaftskriminalität. Hier finden Sie mehr über Vision und Mission, Kooperationen, Ausschüsse, Projekte und Mitgliedschaft.