Auf zu neuen Wegen! Nach knapp zwei Jahrzehnten in der Werbung und Stiftungsarbeit eröffnete Julia Bode 2013 mit ihrem Mann Axel, einem Fotografen und Sommelier, den „Witwenball“ in der Weidenallee. Das Restaurant mit 70 Sitzplätzen und 16 Mitarbeitenden läuft gut. Und doch ist nicht alles in Butter. Denn wie vielen anderen Gastronomen bereitet auch den Bodes der Fachkräftemangel große Sorgen. „In unserer Branche ist die Fluktuation groß. Alle zwei Jahre den Job zu wechseln, ist etwa für Köche normal. Das stellt uns bei der Personalsuche vor große Herausforderungen“, so Julia Bode.
Laut dem aktuellen Fachkräftemonitor der Handelskammer werden Hamburger Unternehmen bis zum Jahr 2035 etwa 133 000 Fachkräfte und 27 000 Kräfte für sogenannte Helferberufe fehlen, vor allem aufgrund des demografischen Wandels: Bis 2035 werden in Hamburg rund 216 000 Arbeitskräfte aus dem Arbeitsleben ausscheiden und in Rente gehen – und es gibt zu wenig Nachwuchs. Um die Lücke zu schließen, gilt es, alle verfügbaren Potenziale auszuschöpfen. Welche Aktivitäten Hamburg und die Kammer ergreifen, was der Aktionsplan beinhaltet und wie Unternehmen aktiv werden können, erfahren Sie hier.
Ein weiteres Problem sei, dass infolge von Corona und den damit einhergehenden Restaurantschließungen vielen Fachkräften der Appetit auf die Gastronomie vergangen sei. „Es sind aber nicht nur die Arbeitszeiten, die vermeintlich fehlenden Perspektiven und die teilweise geringe Wertschätzung, die die Leute zum Abwandern in andere Branchen bewegt haben. Auch die hohen Lebenshaltungskosten und der Mangel an Wohnraum haben dazu beigetragen“, so die Gastronomin.
Den Gastro-Kuchen versüßt hat den Bodes zuletzt eine Neueinstellung: Dank Mund-zu-Mund-Propaganda konnten sie zwei neue Mitarbeitende gewinnen. Seither ist der „Witwenball“ einen Tag mehr in der Woche geöffnet, was den Umsatz steigert. Ihren Plan, für spezielle Events einen zweiten Standort zu eröffnen, haben die Bodes dennoch vorerst auf Eis gelegt. Aufgrund der personellen Situation trauen sie sich eine solche Investition momentan nicht zu.
Aktionsplan der Handelskammer
Wie die Bodes, suchen derzeit immer mehr hiesige Unternehmen vergeblich nach neuen Mitarbeitenden – und die Lage spitzt sich zu. Um rasch Abhilfe zu schaffen, aber auch langfristig Fachkräfte für den Standort zu sichern, hat die Handelskammer einen Aktionsplan entwickelt, der im November vorgestellt wurde. „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagt Präses Prof. Norbert Aust. Da der Fachkräftemangel bereits allgegenwärtig sei, müsse dringend etwas an der Situation geändert werden.
„Wir müssen mehr Fachkräfte qualifizieren, für Mitarbeitende in Teilzeit attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen und Zuwanderung fördern und vereinfachen, damit Fachkräfte aus dem Ausland mit ihren Familien bei uns eine neue Heimat finden können“, so Aust weiter. Um dies zu erreichen, sei geplant, das Netzwerk der Auslandshandelskammern stärker einzubinden. Diese sollen Fachkräfte ansprechen und bei Fragen rund ums Visum oder Zeugnisanerkennungen Hilfe leisten.
Zu den Kernpunkten der Fachkräftestrategie gehört ferner, für bestimmte Berufsbilder internationale Fachkräftepartnerschaften mit ausgewählten Drittländern wie Kolumbien zu etablieren. Die Zuwanderung gut ausgebildeter Menschen soll in diesem Rahmen etwa durch zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen im Herkunftsland unterstützt werden.
Ein weiterer Kernpunkt des Aktionsplans: die Aktivitäten der bereits bestehenden Bildungsplattform für Lebenslanges Lernen unter einem Dach zu bündeln. „Auf der Plattform sollen künftig alle unsere Bildungsaktivitäten erscheinen“, erläutert Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne. „Außerdem werden wir weiter regelmäßig Trends und Entwicklungen am Fachkräftemarkt analysieren und veröffentlichen. Und wir setzen darauf, die Fachkräftequalifizierung in der Berufsausbildung sowie in der Weiterbildung voranzutreiben und Unternehmen darin zu unterstützen, die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen.“
Konsens besteht darin, dass die Stadt Hamburg stärker als attraktiver Standort für Fachkräfte aus dem Ausland positioniert werden muss. „Wir sollten uns hinter Berlin nicht verstecken“, untermauert Julia Bode. Um weitere Stellschrauben zur Fachkräftesicherung zu diskutieren und zu erarbeiten, wird die Handelskammer eine Konferenz zur Arbeitswelt der Zukunft organisieren: 2024 soll ein „Future Work Summit“ stattfinden.