
Das Musical „MJ“ über Michael Jackson feierte am 1. Dezember 2024 Premiere im Stage Theater an der Elbe und hat Anfang August bereits die Marke von 500 000 verkauften Tickets geknackt. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Wir wollten die Show unbedingt machen, weil die Musik unglaublich stark ist. Michael Jackson hat immer noch ein riesiges Fanpublikum in Deutschland. Und selbst wenn man denkt, man ist gar kein Michael-Jackson-Fan: In dem Moment, wenn die Musik losgeht, da gehen auch die Emotionen mit einem durch. Das ist der stärkste Faktor der Show.
Was bedeutet solch ein großer und auch schneller Erfolg für Hamburg?
Hamburg ist der Standort, an dem wir präferiert unsere neuen Shows starten. Das ist mittlerweile international anerkannt. Die großen Lizenzgeber wollen mit ihren Shows nach Hamburg kommen. Die Stadt hat sich über die Jahrzehnte zum Musical-Standort schlechthin entwickelt, zur Nummer eins in Deutschland.
Die Menschen reisen aus ganz Deutschland nach Hamburg, um ein Musical zu sehen. Ein so großer Erfolg wie „MJ“ zahlt stark auf diese touristische Komponente ein. Und dank unserer weit in die Zukunft reichenden Vorverkaufszeiträume können die Gäste ihre Hamburg-Musical-Reise genau und langfristig planen.
Seit die Stage Entertainment 2000 an die Elbe kam, sind Sie dabei. Was hat sich im Kulturbereich seither verändert?
Uschi Neuss studierte Geschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Englisch, Deutsch und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Nach dem Wechsel in die Theaterbranche mit Stationen in Duisburg, Essen und Hamburg begann im Jahr 2000 ihre Karriere bei Stage Entertainment Germany. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin des Unternehmens und verantwortlich für rund 300 Millionen Euro Jahresumsatz sowie circa 1400 Mitarbeitende. Unter ihrer Leitung hat Stage mehr als 30 neue Musicals nach Deutschland geholt, eigene Produktionen sowie Kooperationen vorangetrieben und die jährliche Zahl der Gäste auf fast vier Millionen erhöht.
Früher gab es noch eine viel stärkere Trennung zwischen sogenannter gehobener Kultur und Unterhaltungs-„Industrie“. Das hat sich sehr verändert. Durch Darstellende, die in beiden Bereichen tätig sind.
Durch die Gäste, die diese Schere meist gar nicht im Kopf haben. Und durch den Austausch aller Theater, der sich während der Pandemie noch einmal intensiviert hat.
Zum Beispiel nehmen wir 2025 am Saison-Eröffnungskonzert der Staatsoper teil. Vor 25 Jahren war das Genre Musical in Deutschland und Hamburg zwar schon etabliert mit „Cats“ und „Phantom der Oper“.
Als wir dann aber den „König der Löwen“ hierhergebracht haben, hat das noch einmal die Tore geöffnet und uns bei den internationalen großen Lizenzgebern ganz weit nach vorn gespielt. Unsere Partnerschaft mit Disney ist begründet auf diesem Erfolg, der uns seit 25 Jahren trägt. Und das hat ganz viel nach sich gezogen.
War das Ziel von Anfang an die Expansion, also weitere Häuser zu eröffnen und zu bespielen?
Wir haben eine ganz klare Ambition zu wachsen. Wir betreiben jetzt vier Theater in Hamburg. Und das wird nicht das Ende sein. Wir denken sehr konkret darüber nach, wie wir den Hamburger Markt noch besser gestalten können. Wir haben viele Stücke zur Auswahl. Manchmal drückt bereits die nächste Show. Und ein Musical muss Platz machen für ein neues.

Das ist eine tolle Entwicklung, die wir so lange nur vom Broadway kannten. Mit unserem Stuttgarter Markt mit zwei Theatern können wir unsere Laufzeiten zudem häufig noch verlängern.
Das heißt: Mit einer Show, die wir in Hamburg national bekannt gemacht haben, können wir auch ein Erfolgsversprechen geben. Wir setzen auf eine Mischung aus großen Marken und etablierten Titeln sowie ganz neuen Shows, bei denen wir dann auch ins volle Risiko gehen, um so viele Menschen wie möglich anzusprechen.
Sie probieren viel Neues aus. Gibt es Investitionen, die nicht so aufgehen wie erhofft?
Selbstverständlich. Wenn wir eine neue Show in den Markt bringen, wissen wir nicht, ob sie ihr Publikum findet. Das ist Teil unseres Geschäftes, dieses Risiko bewusst und freudig einzugehen. Wir spielen jede neue Show mindestens ein Jahr. Und das acht Mal die Woche.
Unser Ziel ist es, unsere Produktionsinvestitionen innerhalb eines Jahres zurückzuverdienen. Meistens klappt es, manchmal nicht. „Hamilton“ zum Beispiel haben wir nach einem guten Jahr gestoppt. Die Show hat uns aber extrem viel Freude gemacht und uns ein tolles Renommee beschert. Allein die „New York Times“ hat uns dazu drei Artikel gewidmet.
Auch wenn der deutschsprachige „Hamilton“ nicht so erfolgreich war wie die englische Version am Broadway, hat die Kombination von Rap und US-Geschichte doch verstärkt jüngere Gäste angesprochen. War das auch eine Investition in neue Zielgruppen?
Das ist genau die Frage: Wie messe ich Erfolg? Wenn ich jemanden das erste Mal in eine unserer Shows bekomme und die Person hat ein Aha-Erlebnis, was Musical alles sein kann, und sie kommt wieder – das ist Gold wert. Diesen Effekt sehen wir gerade sehr deutlich bei unserem Musical „& Julia“.
Das die Geschichte von Shakespeares „Romeo und Julia“ weitererzählt und in einer fröhlichen Erzählform sehr heutige Themen besetzt. Eine zeitgemäße Show, die uns auch innerhalb des Unternehmens die Augen und Seelen geöffnet hat. So kann sich das Genre weiterentwickeln. Die Show resoniert so gut mit unserem Publikum, dass wir sehr erfolgreich Sing-Along-Shows zum Mitsingen anbieten.

Wie haben sich die Ansprüche des Publikums im Laufe der vergangenen 25 Jahre denn verändert?
Es gibt zum Glück nicht das eine Musical-Publikum. Insgesamt sehen wir aber für den deutschen Markt: Unsere Gäste mögen die große Ausstattung, die große Show. Es gibt eine hohe Bereitschaft, viel Geld auszugeben für ein besonderes Ereignis. Dazu gehört eine gewisse Opulenz. Mit der Zeit haben sich auch Seh- und Hörgewohnheiten verändert. Alles ein bisschen schneller, ein bisschen lauter und ein bisschen knackiger.
Shows, die über die Drei-Stunden-Grenze gehen, sind eher zu lang. Auch mit dem gestiegenen Wunsch, das Gesehene in den sozialen Medien zu posten, gehen wir sehr positiv und proaktiv um. Kurz vor und am Ende der Show gibt es Momente, bei denen die Leute mitfilmen und fotografieren dürfen. Wir wollen da keine Verbotskultur wie am Broadway. Denn für viele Menschen gehört diese Kultur des Teilens zum emotionalen Erlebnis dazu.

Wie ist die Stage Entertainment den digitalen Wandel angegangen, zum Beispiel in Bezug auf das Ticketing?
Innovationen und technische Entwicklungen scheinen sich aktuell zu beschleunigen. Allerdings gab es in Marketing und Vertrieb nie eine Zeit, in der es keine Veränderungen gab. Dieser Bereich musste sich immer anpassen: Wie informiert sich der Gast? Wie kauft der Gast? Was muss ich dafür tun?
Von der klassischen Vorverkaufsstelle bis zum Mobilgerät: Wir machen jede Entwicklung mit, um so nah wie möglich an unser Publikum heranzukommen. Ab dem nächsten Jahr werden wir unser Ticketing inhouse organisieren. Bei diesen Prozessen hilft uns sehr, dass wir ein tolles gemischtes Team haben mit ganz verschiedenen Erfahrungen von jung bis alt – alles dabei.
Sind die unterschiedlichen Berufsgruppen das eigentliche Kapital des Unternehmens?
Das ist tatsächlich das, was mich nach wie vor am meisten begeistert: Dass wir innerhalb einer Company alles zu bieten haben. Von Development, Finance, PR und Branding über Theaterleitung, Stagemanagement, Requisite, Bühnentechnik und Orchester bis hin zu unseren Darstellenden.
Der Begriff Human Resources klang für mich immer sehr technisch. Um unsere Unternehmenskultur noch stärker in den Fokus zu rücken, haben wir unsere Personalabteilung in „People & Culture“ umbenannt. Mit Fragen wie: Wofür stehen wir? Welche Menschen wollen wir bei uns haben?
Nach der Pandemie war die Fachkräftegewinnung eine große Herausforderung, gerade im Bereich Veranstaltungstechnik. Wie ist die Lage aktuell?
Wir suchen immer gutes Personal, vor allem im handwerklichen und technischen Bereich. Aber unsere Situation hat sich enorm verbessert. Wir haben viele Interessenten auf freie Jobs, weil wir als Arbeitgeber, glaube ich, gut in die Zeit passen; in Bezug darauf, was junge Menschen suchen.
Oftmals ist das Lamento zu hören, die „Gen Z“, also die jetzt nachrückende Generation, sei nicht arbeitswillig. Wie stehen Sie dazu?
Ich kann dieses Bashing von jungen Menschen nicht ertragen. Dieses „Also wir früher …!“ Da will ich überhaupt nicht mitmachen. Es gibt nichts Bereichernderes, als junge Menschen ins Team zu holen. Wir müssen als Unternehmen Sorge tragen, dass wir uns gut durchmischen und nicht zu sehr in einer Altersgruppe bleiben. Was sich ein bisschen verändert hat, sind bestimmte Priorisierungen.
Es gibt nichts Bereichernderes, als junge Menschen ins Team zu holen.
Die Work-Life-Balance-Diskussion finde ich gar nicht so schlecht. Sich also zu fragen: Wie viel schaffe ich wirklich? Ab wann gehe ich über meine Grenzen? Bei uns gibt es durchaus einen Erfolgsdruck.
Und dann geht es eben darum, dass die Mitarbeitenden fit sind. Was ich sehr interessant finde: dass es viel mehr junge Väter gibt, die Elternzeit nehmen. Das boomt bei uns.
Sie haben jüngst einen Diversity-Tag veranstaltet. Wie wirkt sich dieses Engagement positiv auf das Unternehmen aus?
Es war uns schon immer ein Anliegen, dass Menschen mit jedem Hintergrund bei uns arbeiten. In den Fokus gerückt ist das Thema noch einmal verstärkt durch die „Me Too“-Debatte und die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA. Wir haben uns als Unternehmen dazu wöchentlich international ausgetauscht und reflektiert. Aus dieser Arbeit ist auch die deutsche „Diversity- & Inclusion“-Gruppe entstanden, die aus den Mitarbeitenden selbst besteht, also ausdrücklich nicht „top down“ funktioniert. Für deren Aktionen und Maßnahmen gibt es ein Budget.
Stage Entertainment Germany ist die größte Gesellschaft innerhalb der internationalen Unternehmensgruppe, die der US-Mediengruppe Advance Publications gehört. Sie beschäftigt weltweit rund 2300 Mitarbeitende und betreibt 17 Theater, davon fünf in Hamburg (insgesamt acht in Deutschland).
Daraus haben sich viele tolle Entwicklungen ergeben, zum Beispiel unser „Earcatch“, eine Applikation für Gäste mit Seh-Einschränkungen, bei der eine Stimme über Kopfhörer synchron die visuellen Elemente der Show erläutert.
Wir haben einen Workshop gemacht, um die Anzahl von Dirigentinnen für unsere Orchester zu erhöhen. Und unsere „Hair & Make-up“-Abteilung wurde auf den Umgang mit Afro-Haaren geschult. Wichtig ist, dass Diversität nicht einfach plakativ nach außen getragen, sondern im Unternehmen wirklich gelebt wird.
Inwiefern begünstigt die Internationalität der Stage Entertainment solche Prozesse?
Uns macht als Firma aus, dass wir länderübergreifend zusammenarbeiten. Wir haben zum Beispiel internationale Producer-Meetings, bei denen sich alle austauschen, die Shows auf die Bühne bringen. Auch Management, Finance und Commercial-Abteilung aus den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Italien, England und den USA arbeiten eng vernetzt miteinander. Daraus ergeben sich immer wieder neue Perspektiven. Was in Deutschland funktioniert, ist zum Beispiel noch lange nicht auf den spanischen Markt übertragbar.

Die gesamte Live- und Kulturbranche hat aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage mit gestiegenen Kosten zu kämpfen. Wie sehr belastet das die Stage Entertainment?
Das ist die größte Herausforderung. Die externen Kosten sind explodiert – besonders bei allem, was mit Vermarktung zu tun hat. Früher haben wir – neben der Außenwerbung – noch in TV, Radio und Print geworben. Jetzt haben sich die Kanäle vervielfacht. Und dieser Content will produziert werden. Das bedeutet für uns, dass wir Prozesse schlanker gestalten müssen.
Wie können wir zum Beispiel das Digitale effizienter nutzen? Wo lässt sich KI einsetzen? Hinzu kommt, dass die Menschen momentan mehr Geld zum Leben ausgeben müssen. Deshalb können wir unsere Ticketpreise gar nicht so steigen lassen wie unsere Kosten. Ein Versprechen machen wir allerdings: Wir tasten unsere Show-Qualität nicht an. Ein weiterer Aspekt ist das Thema Energie. Unsere Shows brauchen sehr viel Strom.

Das Thema Nachhaltigkeit ist akut wie nie. Welche Bestrebungen gibt es in diesem Bereich?
Das Thema Nachhaltigkeit setzen wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen in unserem Facility Management um. Von Solarpanelen auf den Dächern unserer Theater über LED-Beleuchtung bis hin zu neuen Lüftungsanlagen, durch die sich mit warmer Abluft heizen lässt.
Ihre beiden Theater an der Elbe stehen auch für einen Wandel in der Nutzung des Hafens. Wie ist das Verhältnis der Stage Entertainment zur Wirtschaft in der Stadt?
Da hat sich über die Jahrzehnte sehr viel geöffnet. Ich erinnere mich an die Anfangszeit, in der viele uns als Unternehmen nicht richtig zuordnen konnten. Im Sinne von: Ihr seid kein subventionierter Kulturbetrieb, aber Wirtschaft seid ihr auch nicht wirklich.
Mit dem Erfolg von „König der Löwen“ ist da vieles klarer geworden. Also was das allein für ein touristisches Erlebnis ist, mit dem Boot über die Elbe zum Theater zu fahren und dann auf das Panorama der Stadt zu blicken.
Dadurch wird der Hafen zelebriert. Seit 25 Jahren haben wir eine Kooperation mit der HADAG. Die Fähren shutteln unsere Gäste, die diesen Service nicht extra zahlen müssen.
Unsere Wertschöpfungskette ist groß. Wir bringen viele Menschen nach Hamburg. Und die lassen ein Vielfaches von dem, was sie an Ticketgeldern bezahlen, in Gastronomie und Hotellerie. Da sind wir sehr gut vernetzt. Studio Hamburg wiederum baut für uns alle Bühnenbilder, die wir nicht von einer bereits bestehenden Produktion übernehmen können.
Wie wird Hamburg als weltweit drittgrößter Musical-Standort international wahrgenommen? Dominieren der Broadway und das Londoner West End die Branche, oder hat auch Hamburg globales Gewicht?
Das ist definitiv passiert. Unter anderem dadurch, dass wir 2012 mit „Rocky“ das erste Mal ein Musical zuerst in Deutschland produziert haben und die Show dann erst danach an den Broadway gegangen ist. Eine sehr große Rolle hat dann die deutsche Adaption von „Hamilton“ gespielt.
Unsere Gäste mögen die große Ausstattung.
Nicht nur von der internationalen Presse, auch von Lizenzgebern und Produzenten kam das Feedback, dass sie diese Qualität nie erwartet hätten, angefangen bei der Übersetzung aus dem Englischen. Das hat eine andauernd große Strahlkraft entfaltet. In den ersten zehn, fünfzehn Jahren mussten wir den Standort Hamburg und dessen Wirtschaftskraft international noch stark erklären. Jetzt rennen sie uns die Bude ein.
