Bei Plümpe piept’s permanent

Rund 16 000 Lkw bringen täglich Tausende Tonnen Ware in den Hamburger Hafen und wieder heraus. Wir haben einen der Trucks begleitet – von der Übernahme der Ladung um sechs Uhr morgens bis zur zweiten Tour ab neun Uhr.
Mike Schaefer
Peter Plümpe (38) ist seit 15 Jahren Berufskraftfahrer.

Von Jan Freitag, 5. Juni 2025

Christoph Kellermann, Jan Freitag
Mike Schaefer
Christoph Kellermann (li.), Speditionsleiter bei Dachser, im Gespräch mit HW-„Tourbegleiter“ Jan Freitag

Zeit ist bekanntlich relativ. Gegen vier Uhr morgens aufzustehen, um keine zwei Stunden später Hamburg, Deutschland, die Welt mit Waren zu versorgen – für Nachteulen ist das eine Qual, für Tagfalter oder Frühaufsteher wie Peter Plümpe kein Problem. Wenn der selbstständige Spediteur im Dunkel eines frischen Frühlingsmorgens die Lüneburger Heide verlässt, um bei Sonnenaufgang einen Sattelauflieger des Großlogistikers Dachser an den eigenen Lkw zu hängen, wirkt er nicht nur bester Laune, sondern hochproduktiv.

„Mir macht das frühe Arbeiten nix aus“, sagt der 38-Jährige mit einem Stoß Papier unterm Arm. Es sind die Unterlagen seiner ersten Tour nach Wilhelmsburg. Viele Unterlagen. Lieferscheine, Herkunftsbelege, Zieldaten, Aufkleber voll Barcodes. „Schon mal 400 pro Fuhre“, meint der Trucker und lacht. Deutsche Logistik, das ist auch 2025 analoge Zettelwirtschaft. Immerhin ergänzt durch digitale Scanner in Smartphone-Größe.

Bei Peter Plümpe piept’s also auch an diesem Tag andauernd. Mit 33 Packstücken aus ganz Europa haben die Dachser-Disponenten den blaugelben Anhänger gefüllt – lange bevor sein Fahrer zur Niederlassung des bayerischen Logistikkonzerns nach Moorfleet gekommen ist. „Große Wagen wie der von Peter werden immer von uns vorgeladen“, erklärt Speditionsleiter Christoph Kellermann die Arbeitsteilung, „kleinere von den Speditionen selbst.“ Subunternehmer also. Auch wenn sie längst „Partner-Unternehmer“ heißen. Klingt weniger untergeben. Nach Augenhöhe.

In Hamburg sind insgesamt gut 11 000 Logistikunternehmen mit annähernd 89 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ansässig. Dank einer Bruttowertschöpfung von 11,6 Milliarden Euro, fast zehn Prozent der Gesamtsumme, zählt die Branche damit zu den umsatzstärksten der Metropolregion.

Kurz nach sechs Uhr muss Plümpe also nur noch einen Auflieger an den Mercedes Lowliner seiner eigenen Firma PP Trans Service hängen – dann lenkt er das Gefährt westwärts auf die A1. Fast. Denn zunächst geht es in Dachsers Waschstraße. „Für schöne Pressefotos“, räumt Christoph Kellermann als Letztverantwortlicher ein. „Und aus hygienischen Gründen“, ergänzt der Fahrer des Trucks, der jetzt blitzsauber glänzt.

Doch dann wartet schon die nächste Verzögerung Richtung Hafen: Hamburgs berüchtigte Rushhour. Heute allerdings fällt sie weniger hektisch aus. Wegen der verkürzten Feiertagswoche? Wegen verbesserter Baustellenkoordination? „Egal, ein Traum“, sagt Peter Plümpe und steuert den Laster 20 Minuten nach der Abfahrt auf eine von neun Spuren eines Packschuppens in Wilhelmsburg. Mit spektakulärem Blick über den Reiherstieg auf die alten Kornspeicher gegenüber werden von hier aus Exporte in Container verfrachtet und Importe zur Kundschaft. Für die Ausfuhren kriegt der Spediteur am Schalter allerdings erst mal, klar, noch mehr Formulare.

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Mike Schaefer
Das Einscannen der Packstücke gehört mit zur Routine.

Für Berufsanfänger die Bürokratiehölle auf Erden, ist das Verfahren für Profis wie Peter Plümpe – mit 15 Jahren Erfahrung und zwei Kindern, die demnächst vielleicht in seine Fußstapfen treten – jedoch Routine. Ebenso wie das, was in Halle 6 passiert, wo er seinen 40-Tonner rückwärts an Rampe 31 rangiert, als wäre es ein Karavan. „Rein, raus, rein, raus, rein, raus“, beschreibt er das unablässige Gewusel aus Mensch und Maschine, Gabelstaplern und Hubwagen.

Dutzende von Lageristen, ausnahmslos Männer, die rasend schnell und höchst präzise Waren aller Art konsolidieren, disponieren, durchsortieren und die Räder der Weltwirtschaft antreiben, den globalen Konsum, meistens beides. Und mittendrin statt nur dabei: Peter Plümpe. Im Ameisenhaufen des gut sortierten Durcheinanders bleibt er die Ruhe selbst. Das kommt wohl auch vom Thaiboxen. Abends stand er noch bis elf im Ring. Irgendwie zugleich Nachteule und Tagfalter. Nur mit Tattoos, Vollbart, Impulskontrolle und Proteindrink im Fahrerhaus.

Laut Hamburg Port Authority fuhren 2023 an Werktagen durchschnittlich 16 100 Lkw und 59 000 Pkw in den Hamburger Hafen, 900 weniger als vor Corona. Bis zu 250 davon gehören dem Allgäuer Logistikkonzern Dachser, der in Moorfleet eine seiner drei größten Zweigstellen bundesweit betreibt. Darunter sind allein 60 Vierzigtonner zum Neupreis von bis zu 400 000 Euro. Fast zehn Prozent der Flotte werden mittlerweile elektrisch betrieben.

Davon kann er um acht Uhr endlich mal einen Schluck nehmen, bevor der Lkw neu beladen wird. Diesmal mit Importware: zwölf Paletten verschiedenster Größe, Breite und Höhe. Viele chinesisch beschriftet. Dazu kanadische Medizintechnik für Tuttlingen und ein Turm undefinierbarer Pakete aus Rio Richtung Ruhrgebiet. „Easy peasy“, sagt Plümpe beim Scannen, „gleich sind wir durch.“ Auch weil der Zoll diesmal keine Stichproben macht und nur zwei Packstücke fehlen. Früher als gedacht, kurz nach neun, lenkt er seinen Truck daher zur zweiten Tour des Tages Richtung A1.

Dorthin, wo große Logistiker von DB Schenker bis Kühne & Nagel gern Stoßstange an Stoßstange mit Hunderten kleiner Spediteure stehen. Einerseits, weil die marode Infrastruktur zur Achillesferse des Warenverkehrs geworden ist. Andererseits, weil einfach immer mehr Industrie- und Konsumgüter um den Globus flottieren. Bei Dachser in Hamburg füllen 550 Angestellte zweimal täglich 13 000 Quadratmeter komplett mit Stückgut. Und ebenso oft wird die Halle vollständig in 250 Fahrzeuge vom Sprinter bis zum Sattelschlepper geleert.

Gefahr- und Sperrgut, Deko-Artikel oder Fahrzeugteile. „Und manchmal“, erzählt Christoph Kellermann aus der Lebensmittelhalle nebenan, „ein ganzer Schwertfisch.“ Peter Plümpe erinnert sich zwar gut an 60 Kisten voller Sexspielzeuge einer Pornodarstellerin, aber grundsätzlich interessiert er sich nicht für das, was er transportiert – egal ob es fünf Tage nach Thessaloniki geht. Oder zweimal täglich Moorfleet–Wilhelmsburg zurück.


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