
„Theater füllen nicht nur Säle, sondern auch Restaurants, Taxis und Hotelzimmer – selbst an vermeintlich schwachen Werktagen“, erläutert Sascha Albertsen. Der Sprecher der Hamburg Tourismus GmbH betont, welch starke kulturelle und wirtschaftliche Kraft von den Bühnen der Stadt ausgeht. „Wer in Hamburg ins Theater geht, gibt im Schnitt mehr als 110 Euro aus. Konservativ gerechnet fließen daraus allein mehr als 175 Millionen Euro pro Jahr in lokale Gastronomiebetriebe.“

Von der Komödie Winterhuder Fährhaus bis zum Altonaer Theater, vom Ohnsorg bis zum Ernst Deutsch Theater, vom Lichthof bis zum Sprechwerk: Hamburgs Privattheater generieren jedes Jahr rund 1,6 Millionen Tickets. „Sie stärken die Kulturvielfalt als Markenkern der Stadt“, so Albertsen.
Im Gegensatz zu den Staatstheatern Thalia, Schauspielhaus und Oper erhalten sie keine beziehungsweise geringere Förderungen seitens der Stadt, sodass diese Häuser wesentlich stärker auf kommerziellen Erfolg angewiesen sind.
„Mehr als 70 Prozent unserer Gäste reisen aus über 150 Kilometern Entfernung an“, bilanziert Marcel Neitzel, seit Oktober 2024 Leiter des Harry Potter Theaters am Großmarkt, eine Publikumsbefragung seines Hauses. „Der Besuch bei uns ist der Reiseanlass, das restliche Hamburg-Programm wird darum herum gebucht. Das war für mich ein ‚Aha-Erlebnis‘.“ 400 000 Menschen sehen pro Jahr die Bühnen-Fortsetzung um den berühmten Zauberlehrling, die in Hamburg am 5. Dezember ihr viertes „Jubiläum“ feiert.
Ein Musical- oder Theaterbesuch ist laut Hamburg Tourismus GmbH für viele Städtereisende der Hauptreiseanlass. Nach aktuellen Erhebungen liege der Kulturanteil an den Übernachtungen bei annähernd 20 Prozent. „Damit tragen auch Privattheater maßgeblich dazu bei, dass Hamburg 2024 sein historisches Rekordergebnis von 16,1 Millionen Übernachtungen erreicht hat“, so Sprecher Sascha Albertsen. Er verweist zudem auf Clustereffekte: Rund um Altona, St. Pauli, Ottensen oder Winterhude haben sich gastronomische Betriebe mit speziellen Konzepten wie Early-Bird-Menüs oder Late-Night-Drinks auf die Theaterkundschaft eingestellt.
Dreimal musste die Premiere seinerzeit wegen Corona verschoben werden. Neitzel, der einen Background aus Hotellerie und Eventmanagement mitbringt, sieht aber auch positive Lerneffekte aus dieser Zeit: „Digitalisierungsprozesse wurden immens beschleunigt. Und wir haben unsere Gast-Kommunikation noch einmal neu gedacht.“ Vor allem aber habe die Pandemie gezeigt, wie sinnstiftend Live-Entertainment für Begegnungen ist.
400 Mitarbeitende beschäftigt das Harry Potter Theater, darunter fünf Auszubildende. „Wie alle Theater müssen wir Themen wie gestiegene Produktionskosten im Blick haben“, so Neitzel. „Aber zum Glück können wir nach wie vor wirtschaftlich arbeiten.“
Das Theater am Großmarkt gehört zur ATG Entertainment GmbH mit Sitz in Köln. Die Show „Harry Potter und das verwunschene Kind“ wird außer in Hamburg in London, New York und Tokio gezeigt sowie auf US-Tournee.
Eine derart globale Vernetzung ist für Hamburgs Theaterlandschaft die Ausnahme. Die Schmidt-Theater in St. Pauli agieren lokal, autark und ganz bewusst unsubventioniert – mit 350 Mitarbeitenden und drei Auszubildenden. „Wir investieren viel in unser Team, uns ist Stabilität besonders wichtig“, erläutert Sozialökonomin Tessa Aust, die mit Intendant Corny Littmann und Hannes Vater die Geschäftsführung innehat. „Theater und Gastronomie leben vom persönlichen Einsatz eines jeden Mitarbeitenden. Die Menschen, die bei uns arbeiten, definieren unser Angebot.“

Das Theaterunternehmen setzt traditionell auf Diversität. „Seit Corny Littmann das Schmidt Theater 1988 eröffnet hat, ist es für uns selbstverständlich, als Arbeitgeber aktiv Toleranz und Vielfalt zu leben“, so Aust. „Das spiegelt sich auch in unseren Stücken wider.“ Das Musical „Trash Island“ wiederum befasst sich mit Müll und dessen Vermeidung. Das Thema Nachhaltigkeit ist Teil des internen Leitbildes des Theaters. Die rund 14 pro Jahr gezeigten Eigenproduktionen etwa werden möglichst lange gespielt. So werden weniger Ressourcen für Kulissen und Kostüme verbraucht.
„Hamburg ist Musicalstandort“, betont die Theaterchefin. „Das ist ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann.“ Und damit meint Aust nicht nur die Shows in den vier Häusern der Stage Entertainment, sondern auch die eigenen Produktionen. Allein für das St.-Pauli-Musical „Heiße Ecke“, seit 2003 ein Dauerbrenner auf dem Kiez, reisen 43 Prozent der Gäste aus mehr als 200 Kilometern Entfernung an.

2024 sahen 410 000 Gäste insgesamt 1074 Vorstellungen im Schmidt, im Schmidts Tivoli und im Schmidtchen. Hinzu kommen mehr als 80 000 verkaufte Tickets für bundesweite Gastspiele. „Wir sind sehr stolz auf diesen Erfolg“, konstatiert Aust. „Dieses Jahr bemerken wir beim Publikum eine gewisse Konsumzurückhaltung bezüglich der Ticketkäufe und der Gastronomie. Wirtschaftliche und politische Lage haben im ersten Halbjahr auf die Stimmung gedrückt. Da geht es uns nicht anders als anderen Branchen.“
Ein ähnliches Bild zeigt sich beim St. Pauli Theater. Ulrich Waller und Christiane Schindler von der Geschäftsführung sowie Eigentümer und Gesellschafter Thomas Collien identifizieren als Herausforderungen die Wirtschaftskrise, die damit verbundene schwindende Kaufkraft der Gäste, aber auch die demografische Veränderung des Publikums.
Beim ebenfalls von Waller und Collien betriebenen HANSA-Theatersaal kämen durch die Lage am Steindamm noch das Thema Sicherheit und das „sich verstärkende soziale Elend im Stadtteil“ hinzu. „Hier muss sich aus unserer Sicht dringend etwas ändern“, erklärt das Führungsduo von Hamburgs ältestem Privattheater am Spielbudenplatz.
20 Prozent des jährlichen Gesamtetats bestehen beim Haupthaus aus institutioneller Förderung, fünf bis zehn Prozent kommen von Sponsoren und Stiftungen hinzu.
Das bedeutet, dass rund drei Viertel der Einkünfte selbst erwirtschaftet werden. Die passionierten Kulturarbeiter Collien und Waller weisen ebenfalls darauf hin, wie immens die Privattheater zu Innovation und kultureller Identität beitragen. Ihr Fazit: „Sie sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, schaffen Arbeitsplätze, fördern den Tourismus, stärken die Kreativwirtschaft und sind Teil des Standortfaktors, der Menschen von außerhalb verführt, in Hamburg zu arbeiten.“
