Chancen aus dem Ausland

Von der Abfallentsorgung bis hin zur Pflege: Hamburgs Arbeitsmarkt ist auf Zugewanderte angewiesen. Hilfe verspricht das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Mike Schaefer
Frank Lein (li.), Praxisanleiter der Frank Wagner Holding, im Gespräch mit Mitarbeitenden des „Stadtdomizils“

Von Kerstin Kloss, 2. August 2024 (HW 4/2024)

Vedat Celik ist bei der Stadtreinigung Hamburg einer von 633 Mitarbeitenden, die nicht in Deutschland geboren sind. Seit Januar arbeitet er in der Personalabteilung. „Voraussetzung waren neben meiner Berufserfahrung ein Deutsch-B2-Zertifikat und eine sechsmonatige Weiterbildung zur ‚Fachkraft für Arbeitssicherheit‘ und als Umweltbeauftragter durch die Arbeitsagentur Hamburg“, berichtet der 44-Jährige. In seiner türkischen Heimat war er nach seinem Studium als Chemielehrer und als Chemiker tätig.

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Arbeitsagentur Hamburg
Ümit Şentürk, Berater beim Arbeitgeber-Service der Arbeitsagentur und des Jobcenters Hamburg

Auch in den gewerblichen Bereichen der Stadtreinigung Hamburg fühlen sich migrantische Arbeitskräfte aus insgesamt 52 Ländern gut integriert. Denn bei überwiegend körperlichen Tätigkeiten spielen Sprachbarrieren keine allzu große Rolle, Zugewanderte sind schnell Teil des Teams.

Der Migrationsmonitor der Bundesagentur für Arbeit meldete für Hamburg im Dezember 2023 177 560 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus dem Ausland (16,48 Prozent der Gesamtzahl). Gegenüber dem Vorjahr legte der Anteil der Migranten dabei um 8,4 Prozent zu, während die Anzahl der Deutschen nahezu stagnierte (plus 0,7 Prozent). Am größten sind die Personengruppen aus Polen (17 866), der Türkei (17 950), Rumänien (8914) und Afghanistan (8405). Das zeigt, wie sehr die Hamburger Wirtschaft auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist.

Deshalb werden die bürokratischen Hürden immer niedriger. Schon seit März 2020 soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) Menschen mit beruflicher, nicht-akademischer Ausbildung aus Staaten außerhalb der EU schneller auf den deutschen Arbeitsmarkt bringen. Weitere Erleichterungen brachte eine schrittweise in Kraft getretene FEG-Novelle.

So können Zugewanderte seit November in jedem nicht-reglementierten Job arbeiten, wenn sie eine als voll gleichwertig anerkannte Berufsqualifikation besitzen. Seit diesem März benötigen sie vor der Einreise nach Deutschland keine Anerkennung ihres Abschlusses mehr, sondern können stattdessen für einen Aufenthaltstitel mit einem deutschen Unternehmen eine „Anerkennungspartnerschaft“ abschließen.

Marktplatz der Begegnungen Beim „Marktplatz der Begegnungen“ bringt die Handelskammer Hamburger Unternehmen und zugewanderte Arbeitssuchende mit ersten Deutschkenntnissen zusammen. Die Messe im April besuchten fast 3000 Personen – eine „Erfolgsgeschichte“, findet Stefanie Gotthardt aus der Abteilung „Fachkräfte“. Das Interesse vonseiten der Wirtschaft wachse. „Inzwischen fragen auch Unternehmen aus anderen Bundesländern nach einer Teilnahme.“ Die Stände stellt die Handelskammer kostenfrei zur Verfügung. Der nächste „Marktplatz der Begegnungen“ findet am 3. Dezember statt. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Ausstelleranmeldung finden Sie hier.

Ümit Şentürk vom Arbeitgeber-Service Hamburg begrüßt es, dass das FEG im Juni mit der „Chancenkarte Deutschland“ erweitert wurde. Damit dürfen Menschen zur Jobsuche anhand eines Punktesystems zum Beispiel auch nach Hamburg kommen.

Interessierte aus Drittstaaten müssen unter anderem eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, jeweils im Heimatland, plus Deutsch-A1- oder Englisch-B2-Kenntnisse nachweisen. „Dadurch eröffnen sich in Deutschland ansässigen Unternehmen weitere Fachkräftepotenziale“, so Şentürk.

Die Handelskammer ermuntert dazu, Personal auch direkt im Ausland zu rekrutieren. Die Bewerberzahlen für Ausbildungen zur Pflegefachperson sind rückläufig, daher nutzt etwa die Frank Wagner Holding Angebote der Kammer und wirbt auch Personal im Ausland an. In den Seniorenheimen an acht Hamburger Standorten beschäftigt sie Menschen aus Ländern wie Iran, Vietnam oder Indien. Und im ersten Halbjahr 2024 holte der Mittelständler über die Pflegeschule apm zehn Fachkräfte an die Elbe.

„Wir arbeiten mit vertrauenswürdigen Vermittlungsagenturen im In- und Ausland zusammen, die für die Unternehmen passende pflegeinteressierte Auszubildende finden“, erklärt Sina Yumi Wagner, Leitung apm International. Die Anbieter kümmern sich um Visa und die Anerkennung von Schulzeugnissen und beseitigen weitere Ausbildungshemmnisse. Die Anerkennungskosten für die Papiere beziffert Wagner für das Unternehmen auf bis zu 1500 Euro pro Person. Sie warnt vor „Null-Euro-Angeboten“, bei denen der Azubi die Kosten trägt.

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privat
Vedak Celik, Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der Hamburger Stadtreinigung

„Der Pflegekräftemangel ist so enorm, dass wir es uns in Deutschland nicht leisten können, Pflegeinteressierte ‚wegzuschicken‘“, sagt Wagner. Deshalb bietet die Schule nicht nur die klassische dreijährige Pflegefachkräfte- und die zweijährige Pflegehelfer-Ausbildung an, sondern bereitet in Hamburg ab Januar 2025 auch innerhalb von sechs bis zwölf Monaten darauf vor.

Das neue Angebot umfasst einen Pflegebasis- und einen berufsspezifischen Sprachkurs mit der Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen. „Auszubildende sind meist offener als Fachkräfte, die in ihrem Heimatland integriert sind, und werden hier sozialisiert“, hebt Sina Yumi Wagner einen Vorteil hervor. Die Abbrecherquote gibt sie mit durchschnittlich sechs Prozent an, bei deutschen Azubis betrage sie ungefähr ein Drittel.

Frank Lein, Praxisanleiter bei der Frank Wagner Holding, macht ebenfalls mit ausländischen Mitarbeitenden gute Erfahrungen. Im Vergleich zu Einheimischen seien sie „deutlich interessierter und pflichtbewusster“, betont er. Im Unternehmen kümmert sich eine eigene Integrationsbeauftragte, die mit dem Hamburg Welcome Center vernetzt ist, schon vier bis sechs Wochen vor Arbeitsantritt um die Integration der neuen Beschäftigten in der Stadt. Derweil lernt Vedat Celik jeden Tag hinzu, wenn er etwa Tätigkeiten bei der Stadtreinigung einer Gefährdungsbeurteilung unterzieht. Bei seiner Einarbeitung helfe, wie er sagt, sein „netter und sehr toleranter Chef“.


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