„Der Hafen bleibt ein wichtiges Bindeglied“

Seit 2022 ist der rheinländische Volkswirt Prof. Dr. Michael Berlemann wissenschaftlicher Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitutes (HWWI). Ein Rück- und Ausblick auf dessen Standort im Zeichen diverser Krisen.
Mike Schaefer
Prof. Dr. Michael Berlemann ist seit März 2022 wissenschaftlicher Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitutes.

Interview: Jan Freitag, Fotos: Mike Schaefer, 4. Dezember 2023 (HW 6/2023)

Herr Professor Berlemann, wie betrachten Sie den Standort Hamburg aktuell aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht?

Standorte lassen sich schwer pauschalisiert beurteilen, aber Hamburg ist zunächst einmal eine sehr wohlhabende Stadt, zumindest im Hinblick auf Durchschnittswerte. Es gibt zwar relativ viele Menschen mit hohen Einkommen, aber auch viele, die es schwer haben, in einer so teuren Stadt zu leben. Davon abgesehen ist Hamburg im bundesweiten Vergleich ausgesprochen funktional.

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Mike Schaefer
Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften promovierte und habilitierte Michael Berlemann zum Thema „Inflation“.

Im Sinne von funktionsfähig?

Genau. Nicht nur lebenswert im emotionalen Sinn, sondern auch mit guter Infrastruktur im Bereich Nahverkehr, Kultur, Bildung oder Gesundheitsversorgung – auch wenn vieles davon natürlich immer noch verbesserungswürdig bleibt.

Was in Zeiten hoher Inflation – zu der Sie sowohl Ihre Dissertation als auch Ihre Habilitation verfasst haben – zusehends schwieriger wird. Wie ist Hamburg durch die jüngste all der Krisen gekommen?

Im Großen und Ganzen ähnlich wie der Rest Deutschlands. Obwohl sich die Unterschiede in den Inflationsraten regional kaum unterscheiden, hat die Hamburger Wirtschaft als Handels- und Dienstleistungszentrum aber schon mehr unter Preiserhöhungen gelitten.

Kann man den Inflationsbegriff Ihrer Studienjahre überhaupt noch mit dem 20 Jahre später vergleichen?

Nur insofern nicht, als es zu der Zeit, als ich über Inflation geforscht habe, praktisch gar keine gab. Lange nach den Ölpreiskrisen waren ja selbst drei Prozent schon viel. Problematischer war seinerzeit eher, dass die Inflation manchmal nahe null lag und Deflation drohte. Trotzdem herrschte stets ein Bewusstsein dafür, was galoppierende Inflation für Folgen hat.

Die Erfahrungen der Weimarer Republik.

„Teurer darf Bauen nicht werden.“

 

Auch ihretwegen sollte meine Forschung dazu beitragen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig geringe Inflation ist. Wir sehen ja jetzt, welche Verwerfungen eine hohe mit sich bringt. Lange Zeit haben wir uns da vor allem über nachfrageseitige Inflation Gedanken gemacht.

Den Konsum also durch niedrige Zinsen anzuheizen?

Was bei konstantem Angebot die Preise steigen lässt. Plötzlich gab es jedoch angebotsseitige Wirkungsketten. Erst durch Corona, dann den Krieg blieb die Nachfrage relativ stabil, aber es standen weniger Waren und Vorprodukte zur Verfügung. Weil der Verteilungskampf um das geringere Angebot zunahm, stiegen die Preise.

Was insbesondere für den Industrie- und Handelsstandort Hamburg gravierend war?

Eine echte Prüfung! Als dicht besiedelte und entsprechend eng bebaute Großstadt ist der Platz für große Industrieunternehmen naturgemäß begrenzt, weshalb der Dienstleistungssektor besonders groß ist. Der Einbruch in Hamburg war demnach stärker als im Bundesdurchschnitt, die Erholung aber auch.

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Mike Schaefer
Seit 2007 ist Michael Berlemann Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität.

Wobei sich darin mittlerweile ein Bündel großer Krisen widerspiegelt. Zu zwei davon – Migration und Klima – forschen Sie ebenfalls intensiv. Welchen Einfluss üben die derzeit aus?

Da Deutschland die Inflationskrise bei aller Erholung so wenig gemeistert hat wie die Wachstumskrise, großen Einfluss. Zuletzt kam noch Israels Konflikt mit der Hamas hinzu, der ebenfalls weltwirtschaftliche Auswirkungen haben könnte, falls etwa der Iran aktiv in den Konflikt einsteigt. Ökonomisch ruhige Zeiten sind momentan nirgendwo am Horizont erkennbar. Und eine Krise haben wir jetzt noch gar nicht genannt: den demografischen Wandel.

Muss sich Hamburg angesichts des damit verbundenen Fachkräftemangels umso mehr auf weiche Standortfaktoren wie seine Lebensqualität konzentrieren?

Ja, denn der Fachkräftemangel ist viel mehr ein Arbeitskräftemangel. Unsere alternde Gesellschaft braucht nicht nur hoch-, sondern auch normal- oder geringqualifizierte Menschen. Weil dafür angesichts all der Krisen oft die nötige Aufmerksamkeit fehlt, spielen Soft Skills lebenswerter Standorte neben guten Löhnen und Gehältern umso größere Rollen. Mit seiner eigenen Schönheit und Funktionalität werben zu können, ist da ein wichtiger Faktor – gerade bei den High Potentials.

Der Fachkräftemangel ist viel mehr ein Arbeitskräftemangel.

 

Denjenigen, die sich Annehmlichkeiten einer schönen, funktionalen Stadt auch leisten können.

Für Ärmere sind solche Faktoren zwangsläufig oft weniger wichtig. Aber zu den Soft Skills zählen auch leichte Erreichbarkeit, erschwinglicher Wohnraum, Kinderbetreuung, Sicherheit, Bildung, vom Kulturangebot mal ganz zu schweigen. Das alles spielt im Kampf um Arbeitskräfte mit. Lebensqualität ist ein weiter Begriff. Wobei ich der Meinung bin, Hamburg ist dabei schon ganz gut aufgestellt.

Aber was können Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam tun, um sie 2024 weiter zu verbessern?

Indem sie spezifisch hamburgische Themen aufgreifen, vor allem den Bereich bezahlbares innerstädtisches Wohnen, eines unserer herausragenden Probleme. Es gab da in Hamburg absolut ernsthafte Bemühungen, aber sie waren bislang definitiv noch nicht ausreichend – und fanden überdies in einem investitionsfreundlicheren Zinsumfeld ohne Probleme bei der Materialversorgung statt. Nicht umsonst haben ein paar Großbaustellen gerade Pause.

Stichwort Elbtower.

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Michael Berlemann (re.) im Gespräch mit Jan Freitag

Das ist angesichts der Rahmenbedingungen auch kein Wunder, aber für eine Stadt wie Hamburg von immenser Bedeutung. Wenn nur noch Millionäre zentral leben und der Rest pendelt von weit außerhalb ein, büßt sie auch wieder an Standortqualität ein.

Wie regulierend darf der Staat denn künftig eingreifen, um sie zu erhalten oder gar zu steigern – etwa durch Verpflichtungen, Bauland auch zu bebauen?

Ach, da bin ich dann doch eher aufseiten der freien Marktwirtschaft und wäre dagegen, etwa Menschen zu enteignen, um Wohnraum zu schaffen. Besser als das Vertrauen von Investoren durch bürokratische Rahmenbedingungen bis hin zum staatlichen Eingriff zu zerstören, ist es, die nötigen Anreize zu erhöhen. Anders sieht es mit Bauflächen aus, auf die der Staat unmittelbaren Zugriff hat, oder beim Planungsrecht, das eher entschlackt als verkompliziert werden sollte. Teurer darf Bauen nicht werden aktuell.

Wie kriegen wir Politik und Wirtschaft besser vereinbart?

Anlassbezogen. In der Pandemie war es richtig, ordnungspolitische Maßnahmen auch durchzusetzen. Langfristige Phänomene wie der Klimawandel oder Arbeitskräftemangel erfordern auch langfristige Konzepte, von denen viel zu wenige im Schreibtisch liegen. Aber der Staat darf da auch nicht allzu regulierend eingreifen, sondern sollte die bestehenden Möglichkeiten erst mal richtig anwenden.

Zum Beispiel?

Über die CO2-Bepreisung. Immer dann nämlich, wenn Preise steigen, schafft der Staat reflexhaft Ausnahmeregelungen, die beim Anstieg der Energiepreise zum Tankrabatt führten – zu Lasten des eigentlichen Ziels, weniger Treibstoff zu verbrauchen. Natürlich gibt es Bürgerinnen und Bürger, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Aber die pauschale Entlastung aller hilft tendenziell den Falschen, die wegen der künstlich niedrigen Preise wiederum mehr statt weniger verbrauchen. Solche Politik ist vorrangig als Angst vor dem nächsten Wahltermin zu verstehen.

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Forschungsschwerpunkte Michael Berlemanns sind Klimawandel, Migration, Konjunktur, Gesundheitsökonomik und Inflation.

Fühlen Sie sich als Wirtschaftswissenschaftler und HWWI-Direktor da ausreichend von der Politik gehört und befragt?

Wir tauschen uns auf unterschiedlichen Ebenen sehr intensiv und regelmäßig mit der Politik aus. Der Kontakt ist hier traditionell sehr gut. Nun wird die Klima- oder Migrationspolitik aber nicht in Hamburg gemacht, sondern in Berlin und Brüssel. Unser Problem liegt weniger darin, nicht gehört zu werden, sondern mehr in den Ängsten der Parteien, bei Wahlen für unpopuläre Anregungen bestraft zu werden. Dieser Reflex ist nachvollziehbar, verhindert aber, strukturelle Probleme auch strukturell anzugehen. Die Hoffnung, im gebotenen Tempo voranzukommen, sind bei jemandem, der sich wie ich schon lange mit diesen Themen beschäftigt, entsprechend gedämpft.

Die pauschale Entlastung aller hilft tendenziell den Falschen.

 

Wobei die Devise großer Weltprobleme „global denken, lokal handeln“ lautet …

Es gibt natürlich Einflussmöglichkeiten, und viele Bürger wollen ja von sich aus klimaneutral werden; die Handelskammer hat das bis 2040 im Visier. Aber obwohl das Bewusstsein dafür vorhanden ist, bleibt es ein langer Weg, der Geld und Wohlstand kostet und nur global bewältigt werden kann. Da ist der lokale Einfluss begrenzt, obwohl in Hamburg viele Unternehmen von sich aus klimaneutraler werden. Für mich ist daher wichtig, ohne beim Kampf gegen die Erderwärmung nachzulassen, Vorkehrungen für den Fall des Scheiterns zu treffen und nicht allein darauf zu hoffen, das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen.

Ein wichtiger lokaler Einflussfaktor ist die Mobilität. In Hamburg steigt die Zahl der Fahrzeuge weiter beständig. Mit welcher Art urbaner Mobilität sind Wirtschaft, Wachstum und Lebensqualität gleichermaßen möglich?

Ich persönlich finde, dass der wesentliche Anteil des großstädtischen Verkehrs öffentlich sein sollte, nicht individuell. Auf dem infrastrukturell unterversorgten Land bleiben Autos auch für den Personentransport wichtig und in der Stadt für den von Waren und Dienstleistungen. Aber in der Regel sind sie die schlechtere Lösung. Auch hier ist Hamburg auf gutem Weg, ÖPNV so kostengünstig, flächendeckend und sicher auszustatten, dass er die bessere Alternative ist.

Michael Berlemann wurde 1968 in Düsseldorf geboren, studierte ab 1989 Wirtschaftswissenschaften in Bochum und promovierte 1999 über die Inflation an der TU Dresden. Fünf Jahre später habilitierte er sich dort zum selben Thema und wurde Managing Director der Niederlassung des ifo Institutes. Seit 2007 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität und gibt die Fachzeitschrift „Review of Economics“ heraus.  Michael Berlemanns Forschungsschwerpunkte sind Klimawandel, Migration, Konjunktur, Gesundheitsökonomik und Inflation. Seit März 2022 ist er zudem wissenschaftlicher Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitutes, einer privat finanzierten Forschungseinrichtung und Denkfabrik mit Sitz an der Oberhafenstraße, deren Gesellschafterin die Handelskammer ist.

Nutzen Sie ihn persönlich auch?

Da ich in der Stadt wohne, schon. Ich kann gemütlich mit U-Bahn oder Fahrrad zur Arbeit fahren, im Grunde könnte ich sogar laufen. Dennoch besitze ich noch einen Benziner, der aber schon verkauft ist und, falls überhaupt, mindestens von einem Hybrid ersetzt wird, vielleicht aber auch gar nicht.

Das Privileg der zentralen Wohnlage.

Das ist mir bewusst, aber ich würde auch Bus oder Bahn fahren, wenn ich weiter weg wohnen würde. Denn so bequem Autos sind: Schneller kommt man im Stadtverkehr damit selten ans Ziel. Hamburg ist wie gesagt auf einem guten Weg, aber es geht noch viel, viel mehr.

Wagen Sie eine Prognose, wie Hamburg die wichtigen Wege im Jahr 2024 weitergeht?

Abseits von der Bewältigung globaler Krisen besteht ein wichtiger Weg im erwähnten Wohnungsbau, was wegen der ungünstigen Baukonditionen aktuell aber schwer absehbar ist. Außerdem müssen wir Menschen, die zuwandern, noch besser und geregelter in Arbeitsmärkte integrieren.

Ein Hamburg-spezifisches Problem ist demgegenüber die Situation des Hafens, der im internationalen Vergleich droht, abgehängt zu werden. Machen Sie sich um ihn Sorgen?

Mir fehlt die Fantasie, mir Hamburg ohne Hafen vorzustellen. Er wird wirtschaftlich für Hamburg immer eine herausragende Rolle spielen. Andererseits sollte man sich hüten, alles um ihn herum zu denken. Alle Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass mangelnde Diversifikation immer ein Risiko ist. Das gilt nicht nur für Rohstoffimporte, sondern auch für Wirtschaftsstrukturen. Aber der Hafen ist sicher ein zentrales Element.

Der ja auch nicht geschlossen wird …

Obwohl einige meinen, weil er langfristig sowieso nicht mit Rotterdam oder Antwerpen mithalten kann, könne man daraus einen Museumshafen mit touristischem Schwerpunkt machen. Hamburg muss nicht zwangsläufig der größte Hafen sein. Aber im Rennen der Welthäfen mitzuhalten, gegebenenfalls sogar aufzuholen, sind sinnvolle und erreichbare Ziele. Dazu müssen dann auch neue Wege beschritten werden.

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Mike Schaefer
Der gebürtige Düsseldorfer Michael Berlemann studierte in Bochum und in Dresden.

Sie sprechen den Einstieg internationaler Investoren an?

Ja, auch wenn es umstritten ist. Aber das gar nicht zu denken, ließe den Hafen weiter zurückfallen. Zumal Hamburgs Fluch darin besteht, einen großen Hafen in einem großen Land zu haben. Weil Rotterdam und Antwerpen für Holland und Belgien von so enormer Bedeutung sind, sind staatliche Hilfen dort selbstverständlich. Hierzulande behandelt der Bund den Hamburger Hafen als lokalen Wirtschaftsfaktor, obwohl er für den deutschen Güterverkehr eine hohe Bedeutung hat.

Wenn Sie den Standort im Angesicht all seiner Herausforderungen auf einer Skala von 1 bis 10 als fit oder unfit fürs Jahr 2024 einstufen – wo länge er dann?

Ich mag weder Skalen noch Rankings. In meiner Wahrnehmung steht Hamburg bei der Lebensqualität jedoch weit überdurchschnittlich gut da. Und wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, während die Initiativen von der Wirtschaft ausgehen, kommen weiter spannende Unternehmen und Gewerbe her. Welche es am Ende sind, entscheidet der Markt. Von der Ansiedlung globaler Konzerne für Milliardensubventionen wie in Ostdeutschland sollte Hamburg daher die Finger lassen.

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