„Die besten Ideen kommen von unseren Kunden.“

Orientierung an der Kundschaft statt an maximalen Profiten, durchdachte Digitalisierung und Teamwork: Marc Fielmann, seit 2019 alleiniger Vorstandschef von Deutschlands größtem Brillenkonzern, erklärt die Erfolgsfaktoren des Unternehmens – und wie gelungene Innovation zum Erfolg beiträgt. Dabei ist der Mann, der an der Spitze des Optik-Giganten mit einem Jahresumsatz von 1,94 Milliarden Euro steht, erst 33 Jahre alt.
Markus Abele
Der 33-jährige Marc Fielmann ist Vorstandschef von Deutschlands größtem Brillenkonzern.

Interview: Peter Wenig, Fotos: Markus Abele, 9. Dezember 2022 (HW 6/2022)

Herr Fielmann, angenommen, mir wäre meine Brille vor diesem Interview heruntergefallen. Könnten Sie die Bügel wieder richten?

Selbstverständlich. Ich habe in unseren Niederlassungen insgesamt anderthalb Jahre Ausbildung genossen und in meinem Leben bestimmt 4000 Brillen verkauft. Ich habe alles von der Pike auf gelernt.

Haben die Kundinnen und Kunden Sie erkannt?

Meistens schon, spätestens wenn ich sie wieder zur Tür begleitet habe. „Sie heißen ja wie der Laden“, haben manche gesagt (lacht). Für mich war das eine sehr wichtige Erfahrung. Wir haben eine Kundenzufriedenheit von mehr als 90 Prozent. Aber jeder Zehnte sagt uns, was wir noch verbessern können. Natürlich kann man entsprechende Berichte lesen. Doch das direkte Feedback ist besser.

Ist Ihnen schon einmal beim Richten einer Brille ein Fehler passiert?

Bei einer Kundin habe ich einmal den Bügel abgebrochen. Das war eine ältere Kunststoff-Fassung, die man vor dem Biegen hätte erwärmen müssen. Und dann machte es plötzlich Knack. Die Dame war ziemlich sauer. Der Filialleiter hat sich dann entschuldigt, ihr gesagt: Das ist unser Auszubildender. Die Kundin konnte sich dann eine neue Fassung aussuchen. Gratis, versteht sich.

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Markus Abele
Eine zweite Säule neben der Digitalisierung ist für Marc Fielmann die Internationalisierung.

Ihre Anwesenheit hat die Kolleginnen und Kollegen bestimmt nervös gemacht, oder?

Viele waren schon angespannt. Ich habe dann gesagt, dass ich ihnen versprechen kann, dass ich noch viel nervöser bin. Dann habe ich einen Deal vorgeschlagen: „Wenn ich etwas falsch machen sollte, korrigieren Sie mich bitte. Denn ich bin hier, um zu lernen. Und wenn mir etwas auffällt, dann spreche ich das ebenfalls an. Aber wir sind ein Team.“ Und dann hat sich die Anspannung sehr schnell gelöst.

Herr Fielmann, wir wollen mit Ihnen über Innovationen reden. Wann werde ich bei Fielmann eine Brille komplett online kaufen können?

Das geht schon heute, allerdings nur bei bestimmten Sehstärken. Dieses Projekt ist sehr anspruchsvoll. Bei der Fassung sind wir inzwischen so weit, dass man sich über unsere App sehr präzise Modelle auf sein Gesicht projizieren kann. Deutlich komplexer ist es, die Sehstärke und die Zentrierung des Glases online zu bestimmen. Bei höheren Sehstärken verträgt sich dies nicht mit unserem Qualitätsanspruch. Diese Kundinnen und Kunden bitten wir über die App, eine Niederlassung zu besuchen.

Wird das Filialnetz ausgedünnt, wenn die Online-Technik weiter voranschreiten sollte?

Ich erwarte nicht, dass wir bei Brillen die gleiche Größenordnung erreichen wie bei Kontaktlinsen, wo wir schon mehr als die Hälfte online verkaufen. Bei Brillen reden wir über einen künftigen Anteil von vielleicht zehn Prozent. Der Beratungsbedarf wird hoch bleiben. Anders sieht es bei Kundinnen und Kunden aus, die schnell und günstig eine Zweitbrille mit geringer Sehstärke erwerben wollen. Wenn die sich für den Online-Weg entscheiden, ist das für uns gut. Das wird eher Zeit freispielen in unseren Niederlassungen. Unser größtes Problem sind ja heute Wartezeiten …

… die viele abschrecken.

Aber wir sind dort viel besser geworden. Auf unsere Termine ist Verlass. Und wenn wir Laufkunden sagen, dass sie in 30 Minuten dran sind, können sie sich darauf verlassen. Das klingt einfach, ist aber sehr komplex. Weil wir jeden Tag Hunderttausende Kunden mit Tausenden von Mitarbeitern zusammenbringen müssen.

In Deutschland neigen wir zu einer Art Perfektionskultur.

 

Konzerne wie Google oder Apple experimentieren seit Jahren mit Smartglasses, also Datenbrillen, die Informationen ins Sichtfeld des Brillenträgers einblenden. Wie weit ist Fielmann auf diesem Weg?

Smartglasses haben noch immer ein Henne-Ei-Problem. Wenn es spannende Applikationen für Smartglasses geben würde, würden auch mehr Smartglasses produziert. Wenn aber kaum jemand Smartglasses trägt, lohnt sich diese Entwicklung nicht. Google und Apple haben Milliarden investiert, das ist nicht unser Weg. Wir suchen nach kundenfreundlichen Anwendungen, etwa im Industriebereich. Ein Maschinentechniker hat bei einer Reparatur die Pläne über seine Smartglasses direkt vor Augen, zudem können die Bilder direkt über die Brille übertragen werden. Ein Kollege in der Zentrale kann ihm dann erklären, was er genau tun soll. Hier haben wir Know-how aufgebaut und machen die optische Verglasung.

Apropos Datenübertragung: Wie weit ist Hamburg, wie weit ist Deutschland auf dem Weg der Digitalisierung?

Wir fühlen uns im Norden sehr wohl. Wir finden qualifiziertes Personal. Wir haben eine herausragende Hochschullandschaft. Natürlich kann man immer besser werden. Zu oft sind wir in Deutschland zu formalistisch und bürokratisch. In der Politik etwa werden die Zuständigkeiten für Digitalisierung hin- und hergeschoben. Und in Unternehmen heißt es oft, wir digitalisieren überall so ein bisschen. Statt sich zu fragen, wie man mit digitalen Technologien einen Mehrwert für Kunden stiften kann.

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Nach seinem Studium an der London School of Economics and Political Science arbeitete Marc Fielmann in der augenoptischen Branche der Unternehmen Luxottica und Safilo. 2012 trat er in die Fielmann-Gruppe ein, 2016 rückte er in den Vorstand vor.

Wie haben Sie das bei Fielmann gelöst?

Wir haben uns eingehend mit der Frage beschäftigt, was die Digitalisierung für das eigene Geschäftsmodell bedeutet. Wir haben uns gefragt: Wo stehen wir heute? Und was wollen unsere Kunden wirklich? Wir haben 2012 festgestellt, dass wir zum Beispiel bei Online-Angeboten für Kontaktlinsen schlechter aufgestellt sind als die Konkurrenz. Und dass wir aus dem Markt verschwinden, wenn wir uns nicht ganz schnell bewegen.

Wie lief der Prozess konkret?

Wir haben eben nicht gesagt, wir entwickeln eine Strategie und reichen die Pakete dann von Abteilung zu Abteilung. Stattdessen haben wir Kolleginnen und Kollegen aus dem Vertrieb, aus dem Marketing, aus der Produktentwicklung, aus der IT zusammengesetzt und gesagt: Das sind die Herausforderungen, lasst uns die gemeinsam lösen. Diese Kultur der Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Viele Unternehmen und Behörden sind häufig auf einzelne Probleme fokussiert, verlieren dabei das große Ganze aus dem Blick.

Nehmen Sie den Fachkräftemangel. Da lohnt es, erstmal drei Schritte zurückzugehen. Was wollen wir eigentlich? Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland, die bestenfalls unsere Werte teilen und Regeln befolgen. Aktuell verhindert die Bürokratie es häufig, dass Fachkräfte nach Deutschland kommen oder bei uns bleiben. Wir hatten schon Kandidaten, die bis zu zwölf Monate auf ein Visum warten mussten. Die springen uns dann im schlechtesten Fall wieder ab.

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Von 2018 bis 2019 führte Marc Fielmann die Fielmann AG gemeinsam mit seinem Vater Günther Fielmann. Seit 2019 ist er alleiniger Vorstandsvorsitzender.

Wie ist es Ihnen gelungen, die Kolleginnen und Kollegen bei dem Change-Prozess mitzunehmen?

Bei uns ging dieser Prozess mit der Nachfolge im Unternehmen einher. Ich fand das persönlich nicht so gut, weil ich nicht wollte, dass unser Unternehmen sich digitalisiert, weil jetzt der Junior kommt. Für die Menschen hier war das aber einfacher. Die haben gesagt, durch den Wechsel kommt jetzt frischer Wind.

Haben Sie bei diesem Prozess auch Fehler gemacht?

Natürlich, auch wir haben Lehrgeld gezahlt. In Deutschland neigen wir zu einer Art Perfektionskultur. Das hat zu Exzellenz im Maschinenbau und in der Autoindustrie geführt, um nur zwei Branchen zu nennen. Bei Digitalisierung und Innovation muss man aber immer wieder neue Sachen ausprobieren. Leider werden die Ergebnisse oft nicht genau gemessen. Stattdessen heißt es nur: Das war gut, das war nicht gut. Aber es kontrolliert keiner. Und man darf Digitalisierung nicht der Digitalisierung wegen machen, sondern muss sich auf eine Technologie fokussieren, die Mehrwert bietet.

Zum Beispiel?

Unsere Zusammenarbeit mit FittingBox: Wenn sich ein stark kurzsichtiger Kunde eine neue Fassung aufsetzt, muss er extrem dicht an den Spiegel ran, um sich zu sehen. Dank der Technologie von FittingBox können Sie bei uns digital Brillen anprobieren, ohne Ihre aktuelle Brille abzusetzen. Die Anwendung rendert die echte Fassung einfach heraus. Das ist ein schöner Mehrwert. Und diese Kundenzufriedenheit können wir messen.

Was ist Ihre Empfehlung für andere Unternehmen?

Ich glaube, es gibt keine Patentlösung, wie man ein Unternehmen digitalisiert. Aber am Anfang muss es immer eine knochenehrliche Bewertung geben, wo man wirklich steht. Bin ich mit den Angeboten, die ich meinen Kunden liefere, auf der Höhe der Zeit? Oder bin ich hinter der Zeit? Dafür brauchen Sie technologisches Know-how. Und es lohnt sich immer, mit Unternehmen zu reden, die diesen Prozess schon durchlaufen haben. Wir sind zu vielen Unternehmen gefahren und haben uns einfach angeguckt, wie die das machen.

Marc Fielmann, geboren 1989 in Hamburg, arbeitete nach seinem Studium an der London School of Economics and Political Science (LSE) in der augenoptischen Branche der Unternehmen Luxottica und Safilo. 2012 trat er in die Fielmann-Gruppe ein, 2016 rückte er in den Vorstand vor. Von 2018 bis 2019 führte er das Unternehmen mit seinem Vater Günther Fielmann. Seit 2019 ist Marc Fielmann alleiniger Vorstandsvorsitzender.

Es geht bei diesen Prozess um Schnelligkeit …

In der Tat. Wir müssen verstehen, dass neue Technologie diesen Wandel, den man gemeinhin als Disruption beschreibt, extrem beschleunigen kann. Heute kann ein Start-up mit einer Handvoll Leuten ein leistungsfähiges Geschäftsmodell entwickeln, indem es vorhandene Software zusammenfügt. Bei dieser sogenannten kombinatorischen Innovation brauchen Sie nicht mehr Hunderte von Entwicklern, da reichen vier oder fünf.

Wie haben Sie Ihren Vater von solchen Innovationen überzeugt?

Mein Vater ist 50 Jahre älter. Unsere Vater-Sohn-Beziehung hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er sehr viel lange Leine gelassen hat. Mein Vater ist ja ein sehr durchsetzungsstarker Charakter. Ich weiß nicht, wie gut es gelaufen wäre, wenn der Altersunterschied nur 25 Jahre betragen hätte. Aber in der Konstellation, die wir hatten, war er sehr großzügig und risikobereit. Diese Symbiose aus Erfahrung und Pioniergeist war für uns als Unternehmen sehr gut.

Manche familiengeführten Unternehmen sorgen immer wieder mit öffentlich ausgetragenem Streit für Schlagzeilen. Bei Fielmann gab es das nie. Warum?

Kritische Diskussionen sind wichtig, Streit darf auch mal sein. Das ist bei uns nicht anders. Aber nach außen vertreten wir immer eine Meinung, auch wenn wir mal unterschiedliche Auffassungen haben. Dass uns das gelingt, rechne ich meinem Vater und der ganzen Familie hoch an.

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Markus Abele
Über das Omnichannel-Geschäftsmodell mit digitalen Vertriebskanälen und mehr als 900 Niederlassungen versorgt Marc Fielmann mit seinem Unternehmen 27 Millionen Kundinnen und Kunden in 16 europäischen Ländern mit Brillen, Kontaktlinsen und Hörsystemen.

Wäre Ihr Vater sehr enttäuscht gewesen, wenn Sie nicht ins Unternehmen eingetreten wären?

Das müssen Sie ihn fragen. Für mich hat sich die Frage nicht wirklich gestellt. Ich habe mich ja ausprobiert. Ich war in unserer Branche bei anderen Unternehmen. Ich war auch mal in einem Technologie-Start-up. Und im wissenschaftlichen Bereich. Aber am Ende habe ich immer wieder gespürt, dass unser Unternehmen ein Glücksfall ist, weil wir eine sehr kundenfreundliche Philosophie haben. Wir orientieren uns an den Kunden, nicht am Maximalprofit. Und wir haben für jeden Kunden eine Lösung. Für jemanden mit einem ganz schmalen Budget genauso wie für jemanden, der bereit ist, mehr Geld auszugeben. Deshalb arbeite ich hier so gern.

Haben Sie schon als Kind Ihren Vater ins Unternehmen begleitet?

Ja, ich wurde schon als Zweijähriger mitgenommen. Und mein Vater hat öfter mal gesagt: Der wird eines Tages mein Nachfolger. Wobei mich meine Eltern nie gezwungen haben. Aber es ist angesichts des Altersunterschiedes natürlich kein Geheimnis, dass meine Eltern gesagt haben: Es wäre gut, wenn du bald übernehmen könntest. Sonst müssten wir eine externe Lösung finden. Mein Vorteil war, dass mein Vater mir immer den Rücken gestärkt hat. Er hat nie zu einem Dritten gesagt: „Ich weiß nicht, ob das wirklich gut ist, was mein Sohn jetzt macht.“ Wenn wir unsere Themen hatten, haben wir die unter uns geklärt.

Digitale Technologien müssen einen Mehrwert für Kunden stiften.

 

Wenige Monate, nachdem Sie den alleinigen Vorstandsvorsitz übernommen haben, kam Corona. Wie sind Sie dieser Krise begegnet?

Wenn ich an die Corona-Krise denke, ist Dankbarkeit das erste Gefühl, was ich habe. Dankbarkeit gegenüber unseren Kunden, dass sie uns treu geblieben sind. Dankbarkeit, dass unsere Mitarbeiter unter nicht immer einfachen Rahmenbedingungen zusammengehalten haben. Ich denke, diese Situation war schon eine echte Bewährungsprobe für mich. Unser Glück in der Krise war, dass wir die Firma bereits zuvor auf eine höhere Agilität, eine höhere Resilienz umgebaut haben. Wenn wir nicht so massiv investiert hätten, wären unsere Probleme viel größer gewesen. So aber hatten wir digitale Kommunikationswege für alle Kolleginnen und Kollegen und mussten nicht Lösungen wie Microsoft Office 365 später teuer einkaufen. Wir waren vorbereitet, uns schneller und agiler an eine extreme Situation anzupassen. Nicht perfekt, aber sicherlich viel besser als einige Jahre zuvor. Und insofern war Corona für uns nach dem ersten Schock eine riesengroße Herausforderung, die wir sehr gut gemeistert haben.

Sie haben im Lockdown freiwillig die Geschäfte auf einen Notbetrieb umgestellt, obwohl Optiker weiter hätten öffnen dürfen.

Wir wussten einfach nicht, wie gefährlich das Corona-Virus ist. Daher haben wir Kunden und Kollegen geschützt. Und erst wieder regulär geöffnet, als wir ein wissenschaftliches Gutachten hatten und in ausreichenden Mengen Hygieneartikel wie Masken. Entsprechend groß war die Delle im Umsatz. Aber bereits im Folgejahr 2021 lagen wir schon wieder über dem Vor-Corona-Niveau.

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Markus Abele
Marc Fielmann und seine Belegschaft orientieren sich nicht am Maximalprofit, sondern an den Wünschen ihrer Kundinnen und Kunden.

Wie sehr hat die Krise Ihr Standing im Unternehmen verändert?

Die Krise hat den internen Zusammenhalt extrem gestärkt, sicherlich auch die Akzeptanz meiner Person. Mehrere langjährige Führungskräfte, die mir bis heute als Ratgeber zur Seite stehen, haben mich angerufen und gesagt: „Sie sind ja schon ganz okay. Aber es hätte viele Jahre gedauert, bis wir Sie genauso respektiert hätten wie Ihren Vater. Seit der Krise wissen wir: Sie können diesen Job.“

Wie wichtig ist Delegieren mit Blick auf die digitale Transformation?

Entscheidend. Wenn Sie in einem großen und komplexen Unternehmen auf Innovation setzen, muss nicht nur der Vorstand delegieren, sondern alle Führungskräfte. Als ich von meinem Vater die Führung des Unternehmens übernommen habe, haben 300 Führungskräfte direkt an ihn berichtet. Das hat mir sehr viel Respekt eingeflößt. Mit seinem Führungsmodell hat es auch geklappt. Ich kann das nicht, vor allem nicht mit meinem Anspruch an Führungsarbeit. Deshalb haben wir das auf zehn Direktberichte eingedampft. Das bedeutet natürlich, dass ich auch viel Verantwortung delegiert habe. Aber das schafft den Freiraum für innovative Ideen.

Spürt Ihr Unternehmen die Wirtschaftskrise?

Sicherlich weniger als andere Branchen, weil wir Gebrauchsgüter verkaufen. Aber auch wir nehmen wahr, dass die Kunden sich zweimal überlegen, ob sie eine teure Markenbrille kaufen. Hier zeigt sich der Vorteil unseres Geschäftsmodells. Wir verdienen an der einzelnen Brille viel weniger als andere, verkaufen dafür aber enorme Mengen. Und gerade in Krisenzeiten kaufen die Menschen ihre Produkte dort, wo sie die gewohnte Qualität zu deutlich günstigeren Preisen bekommen. Als Preisführer können wir in Krisen unsere Marktanteile ausbauen. Das ist eine große Chance.

Sie sind neben Deutschland in 15 weiteren europäischen Ländern vertreten. Auf welchen Märkten wollen Sie noch aktiv werden?

Wir haben in den bestehenden Märkten noch großes Potenzial, allein im deutschsprachigen Markt noch für 100 Niederlassungen. Die zweite Säule neben der Digitalisierung ist ja seit einigen Jahren die Internationalisierung. Dabei geht es auch um Bescheidenheit. Nicht jedes Land tickt wie Deutschland. Das haben wir in den letzten Jahren gelernt.

Fielmann entstand 1972, als Günther Fielmann sein erstes augenoptisches Fachgeschäft in Cuxhaven eröffnete. Heute verkauft das börsennotierte Unternehmen in Deutschland jede zweite Brille; 2021 erwirtschaftete es einen Umsatz von 1,94 Milliarden Euro. Mit rund 22 000 Mitarbeitenden (darunter rund 4300 Auszubildende) ist es der größte Arbeitgeber der Branche. Über das Omnichannel-Geschäftsmodell mit digitalen Vertriebskanälen und mehr als 900 Niederlassungen versorgt Fielmann 27 Millionen Kunden in 16 europäischen Ländern mit Brillen, Kontaktlinsen und Hörsystemen.

Werden in Italien andere Brillen getragen?

Italiener sind modischer und mutiger. Farben sind ein großes Thema. In Italien ist die modische Präsentation der Brillen viel wichtiger als die Größe und Vielfalt der Auswahl. Deutsche schätzen große Geschäfte. Italiener finden das schnell unpersönlich. Entsprechend aufwendig waren für uns die Umbaumaßnahmen. Wir haben viel Lehrgeld gezahlt. Grundsätzlich setzen wir nicht nur auf organisches Wachstum. Eine Alternative ist auch, in einem neuen Markt ein Unternehmen zu finden, das von den Werten zu uns passt.

Jetzt rollen Sie den Hörgerätemarkt auf …

Die besten Ideen kommen von unseren Kunden. Wir wurden immer wieder darauf angesprochen, ob wir nicht auch Hörsysteme anbieten können. Seit einigen Jahren verändern wir auch diesen Markt mit konsequenter Kundenorientierung, garantierter Qualität, digitaler Expertise. Unser großer Vorteil: Wir müssen fast nichts für Marketing ausgeben, weil wir schon komplett ausgelastet sind.

Wo sehen Sie Fielmann in 50 Jahren?

Ich will hoffen, dass Fielmann dann nach wie vor ein sehr kundenorientiertes Unternehmen ist, das viele Menschen mit exzellentem Service glücklich macht. Welche Produkte wir dann anbieten und wer das Unternehmen führt, ist schwer zu sagen. Sollte es noch jemand aus der Familie verantworten, würde ich mich sehr freuen.

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