Einkaufspassagen im Wandel

Seit vor 59 Jahren das Elbe Einkaufszentrum entstand, haben Hamburgs Shopping Malls so manche Krise überlebt – und bislang sogar den E-Commerce. Eine Zeitreise.
Großer Andrang beim ersten Verkaufstag des Alstertal-Einkaufszentrums (AEZ) am 5. November 1970: Die Polizei zählte fast 90 000 Besuchende, der Verkehr um Poppenbüttel brach zusammen.
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Großer Andrang beim ersten Verkaufstag des Alstertal-Einkaufszentrums (AEZ) am 5. November 1970: Die Polizei zählte fast 90 000 Besuchende, der Verkehr um Poppenbüttel brach zusammen.
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Von Jan Freitag, 29. Juli 2025

In der Hamburger Meile kann man sich leicht mal verlieren. Auf knapp 50 000 Quadratmetern laden nahezu 100 Shops von A wie „Apollo“ bis Z wie „Zeit für Tee“ zum Schauen und Shoppen ein. Fast 30 Restaurants, Gaststätten und Imbisse sorgen fürs leibliche Wohl flanierender Gäste, denen 2200 Parkplätze gegenüber der U-Bahnstation Mundsburg die Ankunft erleichtern. Wer das Einkaufszentrum aus den 2000er-Jahren kennt, dürfte sich durchaus wundern, wie sich der damals triste, krisengeplagte Ort entwickelt hat – auch wenn er zuletzt mit einigen Vermietungsproblemen zu kämpfen hatte.

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Das AEZ wurde in nur acht Monaten errichtet. Es ging maßgeblich auf Versandhauspionier Werner Otto zurück.

Verwaltet und vermietet wird das Zentrum von der ECE Group mit Sitz am EKZ Alstertal in Poppenbüttel, die der Familie Otto gehört. ECE übernahm das brutalistische Ensemble nahe der Mundsburg im Jahr 2010, sanierte es aufwendig und verkaufte es dann mit Ausnahme eines Anteils von 15 Prozent an die Münchner Investmentgesellschaft Real I.S.

Vor der Renovierung war es „schon ein wenig in die Jahre gekommen“, so Pressesprecher Lukas Nemela. So wie damals Einkaufspassagen generell: 54 Jahre, nachdem der österreichische Architekt Victor Gruen 1956 die weltweit erste Shopping Mall im US-Bundesstaat Minnesota entwickelt hatte, war das Konzept zugleich unmodern und angesagt, von gestern, heute, morgen – idealtypisch konzentriert im EKZ Hamburger Straße.

Glorreiche Anfänge

Dabei waren die Anfänge des EKZ spektakulär: Als es am 8. Mai 1970 nach zehnjähriger Bauzeit eines Konsortiums aus zwölf Firmen auf den Ruinen eines zerbombten Warenhauses seine Türen öffnet, bejubelt das „Hamburger Abendblatt“ ein „neues Stück amerikanischer Einkaufskultur“ in Barmbek. Monate später gesellt sich das baugleiche Alstertal Einkaufszentrum hinzu. „Die Zeit“ kritisiert damals zwar neben dem anschwellenden Autoverkehr auch „Rolltreppen, Beton und Neonlicht, wo früher Nachbarschaftsläden waren“. Das Publikum aber strömt zu Tausenden in die 70 Geschäfte des damals bundesweit größten City-Centers seiner Art. Damit sorgt es nicht nur für Umsätze, sondern auch für die Nachahmung einer frisch erprobten Idee.

Vier Jahre, nachdem das Elbe Einkaufszentrum in Osdorf 1966 dem Beispiel des Main-Taunus-Zentrum nahe Frankfurt gefolgt war, setzt sich das Prinzip komplett überdachter, gemeinsam vermarkteter, verkehrsgünstig gelegener, aus einer Hand verwalteter Läden, Dienstleister, Restaurants und Aufenthaltszonen also auch in Hamburg durch.

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Prof. Thomas Krüger, Leiter des Arbeitsgebietes „Projekt­entwicklung und Projektmanagement in der Stadtplanung“ an der HafenCity Universität

Und wie! Innerhalb weniger Jahre erhalten Billstedt, Harburg, Eidelstedt, Langenhorn, Rahlstedt, Bramfeld und Farmsen Shopping Malls auf jeweils mehr als 10 000 Quadratmetern Fläche für den Alltagseinkauf abseits der Innenstadt.

Hinzu kommen nach und nach zentraler gelegene, eleganter gestaltete, preislich teurere Varianten – vom Hamburger Hof bis zum Hanseviertel. Doch ob bodenständig oder luxuriös, Alsternähe oder Außenbezirk: „In der autogerechten, wachsenden Stadt“, erklärt Heiner Schote vom Handelskammer-Geschäftsbereich „Fachkräfte und Lebenswerte Metropole“, „waren Einkaufszentren auch Orte für sicheres Flanieren und sollten die anderen Einzelhandelsstandorte entlasten.“

Aus seiner Sicht wurden viele davon sogar „zum Nukleus umliegender Viertel, um den sich Infrastruktur bildet“. Als gelungenes Beispiel nennt Schote hier das Mercado, das vor 30 Jahren mit weltweiter Medienbegleitung auf dem Gelände eines  vormaligen jüdischen Friedhofs errichtet wurde. Die Ottenser Hauptstraße davor ist längst ein beliebter Stadtteiltreffpunkt, gewissermaßen das pulsierende Herz des Viertels.

Konzentrierte Hochleistungs-Citys

Dass Einkaufszentren ihr Umfeld automatisch aufwerten, würde Prof. Thomas Krüger allerdings bezweifeln. Während sich „außerhalb der Innenstädte eher flächenintensive Fachmärkte“ ansiedeln, brächten citynahe Malls schließlich mitunter eine „Verlagerung der 1a-Lagen in die Center und ein Downgrading des weiteren Umfelds“ mit sich, so der Professor im Bereich Stadtplanung der HafenCity-Universität. Filialisten und Schnellgastronomie also anstatt Familienbetrieben und Geschmacksorientierung.

Dennoch sieht Krüger Shopping-Center als „konzentrierte Hochleistungs-Citys“, die „das Beste der Innenstadt nehmen, störungsfrei unter einem Dach konzentrieren und einen komfortablen öffentlichen Konsumraum mit sehr guter Verkehrsanbindung in zentraler Lage“ erzeugen. „Anders als bei den oft trägeren Warenhäusern“, beschreibt er das Erfolgsgeheimnis, „agieren in den Centern viele eigenständige Anbieter nebeneinander und können schnell auf veränderte Nachfrage und neue Trends reagieren.“

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Das Einkaufszentrum Hamburger Straße wurde im Frühjahr 1970 eröffnet und galt in den 1970er Jahren – mit knapp 50 000 m² Geschäftsfläche – als das größte innerstädtische Einkaufszentrum Deutschlands.

Auf offene Ohren, Augen und Portemonnaies stieß das Konzept besonders am Anfang der marken- und konsumbegeisterten 1980er-Jahre. Als erster richtiger Marktplatz unter den Einkaufszentren sorgte besonders die Gänsemarkt-Passage für hörbares Aufsehen und spürbaren Absatz. Auch wegen ihrer exponierten Lage in der Nähe von Rathaus, Colonnaden und Jungfernstieg.

Im arkadenartigen Ensemble neben dem damaligen Ufa-Palast trafen sich ab 1980 nicht nur Kauf-, sondern auch Schaulustige aller Gehalts- und Altersgruppen.  Wie das Hanseviertel überlebte die Passage gleich mehrere Sinnes- und Kulturwandel einer wankelmütigen Klientel. Bis 2022, als der städtebaulich bedeutsame Komplex dem Erdboden gleichgemacht wurde. Seitdem klafft eine Baulücke am Gänsemarkt.

Besonders stressresilient

Als Einkaufzentren nach der Wiedervereinigung „die Konsumwüsten ostdeutscher Städte eroberten“, weiß Experte Thomas Krüger, „gab es dann noch mal einen regelrechten Boom“. Mit Auswirkungen bis nach Hamburg sogar, wo Anfang des 21. Jahrhunderts einige wuchtige Zentren wie die Europa Passage oder das Phoenix-Center eröffnet wurden.

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Das Elbe-Einkaufszentrum (EEZ) in Osdorf wurde am12. Mai 1966 als erstes EKZ in Hamburg eröffnet.

Schon bald jedoch gerieten Shopping Malls klassischer Prägung in die Zange gestapelter Katastrophen von Bankenkrise bis Pandemie – und hatten natürlich mit veränderten Konsumgewohnheiten zu kämpfen, E-Commerce inklusive.

Die Passagen mussten und müssen sich also stetig neu erfinden. Doch wenn ein guter Mix aus Einkaufsmöglichkeiten, Entertainmentangeboten und Dienstleistungen bis hin zum Ärztehaus gewährleistet ist, wie etwa im Born Center, bleibt der Weg Richtung Zukunft offen. Thomas Krüger spricht von „Wohlfühlatmosphäre“.

Knapp 150 Jahre nach der ersten Erwähnung des Wilhelmbasars an der Steinstraße, einer Vorform heutiger Einkaufszentren aus Markthalle, Warenhaus und Ladenzeile, zeigen sich die Malls bei aller Kritik an Fachgeschäfteverdrängung oder Fixierung auf die Zufahrt per Auto als verblüffend stressresilient – wie etwa die große Akzeptanz des Westfield in der HafenCity zeigt.

Und die Hamburger Meile? Befindet sich „derzeit in einem Prozess der Anpassung und Weiterentwicklung für die Zukunft“, so Centermanager Christoph Feigez. „Neben der klassischen Retail-Nachvermietung und mehr gastronomischer Abwechslung arbeiten wir derzeit vor allem daran, ergänzende Nutzungen aus dem Non-Retail-Bereich wie öffentliche Einrichtungen oder medizinische Angebote anzusiedeln“, berichtet Feigez – der etwa auf den neuen Mietvertrag mit dem Plasmazentrum CSL Plasma verweist.

Einkaufszentren (EKZ) unterscheiden sich von Kaufhäusern oder Fußgängerzonen vor allem durch das gemeinsame Management unterschiedlicher Geschäfte auf mindestens 10 000 Quadratmetern unter einem Dach. Als Erstes seiner Art gilt das Southdale Center Edina, errichtet 1956 vom österreichischen Architekten Victor Gruen in Minnesota/USA – der sich später vom „motorisierten Konsumismus“ seiner eigenen Erfindung distanzierte. Die Vorläufer waren überdachte Arkaden in Paris (1799), London (1819), Mailand (1867), aber auch der Hamburger Wilhelmbasar (um 1880). Die erste echte Shopping Mall in Hamburg ist das Elbe Einkaufszentrum von 1966. Als vorerst letztes EKZ kam das Westfield in der HafenCity hinzu.


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