Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel

Der Mangel an qualifiziertem Personal ist schon seit Jahren eine der größten wirtschaftlichen Sorgen von Unternehmen. Doch es gibt eine Reihe von Möglichkeiten gegenzusteuern. Dabei ist auch die Politik gefragt.
UHH/Dingler
Als größte Geschäftsrisiken sehen Hamburger Unternehmen derzeit die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (61,6 %), den Fachkräftemangel (61 %) und die Arbeitskosten (50,7 %), so das aktuelle Konjunkturbarometer.

Von Felix Schoen, 2. August 2024 (HW 4/2024)

„Wir stellen ein“, „Wegen Personalmangel heute geschlossen“: Solche Aushänge begegnen einem heute vor Hamburger Restaurants oder Supermärkten fast auf Schritt und Tritt. Der Mangel an Fachkräften ist allgegenwärtig – und seit Herbst 2021 nimmt er wieder einen Spitzenwert unter den unternehmerischen Sorgen ein: Ganze 61 Prozent der antwortenden Unternehmen sehen ihn derzeit als eines der größten Risiken ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, so das aktuelle Konjunkturbarometer der Handelskammer.

Die Fachkräftestrategie der Handelskammer finden Sie hier. Zur Analyse der Fachkräftesituation im Jahr 2023 führte die Kammer im vergangenen Herbst eine Umfrage durch, die hier abrufbar ist. Über die Fachkräftesituation im Gesundheitsbereich berichtete auch die letzte HW.

Laut einer Kammerumfrage konnten im Herbst 2023 drei Fünftel der Unternehmen in Hamburg (60,2 Prozent) nicht alle offenen Stellen innerhalb von zwei Monaten besetzen, in Bau- und Gastgewerbe sowie in der Gesundheitswirtschaft waren es sogar fast vier Fünftel. Für 2023 identifizierte die Agentur für Arbeit unter 522 Berufen bundesweit 183 Engpassberufe; besondere Knappheit bestand in Hamburg und Schleswig-Holstein etwa im medizinischen Bereich, in Hotellerie und Steuerberatung, bei Kaufleuten für Verkehr und Logistik, in Energietechnik, Tiefbau, Lebensmittelverkauf und Gastronomie. Schon aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge, die demnächst in Rente gehen, wird sich die Situation in den kommenden Jahren zudem noch verschärfen.

Gleichzeitig verzeichnete die Statistik im Juni 113 009 Unterbeschäftigte in Hamburg, davon 86 834 Arbeitslose. Laut Sozialbehörde lebten hier im Februar allein 45 000 Geflüchtete aus der Ukraine, viele davon auf Arbeitssuche. Zahlreiche Menschen würden gern länger arbeiten, sind aber etwa durch fehlende Kita-Ganztagsplätze eingeschränkt. Andere wiederum scheiden aus dem Berufsleben aus, weil sie für neue Technologien nicht genügend geschult sind. „Jede dieser Zahlen beschreibt ein Potenzial“, heißt es in der im November 2022 veröffentlichten Fachkräftestrategie der Handelskammer.

 

Gezielte Maßnahmen erforderlich

Es gilt also, die erforderlichen Schritte zu ergreifen und die vorhandenen Potenziale zu nutzen. Das Strategiepapier formuliert dazu eine Fülle von Forderungen und Anregungen. Einige Beispiele:

Fachkräfte qualifizieren Die Digitalisierung durchdringt heute alle Lebensbereiche. Künstliche Intelligenz (KI) ist rasant auf dem Vormarsch – und sie kann zwar Arbeitskräfte einsparen, erfordert aber geschultes Personal. Digitale Infrastruktur und Kompetenz müssen deshalb bereits in Schulen gefördert werden, etwa mit einem obligatorischen Fach Informatik. Zudem sollten die MINT-Fächer (Mathematik und Naturwissenschaften) an Hochschulen gestärkt werden, so das Papier.

Größte Geschäftsrisiken
Handelskammer Hamburg
Das aktuelle Konjunkturbarometer der Handelskammer zeigt: Zu den größten Geschäftsrisiken gehört derzeit vor allem der Fachkräftemangel.

Unternehmen sollten ihrerseits gezielt in die Weiter- und Fortbildung ihrer Belegschaft investieren. So machen sie diese fit für die aktuellen Herausforderungen, verstärken die Mitarbeiterbindung und können auch ältere Mitarbeitende im Betrieb halten. Zentral ist auch die duale Ausbildung: Viele Firmen haben Schwierigkeiten, beruflich Ausgebildete zu finden oder Ausbildungsstellen zu besetzen. Die Handelskammer hat deshalb unter anderem ein Partnerschaftsprojekt mit Usbekistan gestartet (siehe Kasten: „Usbekistan-Projekt“).

Erwerbsbeteiligung erhöhen Viele Erwerbsfähige finden aufgrund von Alter, mangelnder Qualifikation oder Sprachkenntnissen keine Arbeitsstelle – und andere, insbesondere Frauen, arbeiten oft weniger, als sie sich wünschen. Dringend erforderlich ist deshalb der Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Vorteilhaft für Unternehmen sind auch flexible, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, die die Rückkehr in Vollzeit erleichtern. Chancen bieten zudem die Einstellung und folgende Weiterbildung von Personen, die anfangs nicht perfekt für eine Arbeitsstelle qualifiziert sind, etwa Geflüchteten oder Langzeitarbeitslosen. Hierfür stellt der Staat eine Reihe von Fördermitteln bereit.

Zuwanderung gezielt fördern und gestalten Ohne Zuwanderung ist der Fachkräftemangel nicht zu bewältigen, und Migranten tragen schon heute maßgeblich zum Arbeitsmarkt bei. Die Politik sollte daher, so die Fachkräftestrategie, Anreize für die Anwerbung von Talenten setzen und insbesondere bürokratische Hürden abbauen, etwa in Bezug auf die Arbeitssuche und -aufnahme und die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse. Zudem sollte das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Jugendliche erweitert werden. Erforderlich ist auch eine umfassende Willkommenskultur. Mit flexibler Arbeitszeitgestaltung, die den Besuch von Sprachkursen ermöglicht, Hilfen bei der Wohnungssuche und einem Umgang auf Augenhöhe binden Unternehmen Zugewanderte an den Betrieb – und werden in der Community weiterempfohlen.

Usbekistan-Projekt Azubis aus Usbekistan für Hamburg gewinnen: Dieses Ziel verfolgt die Handelskammer in einem Pilotprojekt, das sie gemeinsam mit der DIHK und der AHK Zentralasien betreibt. Für das Ausbildungsjahr 2025/2026 stehen verschiedene Berufsfelder im Fokus. Nähere Infos erhalten interessierte Unternehmen hier oder bei Maximilian Stell (maximilian.stell@hk24.de, 36138-367).

Arbeitsbedingungen attraktiv gestalten Hamburg muss seine Lebensqualität steigern, seine Infrastruktur verbessern und insbesondere mehr Wohnungen bauen – schließlich ist der Wohnungsmangel selbst für Menschen aus dem Umland ein massives Hindernis bei der Arbeitsaufnahme. Doch auch Unternehmen können einiges tun, um ihre Attraktivität zu steigern, etwa mit „Incentives“ und einer familienfreundlichen Arbeitsumgebung oder sogar dem Bau von Betriebswohnungen.

Ideen zur Linderung des Fachkräftemangels gibt es also zuhauf. Doch Politik und Zivilgesellschaft müssen die dringend erforderlichen Maßnahmen gemeinsam und resolut angehen. Für eine lebenswerte, menschliche und zukunftsorientierte Stadt und eine starke, verantwortungsvolle Wirtschaft.


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