Gemeinwohl und Geschäftsmodell koppeln

„Corporate Purpose“ verstärkt die Wettbewerbsfähigkeit, etwa im Kampf der Unternehmen um die besten Nachwuchskräfte („War for Talents“) – allerdings nur, wenn der Sinn wirklich aus der Firma heraus entsteht.
KALORIMETA GmbH
Mithilfe einer smarten Heizungssteuerung von KALORIMETA können Menschen ihr Verbrauchsverhalten optimieren und so zum Klimaschutz beitragen.

Von Birgit Reuther, 11. Februar 2025 (HW 1/2025)

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Stefan Lok/ Creative Advantage GmbH
Wirtschaftspsychologin Dr. Annette Bruce

„Corporate Purpose ist der höhere Zweck eines Unternehmens, der über die alleinige Gewinnorientierung hinausgeht“, erklärt Dr. Annette Bruce. Die Wirtschaftspsychologin ist mit ihrer Strategieberatung „Creative Advantage“ auf Corporate Purpose und strategische Marketinglösungen spezialisiert.

Für die Expertin steht die Haltung eines Unternehmens, etwa zu Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit, in direktem Zusammenhang mit dessen Wertschöpfung. Das heißt: Corporate Purpose ist kein moralischer Luxus, den sich eine Firma gönnt, sondern, wie Bruce es nennt, „ein langfristiges, Mehrwert schaffendes Versprechen“. Entsprechend sollten Firmen sich nicht fragen, ob sie sich einen Purpose leisten können, sondern eher: „Kann ich es mir leisten, keinen Purpose zu haben?“

Wofür ein Unternehmen steht, spiele in wettbewerbsintensiven Bereichen wie der Konsumgüterindustrie eine immer bedeutsamere Rolle, so Bruce. Vor allem bei der jüngeren Generation sowie bei reflektierterer Kundschaft. Besonders ausschlaggebend sei Corporate Purpose derzeit im „War for Talents“, im „Kampf um Talente“: „Kann ein Unternehmen in Ausübung seines Geschäftsmodells glaubhaft dem Gemeinwohl dienen, bietet das Fachkräften ein zusätzliches Identifikationspotenzial.“ Gerade jüngere Arbeitnehmerzielgruppen suchten gezielt nach Firmen mit einem übergeordneten Zweck, der sich mit den eigenen Werten deckt.

Vorzeigebeispiel ist für Annette Bruce die Outdoor-Marke „Patagonia“, die auch in Hamburg von rund 20 ausgesuchten Geschäften angeboten wird. Das Unternehmen setzt auf Langlebigkeit statt auf schnellen Konsum, unter anderem mit einem Reparatur-Service und einem Secondhand-Markt für die eigenen Kleidungsstücke. „Bei Patagonia ist der Purpose integrativer Teil der Wertschöpfungskette“, betont Bruce.

In ihrem Buch „Corporate Purpose – das Erfolgsrezept der Zukunft“ stellt Dr. Annette Bruce gemeinsam mit ihrem Co-Autor Christoph Jeromin heraus, dass Firmen mit einer klar definierten Einstellung oftmals überdurchschnittlich wachsen. Wenn sie also gesellschaftliche, ökologische und soziale Belange sinnhaft mit dem ökonomischen Handeln verbinden. Wichtig sei jedoch, sich nicht einfach einen übergeordneten Unternehmenszweck auszudenken. Dann verkomme der Begriff zum inhaltsleeren Schlagwort. „Der erste Schritt bei der Entwicklung eines Corporate Purpose führt in die Unternehmensgeschichte“, so Bruce.

Die Hamburger Online-Bank „Tomorrow“ überzeuge mit ihrem Claim „Nachhaltiges Banking“ ebenso wie das Start-up „Sea Me“, das von St. Pauli aus Hautpflege mit einem Zero-Waste-Mehrwegsystem vertreibt. Auch „Viva con Agua“ sei „Purpose in Reinform“: Mit dem Verkauf ihres Mineralwassers und dem Toilettenpapier „Goldeimer“ unterstützt die Hamburger Organisation Projekte für Trinkwasser- und Sanitäranlagen (siehe auch den Artikel zur Handelskammer-Klimakampagne „Wir handelns fürs Klima“).

Doch was tun, wenn der Sinn eines Unternehmens nicht so offensichtlich auf der Hand liegt? Der Tipp von Annette Bruce für den Mittelstand: In den Archiven forschen und mit der älteren Generation sprechen. Mit Fragen wie „Wie wurden wir, was wir sind?“ oder „Welchen Beitrag sollte das Unternehmen bei seiner Gründung leisten, und wie wurde dies umgesetzt?“ lasse sich manch vergessener Purpose dekodieren.

Bei der KALORIMETA GmbH (KALO), die in Hamburg rund 600 Mitarbeitende beschäftigt, ist der Corporate Purpose im Zuge eines Transformationsprozesses entstanden, wobei der Blick in Firmengeschichte und -kultur eine wichtige Rolle spielte. „Historisch gesehen hatten wir schon immer einen Purpose“, erklärt CEO Dr. Dirk Then. „Durch den Einsatz unserer Produkte und Dienstleistungen machen wir den individuellen Energie- und Wasserverbrauch im eigenen Haushalt sichtbar und ermöglichen den Menschen so, ihr Verbrauchsverhalten zu optimieren. Dadurch können sie in ihrem Zuhause einen Beitrag zur Ressourcenschonung und damit zum Klimaschutz leisten.“

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KALORIMETA GmbH
Dr. Dirk Then, CEO KALORIMETA GmbH

Mehr als 70 Jahre nach der Gründung habe das Unternehmen dank Digitalisierung nun vielfältigere Möglichkeiten, die smarte Energiewende innerhalb von Wohnimmobilien als Partner umfassend zu unterstützen, etwa durch fernablesbare Funkmesstechnik und intelligente Heizungssteuerung. Diese Transformation hat ein crossfunktionales Team aus Mitarbeitenden verschiedener Abteilungen gemeinsam mit dem Managementteam bei KALO in einen Corporate Purpose übersetzt – mit dem übergeordneten Unternehmenszweck „Ein besseres Klima beginnt zu Hause“.

„Mit unserem Corporate Purpose zeigen wir Haltung“, erläutert Then. „Bewerbende erkennen, dass sie bei uns einen Job mit Sinn finden. Und unseren Kundinnen und Kunden zeigen wir, dass die Zusammenarbeit mit uns mehr als nur ein Geschäft ist.“ Wichtig ist dem KALORIMETA-Chef, diese Einstellung nach außen und nach innen zu leben. „Wir haben den Anspruch, auch intern jeden Tag nachhaltiger zu werden. Das Schöne ist: Viele Mitarbeitende bringen eine intrinsische Motivation für mehr Klimaschutz mit.“ Und das befördere nicht nur den Zusammenhalt, sondern auch die Entwicklung innovativer Produkte.


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