Gesundheit ist durch nichts zu ersetzen. „Es gibt tausend Krankheiten, aber nur eine Gesundheit“, bemerkte schon vor zwei Jahrhunderten der Journalist Ludwig Börne (1786–1837). Die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien bietet schon deshalb große ökonomische Chancen.
Auch in Hamburg ist die Gesundheitsbranche seit Jahren kontinuierlich auf Wachstumskurs – und gehört zu den wichtigsten Treibern der hiesigen Wirtschaft, wie die jüngste Studie des WifOR Institute belegt.
So lag ihre Bruttowertschöpfung im Jahr 2021 bei 12,4 Milliarden Euro; seit 2012 wuchs sie im Schnitt um 4,7 Prozent pro Jahr – stärker als die Entwicklung der Branche auf Bundesebene (+4,2 Prozent) und als die der Hamburger Gesamtwirtschaft (+3,1 Prozent). Jeder neunte Euro der gesamten Hamburger Bruttowertschöpfung wurde in der Gesundheitswirtschaft generiert, so die Studie.
50 Prozent davon entfallen auf die stationäre und ambulante medizinische Versorgung, wie sie etwa das UKE oder die Asklepios-Kliniken-Gruppe, die in Hamburg ihren Hauptsitz hat, die Arztpraxen und die Pflegedienste bestreiten. Für knapp 30 Prozent der Wertschöpfung sorgt die industrielle Gesundheitswirtschaft, insbesondere Medizinproduktehersteller und Pharmaunternehmen.
Studie Im Auftrag der Hamburger Sozialbehörde hat das WifOR Institute im August 2023 eine Studie zum „ökonomischen Fußabdruck der Gesundheitswirtschaft in Hamburg“ auf Basis der aktuellsten verfügbaren Zahlen von 2021 erstellt.
In Hamburg residieren Großunternehmen wie die auf Endoskope spezialisierte Olympus Europa Holding, Weimann und AstraZeneca, aber auch viele kleinere und mittelständische Betriebe wie der Spezialist für PCR-Tests Altona Diagnostics oder die Eppendorf SE, die Laborbedarf aus erneuerbarem Kunststoff entwickelt. Der Rest entfällt auf Krankenkassen, Einzelhandel und übrige Dienstleister.
Damit trägt die Branche auch maßgeblich zum Arbeitsmarkt bei. Laut der WifOR-Studie arbeiteten 2021 in Hamburg rund 203 100 Menschen in der Branche – rund 15,7 Prozent aller hier Beschäftigten. Die Zuwächse liegen jährlich im Schnitt bei 2,5 Prozent.
Trends: Digitalisierung & Prävention
„Hamburgs Bevölkerung ist im Vergleich zu den Nachbarbundesländern jung, aber auch hierzulande ist der Fachkräftemangel in der Gesundheitswirtschaft bereits jetzt zu spüren und wird noch deutlich zunehmen“, sagt Maren Puttfarcken, Leiterin der Hamburger Landesvertretung der Techniker Krankenkasse (TK), die ihren Hauptsitz in der Hansestadt hat. „Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir bei der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung schneller werden.“ Die Digitalisierung könne Pflegekräfte und die Ärzteschaft zwar nicht ersetzen, aber „unterstützen und von unnötigen Aufgaben entlasten“.
Auch Dr. Florian Brill ist überzeugt: „Durch die Digitalisierung, Innovationen und die Automatisierung, etwa in der Krankenhauslogistik, werden in Zukunft sehr wahrscheinlich einige monotone Aufgabengebiete in der Branche wegfallen, andere werden sich verändern. Aber es werden auch viele neue Jobs entstehen. Das ist eine Chance, den aktuellen Fachkräftemangel aufzuweichen.“
Der geschäftsführende Gesellschafter von Dr. Brill + Partner und Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheitswirtschaft der Handelskammer betont die Bedeutung effizienter Datenverwertung und -übermittlung: „Hamburg verfügt über einen großen Datenschatz. Es gibt tolle Unternehmen wie Tiplu, das mittels Künstlicher Intelligenz Abrechnungsdaten für Krankenhäuser vereinfacht, aber auch Prognosetools für Erkrankungen erstellt.“
Bereits 2008 hat zum Beispiel das UKE damit begonnen, Patientenprozesse fast vollständig zu digitalisieren – mit dem Ziel, in den medizinischen Versorgungsprozessen nach und nach zu einem papierlosen Krankenhaus zu werden. Auch die Kommunikation zwischen den Abteilungen erfolgt oft digital.
„Ärzte, die beispielsweise nach einem Röntgenbild suchen, haben bei uns direkten Zugriff auf die Bilder, egal von welchem Ort aus“, erklärt Joachim Prölß, Direktor für Patienten- und Pflegemanagement. Außerdem können Patientendaten in kürzester Zeit online an Externe, wie niedergelassene Hausärzte, übermittelt werden. „Auf diese Weise werden die Prozesse in der Patientenversorgung vereinfacht.“
Mit der zum 1. Januar 2025 geplanten bundesweiten Einführung der elektronische Patientenakte (ePA), über die sich medizinische Befunde praxisübergreifend speichern lassen, steht ein weiterer großer Digitalisierungsschritt bevor. Zur Praxiserprobung dieser und weiterer digitaler Anwendungen wurde Hamburg durch die vom Bund beauftragte Gesellschaft für Telematik (gematik) bereits im März 2023 als eine von zwei Modellregionen ausgewählt.
Ein starker Standort für Medizintechnik
Neben der Digitalisierung „rückt auch die Gesundheitsprävention immer mehr in den Fokus – vor allem, weil die jüngeren Generationen mehr Wert darauf legen, auch im hohen Alter noch gesund zu sein und beispielsweise zu Vorsorgen zu gehen“, sagt Florian Brill. An diesen Wunsch knüpfen auch Hamburger Start-ups an. „Ein tolles Beispiel ist die Firma BLUU Seafood, die Fischfleisch in Reagenzgläsern herstellt. Gesunde Ernährung ohne Mikroplastik, ohne Umweltbelastungen, das ist natürlich Prävention pur“, so der Ausschussvorsitzende. Insgesamt sei die Hamburger Start-up-Szene im Bereich Life Science „schon sehr aktiv“. Es sei aber noch deutlich Luft nach oben.
Modellregion Die Nationale Agentur für Digitale Medizin gematik hat 2023 Hamburg und Umgebung sowie Franken zu Modellregionen für digitale Gesundheit in Deutschland auserkoren. Um die Teilnahme hatte sich ein Konsortium rund um das ÄrzteNetz Hamburg e. V. beworben. Ziel ist es, Neuerungen wie das E-Rezept, die elektronische Patientenakte und andere digitale medizinische Anwendungen zu erproben und die Bevölkerung darüber zu informieren.
Dabei gibt es in der Stadt etliche gute Adressen für Gründer, um zu wachsen: Der Gesundheitstechnologiekonzern Philips hat 2017 gemeinsam mit Kooperationspartnern wie der Stadt Hamburg den „Health Innovation Port“ (HIP) auf dem eigenen Betriebsgelände aufgebaut. Seit der Gründung sind dort rund 100 Start-ups gefördert worden, im Schnitt sind 20 Gründungsbetriebe im HIP aktiv. Ein Vorzeige-Start-up, das dort groß geworden ist, ist etwa northh medical – ein Unternehmen, das eine erfolgreiche Lösung zur Verbesserung der Ultraschalldiagnostik von Herzkrankheiten bei Ungeborenen entwickelt hat.
Philips selbst entwickelt und produziert innovative Geräte für die bildgebende Medizin, darunter Generatoren, Isolatoren und Röntgenstrahler. Aktuell baut das Unternehmen gemeinsam mit dem UKE, dem Hamburger SV und CTP das neue Athleticum am Volkspark auf, ein Kompetenzzentrum für ganzheitliche Sport-, Bewegungs- und Präventionsmedizin. „Hamburg ist als Standort interessant, weil man als Arbeitgeber in einer Großstadt attraktiv für Fachkräfte ist und weil hier auch Synergien mit anderen Unternehmen wie Airbus oder Lufthansa Technik entstehen“, sagt Volker Eckert, Director Government Affairs bei Philips Germany Health Systems.
Mit dem Cluster Life Science Nord bietet die Stadt zudem gute Voraussetzungen für Innovationen im Medizintechnikbereich. Allerdings, so der Gesundheitsausschuss-Vorsitzender Florian Brill, hat die Metropole „als Stadtstaat einen Standortnachteil. Firmen, die beispielsweise in Hamburg ansässig sind, ihre Produkte aber in Schleswig-Holstein produzieren, müssen sich an die Vorgaben von beiden Bundesländern gleichzeitig halten. Hier wäre es in Zukunft wichtig, weniger zergliedert, sondern mehr norddeutschlandweit zu denken“ .
Gesundheitsmärkte In der Gesundheitswirtschaft werden zwei Bereiche unterschieden. Der Kernbereich („erster Gesundheitsmarkt“) umfasst die „klassische“ Gesundheitsversorgung, die größtenteils durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die private Krankenversicherung (PKV) einschließlich Pflegeversicherung finanziert wird. Als „zweiter Gesundheitsmarkt“ werden alle privat finanzierten Produkte und Dienstleistungen rund um die Gesundheit bezeichnet. Welche Waren und Dienstleistungen einen Bezug zur Gesundheit aufweisen, ist dabei nicht klar definiert. Generell dazu gehören frei verkäufliche Arzneimittel und individuelle Gesundheitsleistungen, Fitness und Wellness, Gesundheitstourismus und teilweise die Bereiche Sport/Freizeit, Ernährung und Wohnen.