Innovativer Vorreiter an der Elbe

In Zukunft will sich Hamburg als Universal-, Klima- und Energiehafen noch breiter und nachhaltiger aufstellen. Das soll mehr Ladung bringen und Zukunftsbranchen andocken lassen.
Julius Silver
Das Containerwachstum hat inzwischen an Dynamik verloren. Für den Hamburger Hafen – Deutschlands größter See- und Europas größter Eisenbahnhafen – ist es daher wichtig, sich von Containern unabhängiger zu machen und sich stärker als Universalhafen zu diversifizieren.

Von Kerstin Kloss, 6. April 2022 (HW 2/2022)

„Wir müssen ganz, ganz schnell agieren“, drängt Handelskammer-Vizepräses Willem van der Schalk. Die Zukunft des Hamburger Hafens solle mutig und beherzt gestaltet werden. Mit mehr als vier Jahrzehnten Erfahrung als Seefrachtspediteur beobachtet van der Schalk, dass sich die Märkte im maritimen Bereich momentan „in einer unglaublichen Geschwindigkeit“ verändern. Deshalb appelliert er an die Politik, sich rasch „mit Änderungsprozessen auseinanderzusetzen“. In diesem Zusammenhang sei die angekündigte Realisierung eines One-Stop-Shops (also eines gemeinsamen Abfertigungszentrums) bei Behörden wie Zoll, Veterinär- und Einfuhramt zu begrüßen. „Solche Optimierungen von Verwaltungsverfahren müssen ebenso wie der bedarfsgerechte Ausbau der Infrastruktur weiter beschleunigt werden, um den größten deutschen Universalhafen auch für die nächsten 833 Jahre bestmöglich aufzustellen“, erklärt van der Schalk.

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Große Projekte für Moorburg: Der Hy-Tech-Park neben dem historischen Dorf soll Unternehmen aus Zukunftsbranchen anziehen, der E-Fuel-Hub als Pilotanlage für synthetische Kraftstoffe wie Wasserstoff dienen.

Van der Schalk entstammt einer deutsch-niederländischen Familie, absolvierte seine kaufmännische Ausbildung in Rotterdam und weiß, dass dort vieles einfacher geht. Als entscheidende Kenngröße im Hafenwettbewerb gilt der Containerumschlag – hier lag Hamburg 2021 mit 8,7 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) deutlich hinter den Konkurrenten Rotterdam (15,3 Millionen TEU) und Antwerpen (12 Millionen TEU). Unabhängigen Erhebungen zufolge sind die Umschlagkosten in Hamburg höher als in den Westhäfen.

Zugleich machen die Stahlboxen aber zwei Drittel des Gesamtumschlags aus. „Das Containerwachstum hat an Dynamik verloren. Für Hamburg ist es wichtig, sich davon unabhängiger zu machen und sich stärker als Universalhafen zu diversifizieren“, erklärt Prof. Jan Ninnemann, Bachelor-Studiengangsleiter „Logistics Management“ an der HSBA Hamburg School of Business Administration.

Der größte deutsche Universalhafen mit seinen rund 75 Terminals liegt im Vergleich zu Rotterdam sehr innenstadtnah und unterliegt dadurch komplexeren Rahmenbedingungen wie geringen Ausbaureserven oder Restriktionen durch Wohnbebauung. Jan Ninnemann sieht das allerdings als Chance, „weil es den Hafen dazu treibt, effizienter, ökologischer und innovativer zu sein als die Mitbewerber“. Durch Automatisierung und Innovationen könne Hamburg „eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen“.

Wir brauchen unbedingt weiterhin einen verlässlichen Umschlag für Schwer- und Stückgut. Wasserstoff ist nicht der alleinige Glücksbringer.

Willem van der Schalk

Welche Maßnahmen notwendig sind, zeigt der im Dezember 2020 vorgestellte „Zukunftsplan Hafen“ mit vier zentralen Handlungsfeldern, den die Handelskammer im Rahmen der Standortstrategie „Hamburg 2040“ erstellte. Ziel ist es, den Hafen zu einem Motor und Innovationstreiber der Hamburger Wirtschaft und ganz Norddeutschlands zu machen.

Speziell im Wettlauf gegen den Klimawandel drückt die Kammer aufs Tempo und legte Ende November 2021 das Zukunftskonzept „Energie- und Klimahafen Moorburg“ vor. Der Stadtteil war seit dem Mittelalter für den Seehandel bedeutsam, rückte nach der Sturmflut 1962 ins Abseits und verharrt seit 40 Jahren als Hafenerweiterungsgebiet in Warteposition. Die bis zu 150 Hektar großen Flächen sind aus Kammersicht ein idealer Ausgangspunkt für die Entwicklung des Hafens zum Zentrum der Energiewende.

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picture alliance / Westend61
Das Heizkraftwerk Tiefstack in der Billwerder Bucht soll ab spätestens 2030 komplett CO₂-frei arbeiten. Derzeit läuft ein Beteiligungsprozess zum Kohleausstieg des stadteigenen Meilers.

Die Vision: Im Hy-Tech-Park Moorburg sollen Unternehmen aus Zukunftsbranchen andocken. Ein Inkubator bietet Platz für anwendungsorientierte Forschungsinstitute mit angesbundenen Gründungszentren. Der sogenannte „E-Fuel-Hub“ zeigt als Pilotanlage für synthetische, CO₂-neutrale Kraftstoffe, wie in Zukunft zum Beispiel Schiffe und Flugzeuge mit Derivaten auf Basis von grünem Wasserstoff wirtschaftlich versorgt werden können. Das benachbarte Brennstoffzellenwerk forscht und produziert für den emissionsfreien Elektroantrieb aller Verkehrsträger.

Die Hafenentwicklungsfläche in Steinwerder Süd ist ein wesentlicher Schlüssel, um Zukunftsthemen wie erneuerbare Energien voranzutreiben.

Jan Ninnemann

Das futuristische Leuchtturmprojekt könnte auch mit Blick auf den nördlich an Moorburg angrenzenden, bereits heute klimaneutralen Containerterminal Altenwerder (CTA) eine besondere Strahlkraft entwickeln. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, unterstützt die Moorburg-Pläne der Handelskammer und hält EU-Fördergelder für möglich.

Ergänzend dazu sieht HSBA-Professor Ninnemann die größte freie Hafenentwicklungsfläche in Steinwerder Süd als „wesentlichen Schlüssel“, um Zukunftsthemen wie Wertstoffe/Recycling, alternative Kraftstoffe und erneuerbare Energien weiter voranzutreiben. Der Containerumschlag ist und bleibt jedoch ein zentraler Pfeiler des Hamburger Hafens. Handelskammer-Vizepräses van der Schalk skizziert eine herausfordernde Situation: „Wir stehen nicht nur mit den Westhäfen im Wettbewerb, sondern zunehmend auch mit Ostseehäfen wie Göteborg in Schweden und dem polnischen Doppelhafen Danzig/Gdynia sowie am Mittelmeer Piräus, Genua, Triest und Koper. Das sind alles Mitbewerber um Ladung, denen wir offen und mit einem cleveren System entgegenstehen müssen. Deshalb müssen wir den Hamburger Hafen ganz massiv modernisieren.“

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Bernd Lange (EU-Handelsausschuss, 2. v. re.) besprach die Moorburg-Pläne vor Ort mit (v. li.) Michael Eggenschwiler (Wasserstoffgesellschaft), SPD-MdB Metin Hakverdi, SPD-MdHB Markus Schreiber, David Ghrim („Runder Tisch Moorburg“), Handelskammer-Präses Prof. Norbert Aust und Andreas Timm-Giel (TU Hamburg).

Als Erfolgsfaktor dafür sieht Ninnemann eine engere Kundenbindung. Mehr Reedereien sollten als Gesellschafter bei Terminals einsteigen, rät er, wie im September 2021 die COSCO Shipping Group mit 35 Prozent beim HHLA Container Terminal Tollerort (CTT). COSCO will das CTT zu einem bevorzugten Europa-Hub machen, das spült Ladung in den Elbehafen. Hier könne Hamburg von anderen Häfen lernen, meint Ninnemann: „Rotterdam und Antwerpen haben Reedereien und Hinterlandstandorte schon stärker integriert.“ Deshalb haben die Westhäfen in der Corona-Krise weniger Ladung verloren.

In Hamburg ist Hapag-Lloyd mit 25,1 Prozent am CTA beteiligt. „Der Großteil des Volumens kommt von uns und unseren Allianzpartnern“, sagt Michael Pradel, Senior Managing Director North Europe bei Hapag-Lloyd. Gemeinsam mit Ocean Network Express, Yang Ming und Hyundai Merchant Marine habe Hapag-Lloyd „viele Dienste aus anderen Häfen nach Hamburg gebracht“, 2018 allein vier Transatlantik-Services. Die Reederei würde an dem für sie wichtigsten von vier Containerterminals im Hamburger Hafen gern noch mehr abladen, wofür sie die neue Köhlbrandquerung als entscheidende Voraussetzung ansieht.

Es nützt nichts, wenndas Schiff in die Fahrrinne passt, dann aber an der Kaimauer der Tiefgang fehlt.

Michael Pradel

Derzeit kann das CTA keine Megaschiffe abfertigen, weil unter der Köhlbrandbrücke nur 14 000-TEU-Frachter durchpassen. Seit Freigabe der Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe im Januar 2022 kann Hapag-Lloyd pro Schiff bis zu 1400 Container mehr laden. Doch Pradel sieht weiteren Bedarf am CTA: „Es nützt nichts, wenn das Schiff in die Fahrrinne passt, dann aber an der Kaimauer der Tiefgang fehlt.“ Konventionelles Stückgut, das nicht in Container passt, ist ein weiteres wichtiges Standbein des Hafens – beispielsweise Maschinenteile, Turbinen und Holz.

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1. Rechte komplett: intern + extern / Rights complete: internal + external
Auf in die Zukunft: Die HHLA will bis 2040 klimaneutral werden und nimmt dafür das komplette Wasserstoff-Netzwerk in den Blick – Erzeugung, Transport und Lagerung.

„Wir brauchen unbedingt weiterhin einen verlässlichen Umschlag für Schwer- und Stückgut“, betont Willem van der Schalk. Die Handelskammer fordert, dass Hamburg auch in Zukunft ein Universalhafen für Container, Massen-, Flüssig- und Stückgut bleibt. „Mit diesen ursprünglichen Aufgaben der Hafenwirtschaft verdient der Hamburger Hafen sein Geld“, sagt er. Wasserstoff sei ein zusätzlicher, wichtiger Punkt, „aber nicht der alleinige Glücksbringer“.

Der Vizepräses blickt jedenfalls zuversichtlich in die Zukunft: „Wir nehmen den Hamburger Senat beim Wort und gehen fest davon aus, dass der neue Hafenentwicklungsplan noch in diesem Jahr vorgelegt wird und in den beschriebenen Handlungsfeldern sowohl mutige als auch konkrete Maßnahmen beinhaltet.“

Zukunftsplan Hafen

Aus Sicht der Wirtschaft muss der neue Hafenentwicklungsplan entscheidende Weichenstellungen einleiten, um den Hafen zu einem Innovationstreiber und Wachstumsmotor für die gesamte Hamburger Wirtschaft zu machen. Handlungsfelder sind der Abbau regulatorischer und infrastruktureller Wachstumshemmnisse, die Bindung und Generierung von Ladung, das Vorantreiben von Innovationen und neuen Wertschöpfungsketten sowie eine synergetische Stadt- und Hafenentwicklung.

Miteinander stark

Eine engere Zusammenarbeit der Standorte norddeutscher Seehäfen soll für Synergien sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der europäischen Konkurrenz stärken, vor allem den Westhäfen wie Rotterdam. In einer gemeinsamen Initiative schlugen die Handelskammern Hamburg und Bremen eine Reihe von Maßnahmen vor, um insbesondere die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und verlorene Marktanteile zurückzugewinnen. „Das muss in die angekündigte Nationale Hafenstrategie der Bundesregierung einfließen. Daran wollen wir mitarbeiten“, betont Handelskammer-Präses Norbert Aust. Das Positionspapier finden Sie hier.

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