Ist das weitgehende Aus der EU für Verbrennungsmotoren verfrüht?

Hanspeter Tiede, Geschäftsführer LOTHER GRUPPE (NORDOEL), und Marco Schlüter, Chief Operations Officer Hermes Germany GmbH, antworten kontrovers in der Rubrik „Pro & Kontra“.
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Von Frank Schlatermund, 5. Juni 2023 (HW 3/2023)

PRO

Ein Verbot ist unsinnig.

Hanspeter Tiede (55), Geschäftsführer LOTHER GRUPPE (NORDOEL)
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Aurelio Schrey
Hanspeter Tiede

Ja, natürlich, das ist verfrüht, und ein Verbot ist auch unsinnig. Denn es ist nicht der Verbrennungsmotor, der schädlich für unsere Atmosphäre ist, sondern die darin verbrannten fossilen Treibstoffe. Es gibt hervorragende klimaneutrale synthetische Treibstoffe für Verbrennungsmotoren als Ergänzung zur Elektromobilität. Die ideologische Argumentation, diese synthetischen Treibstoffe seien „zu teuer“ und „zu wenig effizient“, blenden aus, dass die Technologie in den nächsten Jahren noch riesige Entwicklungsschritte machen wird und es Gegenden in der Welt gibt, in der die regenerative Energie im Überfluss vorhanden ist.

Nur als Beispiel: In der afrikanischen Wüste (Sonne) oder Kap Hoorn (Wind) ist Erneuerbare Energie in quasi unendlicher Menge vorhanden, und auch das CO2 gibt es überall auf der Welt in der Luft und kann herausgefiltert werden. Die Produktion von E-Fuels funktioniert schon heute tadellos, und mit der zukünftigen Technik wird der Liter E-Fuel kurzfristig unter zwei Euro und auf Sicht unter einem Euro kosten! Und jedes der derzeit 1,8 Milliarden Autos weltweit kann diesen Treibstoff klimaneutral mit dem vorhandenen Motor fahren, weil nur das CO2 genutzt wird, das zuvor dem E-Fuel beigefügt wurde.

Wir als LOTHER GRUPPE sind derzeit an mehreren Projekten zur Produktion von klimaneutralen Treibstoffen in Europa, in Südamerika und in Afrika aktiv beteiligt und sind auch in ein großartiges Forschungsprojekt involviert, bei dem sich die besten deutschen Ingenieure aus der Automobilwirtschaft, dem Anlagenbau und der wissenschaftlichen Forschung zusammengefunden haben, um den deutschen Wissensvorsprung bei E-Fuels weiter auszubauen. Die Weichen sind gestellt: E-Fuels werden kommen, auf jeden Fall für Flugzeuge und Schiffe – und bestimmt auch für Pkw.


KONTRA

2035 ist nicht zu früh.

Marco Schlüter (55), Chief Operations Officer Hermes Germany GmbH
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Hermes Germany
Marco Schlüter

Zu früh? Eine Änderung, die 2035 in Kraft tritt? Wohl kaum. Dem Weltklimarat zufolge ist dieses Jahrzehnt entscheidend für unsere Zukunft. Elfeinhalb Jahre sind daher eigentlich zu lang. Doch mit Blick auf die noch zu lösenden Herausforderungen, um die bereits eingeläutete Energiewende mit der Umstellung auf alternative Antriebe weiter voranzubringen, wirkt der Zeitraum wiederum sportlich. Wir dürfen nicht vergessen: Die EU-Verordnung betrifft erst einmal Pkw und leichte Nutzfahrzeuge – dies ist nur einer von vielen Bausteinen, um Emissionen zu reduzieren.

Um die Pariser Klimaschutzziele noch erreichen zu können, muss die Antriebswende im Verkehrssektor insgesamt ambitioniert vorangetrieben werden. Dafür braucht es innovative Konzepte und Ideen. Hier sind wir alle gefordert, privat wie beruflich. Als Paketdienstleister arbeiten wir bei Hermes Germany beispielsweise konsequent an der Elektrifizierung unserer Fahrzeugflotte, um die emissionsfreie Zustellung weiter voranzutreiben. In Hamburg wollen wir beispielsweise bis Ende des Jahres die gesamte Stadt ohne CO2-Ausstoß auf der letzten Meile mit E-Transportern und Cargobikes beliefern.

Aber auch die Politik ist bei dieser Mammutaufgabe gefordert: Mit dem Gesetz zum Verbrenner-Aus stellt die EU die Weichen in Richtung Elektromobilität, aber dafür braucht es hierzulande bis 2035 auch eine entsprechende Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Dabei muss bereits über den privaten Nutzungsbereich hinausgedacht werden: Wir bekommen bei Hermes Germany schon jetzt zu spüren, dass es an einer belastbaren öffentlichen Ladeinfrastruktur fehlt, die auch für die gewerbliche Nutzung zur Verfügung steht. Hierfür müssen wir derzeit selbst Lösungen finden. Die Herausforderungen sind groß, die Zeit jedoch drängt. Es ist mehr als fünf vor zwölf!


Nicolaus Otto, der „Vater“ des nach ihm benannten Verbrennungsmotors, war Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach einer frei verfügbaren, von Wasser, Wind und Leitungsverbindungen unabhängigen Energie, die flexibel eingesetzt werden konnte und den Menschen neue Bewegungsfreiheit gab. Er war fasziniert vom Gasmotor, den Étienne Lenoir kurz zuvor erfunden hatte, und erkannte, dass der Franzose auf dem richtigen Weg war. Allerdings war der Gasverbrauch zu hoch und der Gang zu stoßhaft. Nach vielen Experimenten mit einem kleinen Lenoir-Modell und diversen Änderungen brachte Otto schließlich das Viertaktverfahren – Ansaugen, Verdichten, Arbeiten, Ausschieben – zum Laufen. Der von ihm erfundene Benzinmotor erlangte durch Wilhelm Maybach und Gottlieb Daimler um 1885 die Serienreife. 

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