„Jugendliche erwarten mehr Sinnhaftigkeit“

Budni-Chef Cord Wöhlke kennt den Hamburger Ausbildungsmarkt wie kaum ein Zweiter. Sein Unternehmen gilt als Top-Adresse für Azubis – und hat trotzdem zunehmend Probleme, Lehrstellen zu besetzen. Im HW-Gespräch analysiert er die Lage.
Cord Wöhlke in einem Budni-Konferenzraum

Interview: Torsten Meise, 4. Februar 2022 (HW 1/2022) Fotos: Markus Abele

HW-Titel-Interview mit Cord Wöhlke (Budni)
Markus Abele
Cord Wöhlke auf dem HW-Titel 1/2022

Herr Wöhlke, vom Ausbildungsmarkt kommen derzeit diffuse Signale. Einige Branchen bilden immer weniger aus, andere finden keine Bewerber. Wie sieht es bei Budnikowsky aus? Haben Sie genug Auszubildende?

Cord Wöhlke: Ich war im vergangenen Jahr skeptisch, ob wir alle Ausbildungsplätze besetzen können. Die Nachfrage war zunächst eher gering. Erst zum August, September konnten wir alle 45 offenen Lehrstellen vergeben.

Würden Sie bestätigen, dass die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen generell nachlässt?

Ja, die Nachfrage ist geringer geworden. Die Märkte sind leer. Früher haben wir in Hamburg noch Bewerber aus den neuen Bundesländern und aus den Randgebieten bekommen. Diese erreichen wir nur noch selten. Was hinzukommt: Durch Corona fehlen besonders die Praktika von Schülern. Vielleicht sind sich viele Schulabgänger aber auch durch Corona generell nicht klar darüber, was sie machen und welchen Weg sie gehen wollen. Ich glaube, dass es da bei den Schülerinnen und Schülern durch Corona auch eine sehr starke Verunsicherung gibt.

Wie sehen Sie die Generation Z, die Sie derzeit ausbilden? Wie würden Sie sie charakterisieren?

Ich glaube, dass Jugendliche heute mit einer anderen Vorstellung in den Beruf gehen. Auch bei den Auszubildenden ist die Work-Life-Balance ein Thema. Es ist für mich manchmal schwer nachzuvollziehen, dass manche, die jetzt ihre Lehre beendet haben, sagen: Ich will keine Vollzeitstelle, sondern erst einmal nur 30 Stunden in der Woche arbeiten. Die Jugendlichen erwarten mehr denn je Sinnhaftigkeit in der Aufgabenstellung, wie auch eine besondere Wertschätzung. Wir haben es ja mit einer Generation zu tun, die in der Erziehung sehr viel Aufmerksamkeit bekommt, und diese Aufmerksamkeit erwartet sie dann auch im Beruf. Führung im Betrieb muss deshalb nicht nur fachlich ausgerichtet sein, sondern mehr denn je wird menschliches Verhalten eingefordert. Die Generation hat aufgrund der Demografie viele Möglichkeiten, sich den richtigen Arbeitgeber auszusuchen.

Mehr denn je wird menschliches Verhalten eingefordert.

„Purpose“ ist ein Modewort in der Arbeitswelt. Wie wichtig ist es, sich als Arbeitgeber hier zu positionieren?

Ich bin stolz darauf, dass Budnikowsky zu den besten Arbeitgebern in Hamburg gehört und bei den Rankings immer wieder an der Spitze steht. Sowohl Kunden als auch Mitarbeiter gucken sich heute viel stärker an: Was macht das Unternehmen? Wie stellt es sich in sozialen und gesellschaftlichen Fragen auf? Bringt meine Arbeit hier auch einen Mehrwert? Insofern spielt „Purpose“, also das Verrichten einer sinnvollen Tätigkeit, eine große Rolle. Und wir sehen ja auch, dass unsere Mitarbeiter im Bereich der Budnianerhilfe sehr engagiert sind.

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Markus Abele
Seit 1979 ist Cord Wöhlke Geschäftsführer der Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG, die er heute in dritter Generation mit seinen Kindern Julia und Christoph Wöhlke leitet.

Ist diese Positionierung von Budnikowsky eine bewusste Unternehmensstrategie?

Ja, das ist ein klares Ziel und für uns von großer Bedeutung. Es gibt den Kundenmonitor, der ist wichtig, aber eben auch die Frage: Wie stehen wir als Arbeitgeber da? Ich möchte da an der Spitze sein. Wie wichtig das ist, haben wir früh erkannt, und das erspart ja auch Rekrutierungskosten. Eine gute Unternehmenskultur braucht einen langen Atem. Menschen spüren, ob wir diese Kultur mit Leidenschaft leben und mit dem Herzen dahinterstehen. Für die Zukunft von Budnikowsky ist die Kultur genauso wichtig wie die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse. Das ist zwar ein Spannungsfeld, aber langfristig zahlt sich eine funk¬tionierende Unternehmenskultur aus. Bereits der Gründer hatte den sozialen Anspruch, Menschenmit geringem Einkommen zu Hygieneartikeln zu verhelfen. Meine Mutter stand besonders für die Wertschätzung von Mitarbeitern. Der Kunde, der Mitarbeiter und die gesellschaftliche Verantwortung stehen auch im Mittelpunkt meiner Arbeit.

Wir reden sehr viel darüber, was Auszubildende von Unternehmen erwarten. Was erwarten Sie denn von den Auszubildenden?

Ich appelliere an alle Unternehmen, auszubilden. Aber Voraussetzung dafür ist, dass Schulen auch Ausbildungsfähigkeit schaffen. Da muss mehr passieren. Jedes zweite Kind, das in Hamburg geboren wird, hat einen Migrationshintergrund. Ich glaube, wir haben uns auf diese gesellschaftliche Situation immer noch nicht ausreichend eingestellt. Wir müssen Kinder von der Kita an fördern, damit sie den heutigen Anforderungen gewachsen sind. Man sollte beispielsweise überlegen, eine Vorschulpflicht einzuführen.

Wir werden in Zukunft eine qualifizierte Zuwanderung benötigen.

Welche Rolle spielen denn Zugewanderte in Ihrem Unternehmen und bei den Auszubildenden?

Ich schätze, heute haben bestimmt 50 Prozent unserer Mitarbeiter einen Migrationshintergrund. Wir sehen das als Bereicherung, aber wir tun auch eine Menge für die Integration. Und wir werden in Zukunft eine qualifizierte Zuwanderung benötigen. Dafür fehlen zum Teil noch immer die Rahmenbedingungen.

Sind Sie unzufrieden mit dem Leistungsniveau der Schüler, die sich heute bei Ihnen bewerben?

Wenn wir über das Thema Fachkräfte sprechen, müssen wir auch überlegen, warum immer noch viele Kinder auf dem Weg zu einer qualifizierten Ausbildung verloren gehen und ihre Potenziale und Talente nicht genutzt werden.

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Markus Abele
Cord Wöhlke vor der Budni-Zentrale in Wandsbek

Was erwarten Sie von den Schulen?

Die Schulen müssen Grundkenntnisse vermitteln, besonders Sprachkompetenz, Mathematik und digitale Anwendungen. Wichtig finde ich, dass wir die Kinder früh mit Informatik konfrontieren. Wenn man sich die Digitalisierung anschaut und welche Fähigkeiten in den nächsten Jahren am Arbeitsmarkt gebraucht werden, dann muss da viel mehr passieren. Ich plädiere auch dafür, dass die Fächer Wirtschaft und Informatik an den Schulen gelehrt werden.

Das duale Ausbildungssystem in Deutschland wird seit Jahrzehnten als vorbildlich gelobt. Sehen Sie Potenzial für Weiterentwicklung?

In Hamburg machen ja etwa 50 Prozent der Jugendlichen Abitur. Und damit verbinden viele den Anspruch, ein Studium zu beginnen. Dadurch wird die duale Ausbildung aber zum Teil entwertet. Hinzu kommen Angebote wie das duale Studium, was ich auch als sehr gut empfinde, weil es praxisorientiert ist. Aber dadurch fehlen Schüler für die duale Ausbildung. Auch mit dieser muss es mehr entsprechende Aufstiegsmöglicheiten geben.

Spielt die Weiterbildung da eine Rolle?

Ja, unbedingt, und wir sind da sehr engagiert. Durch Corona ist das leider schwieriger geworden. Vieles geht nicht allein digital, sondern benötigt Austausch und Präsenz. Wenn ich in Weiterbildung investiere, sage ich, du bist mir wichtig, ich möchte, dass du dich mit dem Unternehmen weiterentwickelst und für die kommenden Ansprüche gerüstet bist.

Wie schwierig ist es, die Fachkräfte nach der Ausbildung zu halten?

Wir versuchen, allen Auszubildenden ein Angebot zu machen, und führen schon früh Gespräche für eine Übernahme. Im Unternehmen bleiben in der Regel dann 70 oder 80 Prozent. Ungefähr zehn Prozent verlieren wir schon während der Ausbildung. Aber damit muss man eben rechnen und entsprechend mehr Ausbildungsplätze anbieten.

Wie beurteilen Sie den Standort Hamburg für die Attraktivität Ihres Unternehmens?

Hamburg wird ja im Radio immer wieder als die schönste Stadt der Welt angepriesen. Mit schönen Bildern allein lässt sich Wertschöpfung aber nicht gestalten. Ich finde es gut, wie wir jetzt von der Handelskammer aus die Probleme der Stadt klar benennen: Hamburg 2040, wie wollen wir leben – und wovon? Dieses Projekt unterstütze ich voll. Ich finde es auch sehr gut, dass man versucht, die Gesellschaft insgesamt mitzunehmen, nicht nur die Unternehmer. So können wir mehr Kraft entwickeln und alle Bürgerinnen und Bürger bei diesem Veränderungsprozess einbinden. Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit der Handelskammer.

Hamburg muss sich neu aufstellen. Es kann nicht alles so weitergehen wie bisher.

Aber von der Politik würden Sie sich ein bisschen mehr Power wünschen?

Ja klar. Wir müssen uns neu aufstellen. Es kann nicht alles so weitergehen wie bisher. Da gibt es ja fünf Handlungsfelder: die norddeutsche Zusammenarbeit, der Fachkräftemangel, der Klimaschutz, der Hafen sowie die Stadtentwicklung. Die Innenstadt steht vor einem Transformationsprozess. Viel mehr Kultur oder etwas Ähnliches wie die Rambla in Barcelona oder eine Markthalle. Die Ludwig-Erhard-Straße müsste übertunnelt und die Innenstadt durch viele Wohnungen wiederbelebt werden!

Sehen Sie diese Schwäche – mit Blick auf den Fachkräftemangel – langfristig als Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Hamburg?

Ich sehe generell eine Gefahr für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Einerseits wird die Digitalisierung und Automatisierung weiter zunehmen, andererseits sind unsere Sozialsysteme noch gar nicht auf die rückläufige Entwicklung bei den Arbeitskräften eingestellt. Der Fachkräftemangel wird zunehmen, und welche Antwort finden wir darauf? Das ist ein zentrales Thema von „Hamburg 2040“. Wir stehen in Hamburg auch vor einer Transformation, wir müssen mehr in Forschung und Entwicklung investieren.

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Markus Abele
HW-Autor Torsten Meise (li.) im Gespräch mit Cord Wöhlke

Es gibt eine OECD-Studie, die ganz eindeutig besagt, dass Hamburg einen zu hohen Anteil an niedrig qualifizierten Arbeitsplätzen hat. Und zwar viel zu hoch gegenüber München oder anderen vergleichbaren Städten. Das lässt sich bis zu einem gewissen Grad durch Tourismus, Logistik und andere Branchenschwerpunkte in der Stadt erklären. Aber wir brauchen natürlich mehr hoch qualifizierteArbeitsplätze. Damit verbunden ist Exzellenz von der Kita über die Schulen, Hochschulen und Universitäten. Besonders brauchen wir exzellente Informatikstudiengänge, und vor allem muss das Thema MINT gelöst werden. Nur mit exzellenten Bildungseinrichtungen werden wir im Wettbewerb um Fachkräfte und Talente gegenüber anderen Regionen bestehen können.

Und wie geht es weiter mit Budnikowsky? Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?

Das wird eine Mischung aus Expansion und Konsolidierung. Wir haben ja im Hamburger Raum sehr viele Standorte, da werden nur noch wenige hinzukommen. Hier konzen-trieren wir uns auf die Verbesserung der einzelnen Geschäfte. Im Hamburger Raum dominiert die Konsolidierung. In Berlin wollen wir hingegen expandieren und noch etwas aktiver werden. Aber auch dort sagen wir: lieber Qualität statt Quantität. Gleichzeitig müssen wir im Blick haben, wie sich der Onlinebereich in unserem Sortimentsbereich weiterentwickelt.

CORD WÖHLKE

ist seit 1979 Geschäftsführer der Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG (BUDNI), die er heute in dritter Generation mit seinen Kindern Julia und Christoph Wöhlke leitet. Als Mitglied des Plenums der Handelskammer und vieler anderer Institutionen engagiert sich der 72-Jährige für Integration und Bildung. Dafür wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

BUDNI entstand 1912, als Iwan Budnikowsky in Harburg ein Bandagisten-Gewerbe anmeldete. Ab 1921 vertrieb er Seifenprodukte, 1924 kam eine zweite Filiale hinzu. Heute hat die Kette über 190 Zweigstellen und bildet jährlich über 40 junge Menschen aus. BUDNI gilt als einer der beliebtesten Ausbildungsbetriebe, auch aufgrund zahlreicher Weiterbildungsangebote und weiterer Unterstützung.

www.budni.de/karriere/ausbildung

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