

Braucht Hamburg einen gut entlohnten Musikdirektor, acht Ratsmusiker und subventionierte Kirchenkonzerte? Nein, meinte im Frühjahr 1789 das Bürgergremium „Collegium der Sechziger“: Die 132 jährlichen Kirchenmusiken seien komplett abzuschaffen – vor allem wegen der „Erspahrungen, die die Kammer und die Kirchen dabeÿ gewinnen“.
Die meisten Kirchgänger zögen „den Gesang eines erbaulichen Kirchenliedes der schönsten Music vor, und diese meisten der Liebhabereÿ einiger wenigen aufzuopfern, scheint hart zu sein“.
Dabei ging es eigentlich um Peanuts: 1788 hatte die Kämmerei maximal 2920 Hamburger Courantmark für die Kirchenmusik aufgewendet, davon 1600 für den kürzlich verstorbenen Musikdirektor – einen Bruchteil der städtischen Einnahmen von rund 3,48 Millionen Mark im Rechnungsjahr (Überschuss: 638 372 Mark).
Allein die Hauptkirche Sankt Katharinen erwirtschaftete 1787/88 bei 47 210 Mark Einnahmen 6211 Mark Überschuss. Doch in den Augen der Hamburger Bürgervertreter war Kirchenmusik inzwischen irrelevant und von schlechter Qualität – ganz anders als zu den Zeiten, als sie das Musikleben dominierte und das Ansehen der Stadt mehrte.
Diese Rolle hatte Musikdirektor Thomas Selle im Jahr 1648 deutlich benannt: So „hinläßig, liederlich vnd verächtlich“ wie in anderen Städten dürfe man im „weitberümbten“ Hamburg nicht musizieren, erklärte er. Musik – und damit meinte er die Kirchenmusik – müsse vielmehr die Republik schmücken, schließlich hielten sich hier „viel frömbde Nationen“ auf.
Wirtschaftsmotor Laut einer wissenschaftlichen Studie von Oktober 2023 leistete die Musikwirtschaft in der Region Hamburg im Jahr 2019 einen Gesamtbeitrag zur Wertschöpfung von einer Milliarde Euro, generierte fast 600 Millionen Euro Steuereinnahmen und regte 914 Millionen Euro Tourismusausgaben an. Die Bedeutung klassischer Musik wurde nicht separat erfasst.
Vorreiter für Musikvermarktung
Man wollte also schon damals „den hie ankommenden Außlendischen“ eine „herrliche und wolbestalte Musik“ bieten und den Ruhm des Stadtstaats steigern, stellte Mittel zur Verfügung und bemühte sich, Berühmtheiten anzulocken. Mit Georg Philipp Telemann, Musikdirektor von 1721 bis 1767, und seinem Nachfolger Carl Philipp Emanuel Bach (bis 1788) konnte die Stadt im 18. Jahrhundert dann gleich zwei musikalische Schwergewichte für sich gewinnen. Beide waren als Aushängeschild für die Metropole ebenso geeignet wie heute Udo Lindenberg oder Jan Delay.
Doch während die Produktion von Kantaten, Passionen und Oratorien nur so sprudelte, entwickelte sich Hamburg auch zum Vorreiter für ein kommerzielles Konzert- und Musikwesen. Als erstes wirtschaftlich organisiertes, öffentliches Opernhaus in deutschen Landen (und europaweit zweites nach Venedig) war bereits am 2. Januar 1678 die Oper am Gänsemarkt eröffnet worden, unter anderem dank der Initiative des Anwalts und Ratsherrn Gerard Schott. Dieser brachte vermutlich den Großteil der Baukosten von etwa 20 000 Reichstalern auf: ein frühes Beispiel für die in Hamburg charakteristische private Musikförderung.

Den Posten des Operndirektors übernahm Telemann dann 1722 gleich mit – und besserte seine ohnehin üppige Besoldung durch zusätzliche unternehmerische Aktivitäten auf. So veröffentlichte er viele seiner Werke im Selbstverlag und steuerte seine Druckauflagen mit einem Subskriptionsmodell.
Zuwendungen Theater, Konzertsäle, Museen und Kunstorte gehören ebenso zur städtischen Infrastruktur wie Schulen oder Straßen und werden daher gefördert. Zu den größten Posten im Haushaltsjahr 2025/26 gehören die Staatsoper (82 Millionen Euro Zuschüsse aus dem städtischen Haushalt), das Thalia Theater (32,65 Millionen Euro), das Schauspielhaus (36,2 Millionen Euro) und die Kampnagelfabrik (9,8 Millionen Euro). Laeiszhalle und Elbphilharmonie erhalten zusammen 6 Millionen Euro, der Landesbetrieb Philharmonisches Staatsorchester 4,3 Millionen Euro. Der mit jährlich 600 000 Euro dotierte Musikstadtfonds fördert genreübergreifend ausgewählte Projekte wie das Jazzkombinat, die MS Stubnitz oder das Elbipolis Barockorchester.
Auch dank Telemanns Initiative fanden nun immer mehr Konzerte in Hamburg gegen Geld statt. Meist im „Drillhaus“ an der Alster, das sonst zum Exerzieren der Bürgerwache diente, aber auch im „Baumhaus“, einer Gaststätte am Baumwall – und ab 1761 im neuen „Konzertsaal auf dem Kamp“, dem ersten reinen Musiksaal.
Der „Hamburgische Correspondent“ übernahm das Marketing: Durch die Ankündigung der „mit hoher obrigkeitlicher Erlaubniß“ am Valentinskamp stattfindenden Konzerte half er, dafür „eine hinlängliche Anzahl von Subscribenten“ oder Billetkäufern zu finden.
Bürgerliches Engagement
1789 wurde als Nachfolger Carl Philipp Emanuel Bachs noch einmal ein städtisch besoldeter Musikdirektor angestellt. Doch Orchester und Musiker mussten sich fortan mit Konzerten, Unterricht, Stipendien oder Spenden über Wasser halten.
Private Initiative war gefragt: Ein „Actienverein für den Bau eines neuen Theaters“ errichtete bis 1827 das neue „Stadt-Theater“ in der Dammthorstraße (wie sie sich damals schrieb), das von einem Humoristen als „solide wie ein Beefsteak“ und „Fabrikgebäude“ belächelt wurde. Das Haus musste sich mit Opern und Theaterstücken, aber auch Magie-Vorführungen auf dem Markt behaupten – und stand mehrfach kurz vor der Pleite, bis 1873 eine städtische Förderung durchgesetzt wurde.

Privaten Mitteln und Initiativen verdanken sich auch die Kunsthalle (1868) und die 1908 eingeweihte Laeiszhalle, deren Baukosten über ein testamentarisches Vermächtnis des Reeders Carl Heinrich Laeisz und seine Witwe finanziert wurden. Und die neue Staatsoper von 1955, die am Ort des zerbombten Stadt-Theaters entstand, wurde wesentlich durch Bürgerspenden und den Mäzen Alfred Töpfer ermöglicht.
Immerhin stellte die Stadt für die Kunst- und die Musikhalle kostenlos Baugrund zur Verfügung. Das aktuell geplante neue Opernhaus, für das der Unternehmer Klaus Michael Kühne 300 Millionen Euro und die Stadt das Grundstück beisteuern will, knüpft also an eine lange Tradition an – ebenso wie die Frage der Subventionen: Ist es gerechtfertigt, die Staatsoper jährlich mit allein rund 80 Millionen Euro zu bezuschussen, also die „Liebhabereÿ einiger wenigen“ zu fördern?
Wirtschaftsfaktor Klassik
Sicher ist jedenfalls: Die historische Musik, die heute als „klassisch“ bezeichnet wird, trägt massiv zur „lebenswerten Metropole“ Hamburg, zum Image der Stadt und ihrer Wertschöpfung bei. Neben Orchestern gehören schließlich auch Instrumentenbauer und -händler, Konzert- und Marketingagenturen, Textschmieden oder auch Plattenfirmen zur Branche.
Seit 1880 produziert etwa Steinway & Sons Klaviere und Flügel für den Weltmarkt außer in New York auch in Hamburg. Nach dem ersten Patent 1857 hat die Firma fast 140 weitere Patente angemeldet – und seit Neuestem einen Flügel im Angebot, der dank KI autonom spielen kann.
Komponistenquartier Sechs Vereine unter einem Dach: Im „Komponistenquartier“, das sich im Wesentlichen über Spenden und die Carl Töpfer Stiftung finanziert, werden Ausstellungen und Informationen zu Musikschaffenden, die in Hamburg aktiv waren, präsentiert – etwa Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach oder Johannes Brahms.
In Hamburg ansässig ist auch die Rudolf von Beckerath Orgelbau GmbH, die seit 1949 Hunderte Kirchenorgeln in aufwendiger Handarbeit errichtet hat – davon rund 220 in Deutschland, über 60 in den USA und weitere in Ländern wie Japan oder Südkorea.
Und längst nicht alle klassischen Orchester werden bezuschusst. Rein privatwirtschaftlich finanziert ist etwa die 2003 gegründete Neue Philharmonie Hamburg. „Wir setzen auf ein festes, gut eingespieltes Kammerorchester und ein wechselndes symphonisches Ensemble aus freien Musikern“, erklärt Geschäftsführer und musikalischer Leiter Tigran Mikaelyan. Der 56-jährige armenische Geiger, der 1995 aus Russland nach Hamburg kam, verdiente sein Geld hier zunächst mit Straßenmusik – und ist inzwischen als Konzertmanager erfolgreich.
„In unserem Orchester spielen Ukrainer und Russen, Palästinenser und Juden – insgesamt Musiker aus 20 Nationen: Musik ist eine übergreifende Sprache, und unser Erfolg gibt uns recht“, sagt Mikaelyan, der in vielen Aufführungen auch als Konzertmeister am Pult sitzt. „Häufig spielen wir Altbewährtes wie Beethovens neunte Symphonie. Hinzu kommen zahlreiche Tourneen – im Oktober etwa nach Vietnam und China.“
Klassische Musik bereichert unsere Stadt, und es gilt, dieses Erbe zu bewahren. Dabei sollten auch die „Hamburger“ Komponisten gebührende Anerkennung finden, die das hiesige Musikleben jahrzehntelang geprägt haben.
CPEB-Akademie Carl Philipp Emanuel Bach (CPEB) war zu seiner Zeit bekannter als sein Vater Johann Sebastian – und hat das Musikschaffen der Stadt von 1767 bis 1788 maßgeblich geprägt. 2023 wurde eine Akademie mit seinem Namen gegründet. Sie organisiert Konzerteinführungen und Gesprächskonzerte, Vorträge, ein jährliches CPEB-Fest und Bildungsprogramme – und will eine Plattform für wissenschaftliche Arbeiten zu den Bach-Söhnen zur Verfügung stellen.
