Mikrodepots und Lastenrad-Riesen für die „letzte Meile“

Wie lassen sich Waren umweltfreundlich bis zur Haustür bringen? Für den Transport auf der „letzten Meile“ gibt es in Hamburg schon zahlreiche Optionen – und ein EU-gefördertes Modellprojekt.
Anna Mutter
Zustellung per E-Lastenrad: Das Modellprojekt Quartiers-Hub Altona sorgt für nachhaltige Beförderung von Waren vor Ort.

Von Jan Freitag, 8. Juni 2023 (HW 3/2023)

Bis unter das Dach ist der E-Sprinter vor dem Quartiers-Hub Altona mit Paketen vollgepackt. Depotmanager Haluk Alay hat alle Hände voll zu tun: Er lädt Kleidung und Möbel, Mikrowellen und Spielzeug, einen Teppich, zwei Koffer, drei Flatscreens, vier Dutzend Softpacks und ebenso viele Retouren jeder Größe aus dem Kleintransporter aus und verteilt sie auf E-Lastenfahrräder. „Das Übliche.“ Er lächelt. „Jeden Tag!“

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Anna Mutter
Auch mit E-Lastenrädern ist Muskelkraft gefragt, doch die Kabine schützt vor Wind und Wetter.

Und jeden Tag lichtet sich der Schwung Güter, den Alays Kuriere in St. Pauli und Altona-Altstadt verteilen, fast ebenso zügig, wie er geladen wurde. Was auf den ersten Blick wie ein heilloses Durcheinander aussieht, ist nämlich Teil eines gezielt eingerichteten, umwelt- und umgebungsfreundlichen Logistikmodells für die „letzte Meile“.

Das Modellprojekt, das die EU mit dem Innovationsprojekt MOVE21 fördert, beruht auf der Idee des „Mikrodepots“. Statt Güter mit großen Lkw auszuliefern, werden sie zu lokalen Zwischenlagern verfrachtet – und von dort mit E-Kleinfahrzeugen weiterverteilt. Im Quartiers-Hub Altona, das die Deutsche Bahn mit Unterstützung des Bezirksamtes Altona betreibt, sind dabei gleich mehrere Unternehmen an Bord. Seit Februar teilt sich der Versandhändler Hermes die Fläche mit der Konkurrenz von GLS und CityLog sowie zwei Stadtteilinitiativen samt Sozial- und Beratungskiosk.

Transport per 500-kg-Lastenrad

Moderne, nachhaltige Mobilität in einer lebenswerten Metropole – diese Herausforderung gilt es heute zu bewältigen. Denn der innerstädtische Waren- und Personenverkehr gerät zunehmend an seine Grenzen. Trotz Parkplatznot, Stoßzeitstillstand, hoher Spritpreise und Klimawandel, trotz engen ÖPNV-Netzes und 3100 Miet-Fahrrädern von StadtRAD meldete Hamburg für 2022 ein Allzeithoch von 813 847 Pkw. 48,5 Millionen waren es in ganz Deutschland. Und das in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen eine Warenlieferung direkt an die Haustür wünschen – und Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) die überfüllten Straßen häufig noch weiter verstopfen und das Klima mit CO2-Emissionen belasten.

Zumindest, wenn sie mit großen, fossil betriebenen Fahrzeugen unterwegs sind – und nicht mit E-Lastenrädern wie CityLog, ein Kooperationspartner des Quartiers-Hubs, der inzwischen in zehn Städten präsent ist. Weil Parkplatznot und Tempolimits den Kfz-Verkehr bremsen, werden die E-Bikes, die etwa Handwerksbetriebe beliefern, „von den Leuten in St. Pauli und Altona geradezu gefeiert“, berichtet CityLog-Geschäftsführer Selim Ben Aissa.

Letzte Meile

In der Transport- und Logistikbranche bezeichnet der Begriff „letzte Meile“ den finalen Teil eines Transportes, häufig die Haustür der Kundschaft. Ziel ist es, die Ware schnell, sicher und mit möglichst geringem Aufwand auszuliefern.

Dabei stehen auch für schwerere Waren über 200 Kilo immer mehr umweltfreundliche Alternativen zur Verfügung – nicht nur E-Lkws, sondern auch Lastenräder. Etwa die des Radlogistikers Tricargo oder das mit knapp sieben Metern weltweit längste Lastenrad der Altonaer Logistikfirma Cargo Cycle. Es fasst bis zu einer halben Tonne (4000 Liter) Fracht, eine Akku-Ladung reicht bis zu 50 Kilometer weit. Bei globalen Logistikunternehmen wie DB Schenker und DACHSER und der Fischmanufaktur Deutsche See ist es bereits im Einsatz.

„CO2-freier Transport, Unterstützung der Klimaziele, Förderung städtischer Nachhaltigkeitsimages, Reduzierung des Straßenverkehrs“: Laut Friederike Claus, Firmensprecherin von Cargo Cycle, ist der „Megaliner“ eine Transportalternative für jede Stadt, „die eine zukunftsfähige, wirtschaftliche Entwicklung fördernde, bezahlbare Infrastruktur für alle bereithält“. Und da man für Lastenräder keinen Führerschein braucht, ergänzt Miguel Jürgens, Hermes-Teamleiter „Last Mile“ im Quartiers-Hub, „erleichtert es die Suche nach Fahrern enorm“.

Neue Parkräume mit Freizeitwert

Denn auf der letzten Meile ist vieles knapp: Personal, Platz, Parkraum – nicht aber das Bedürfnis nach stressfreier Mobilität. Welche Rolle etwa Lieferroboter und KEP-Drohnen in Zukunft für den Transport spielen könnten, bleibt vorerst offen. Doch schon jetzt werden Quartiere ganzheitlich gedacht, etwa als Gemeinschaftsareale wie im Stadtentwicklungsobjekt Oberbillwerder.

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Der Quartiers-Hub Altona dient als Basisstation für die emissionsfreie Paketzustellung per Lastenrad innerhalb des Stadtgebietes. Hier gezeigt am Beispiel des Subunternehmers Bilal Karaguen, der mehrere Lastenräder unterhält und damit seinen Kunden Hermes bedient.

In dem geplanten „105. Stadtteil“ bei Neuallermöhe sollen 2027 bis zu 13 Mobility Hubs entstehen – die Parkhäuser der Zukunft, so Oberbaudirektor Franz-Josef Höing bei der Vorstellung Anfang Februar. In diesen „lebendigen Quartierzentren und Nachbarschaftstreffs“ sollen die Erdgeschosse einen Mix aus Arbeit, Leben und Freizeit bis hin zum Café mit Flexdesk bieten – und die Parkmöglichkeiten sich nicht auf Autos beschränken.

Ähnlich wie im Gänsemarktparkhaus, wo Pkw-Stellplätze für E-Scooter und -Bikes geräumt wurden. Das – am besten elektrische und geteilte – Auto bleibe zwar Teil unserer Realität, sagte Bergedorfs Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann bei der Entwurfspräsentation. Oberbillwerder aber erleichtere das „Umsteigen zwischen verschiedenen Mobilitätsformen“, die sich am Bedürfnis der Menschen orientieren, nicht umgekehrt.

MOVE21

Das im Mai 2021 gestartete EU-Innovationsprojekt MOVE21 unterstützt Städte in Europa dabei, durch innovative integrierte Lösungen in den Bereichen Logistik und Mobilität klimaneutral zu werden. Es ist mit insgesamt neun Millionen Euro dotiert; nach Oslo als Projektkoordinator erhält Hamburg den zweitgrößten Betrag (855 500 Euro).

Letztlich geht es auch darum, wem welcher Raum auf den Straßen und Plätzen der Stadt zur Verfügung steht. Katharina Manderscheid, Professorin für Sozialökonomie an der Universität Hamburg, spricht in diesem Zusammenhang von „Geografien des Alltags“ und fragt, „wie die Nutzung des öffentlichen Raums, der aktuell überwiegend von parkenden oder fahrenden Autos besetzt ist, so aufgeteilt werden kann, dass mehr soziale Gruppen Platz finden“.

Antworten findet sie an vielen Orten. In Ottensen etwa, wo das Projekt freiRaum autoarme Zonen erprobt. Womöglich bald auch in Sülldorf und Rissen, wohin der Bezirk Altona seine Logistikkonzepte erweitern will. Auf der HVV-App switch, die Bus & Bahn mit Moia-Taxen und TIER-Rollern vernetzt. Oder im Quartiers-Hub Altona, wo Haluk Alays Fahrer gerade vollbepackt starten, als die von CityLog zurückkehren. „So fix“, meint der tätowierte Kurier fröhlich, „wären wir im Auto nie gewesen.“

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