
Wenn es um besondere Produkte geht, schmücken sich etliche Städte gern mit dem Titel „Hauptstadt“. Solingen ist die Hauptstadt der Messer, Meißen die des Porzellans, Parma ist berühmt als Schinken-Kapitale. Und Hamburg? Die Hansestadt ist nicht nur Hafen- und Handelsmetropole, sondern wird auch als Medienhauptstadt gesehen – ein wohlklingender Titel, der weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlt. So hell, dass er selbst den James-Bond-Machern einst in die Augen fiel.

Als 007 die Welt 1997 vor einem bösen Verleger retten musste, begann er seine Jagd fast folgerichtig an Alster und Elbe. Die Story eines Medienmoguls, der für Profite den Dritten Weltkrieg anzetteln würde, war zwar an Pierce Brosnans Haaren herbeigezogen. Aber dass den Filmemachern bei der Suche nach einem Redaktionsstandort in Deutschland Hamburg einfiel, lag an rund 50 Jahren Nachkriegs-Pressegeschichte.
Wobei: Als Pressestadt hatte sich Hamburg schon im 18. Jahrhundert etabliert, nachdem der Schiffbeker Verlag von Hermann Heinrich Holle 1731 erstmals die „Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“ (oder kurz „Hamburgischer Correspondent“) in der Hansestadt herausbrachte.
Das Blatt entwickelte sich zu Hamburgs erster Tageszeitung, war im ganzen Jahrhundert die auflagenstärkste Zeitung im Norden Deutschlands und um 1800 die größte Zeitung Europas, als eine Art Leitmedium mit einem internationalen Korrespondentennetz. Bereits zuvor hatten bekannte Autoren wie Lessing oder Matthias Claudius dafür geschrieben.
Von liberalem Geist und renimmierten Autoren geprägt war auch der Verlag, den der schlesische Buchhändler Benjamin Hoffmann 1781 in Hamburg gründete und der 1810, während der französischen Besatzung, mit dem seines Schwiegersohns August Campe verschmolz. Ab 1827 veröffentlichte etwa der engagierte Journalist und Dichter Heinrich Heine seine Werke bei Hoffmann und Campe.
Nachlesen Die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek hat zahlreiche historische Zeitungstitel digitalisiert – die eigenen Bestände des „Hamburgischen Correspondenten“ ebenso wie die der großen Zeitungen des 19. Jahrhunderts. Die Titel finden Sie hier. Die Commerzbibliothek hält ebenso viele historische Zeitungen zur Ansicht bereit.
Statt Hofberichterstattung betrieb der Stadtstaat Hamburg informationelle Grundversorgung. 1796 gründete Friedrich Christoph Perthes hier eine der ersten Sortimentsbuchhandlungen in deutschen Landen. Und das Pressewesen, das in Hamburg und Altona bereits Ende des 18. Jahrhunderts aufblühte, wuchs im 19. Jahrhundert rasant weiter – mit Massenblättern wie den „Hamburger Nachrichten“, dem „Hamburger Fremdenblatt“ oder auch dem „Hamburg-Altonaer Volksblatt“ und der „Börsen-Halle“.
In der Weimarer Republik konzentriert sich das Zeitungs- und Verlagswesen auf Berlin – und ab 1933 werden im ganzen Land Zeitungen und Verlage „gleichgeschaltet“ oder verschwinden. Doch ab 1945 entwickelt sich Hamburg zum Standort, der die bundesrepublikanische Publizistik jahrzehntelang dominiert.
Den Grundstein legen dabei nicht gedruckte, sondern gesendete Medien: 23 Stunden nach der Kapitulation der Hansestadt geht „Radio Hamburg“ im Funkhaus des vormaligen „Reichssenders Hamburg“ an der Rothenbaumchaussee auf Sendung – als erster Nachkriegssender.
Im September 1945 entsteht daraus der NWDR, die Keimzelle des föderalen Rundfunksystems. Fünf Jahre später macht der Sender auf Initiative des BBC-Reporters Hugh Greene erste Fernsehversuche im Hochbunker Heiligengeistfeld, Weihnachten 1952 schreibt er dann mit der „Tagesschau“ Geschichte.
Die überregionale Presse der Stadt gewann immer mehr Einfluss auf die im Aufbruch befindliche Gesellschaft.
Dr. Dirk Reder
Schon bald sind es aber vor allem Zeitungsverleger, die der Stadt ihren journalistischen Stempel aufdrücken. Nach Kriegsende bauen Gerd Bucerius und Henri Nannen, Rudolf Augstein und Heinrich Bauer, Axel Cäsar Springer und Kurt Ganske, Richard Gruner und John Jahr reichweitenstarke Printmarken in Hamburg auf oder siedeln sie hier an. „Die überregionale Presse der Stadt gewann immer mehr Einfluss auf die im Aufbruch befindliche Gesellschaft“, schreibt Dr. Dirk Reder 2015 im Jubiläumsband „Wir handeln für Hamburg“ zum 350. Geburtstag der Handelskammer.
Magazine wie der „Stern“, Zeitungen wie die „ZEIT“, Illustrierte wie „Brigitte“, Programmhefte wie „Hörzu“ und – nicht zu vergessen – der „SPIEGEL“ definieren lange Jahre die herrschenden Diskurse der Republik. Ein Geschäft, das Milliarden produziert, aber dem Gemeinwohl dient und 1986 nochmals Fahrt aufnimmt.
Nachdem der Jahreszeiten Verlag mit „Tempo“ den US-amerikanischen „New Journalism“ importiert, revolutioniert das Infotainment der neuen Verlagsgruppe Milchstraße die Neunziger – mit Blättern von „TV Spielfilm“ über „Fit for Fun“ bis „Amica“.

Im TV-Bereich allerdings hat Hamburg Ende der 1980er bereits den Anschluss verpasst: Nach der Zulassung von Privat-TV siedeln sich die neuen Sender wie RTL, Sat.1 oder ProSieben nicht in der Hansestadt, sondern in Köln, Mainz oder Unterföhring an. Da hilft es auch nicht, dass die städtische Filmförderung in Hamburg ab 1991 massiv in TV-Formate investiert.
Ab den 2000er-Jahren geht dann auch die Bedeutung der gedruckten Presse in der Hansestadt zurück, insbesondere der Tagespresse. Im Zuge der wachsenden Verbreitung von Gratismedien im Internet sinken die Auflagen; etliche Verleger beschließen zudem, näher an die Hauptstadt zu rücken. „BILD“ und „BILD AM SONNTAG“ gehen bereits 2008 nach Berlin, weitere Axel-Springer-Blätter folgen in den 2010ern oder werden verkauft.

Auch der „ZEIT“-Verlag verlegt zentrale Ressorts in die Hauptstadt. G+J bleibt zwar in Hamburg, geht 2021 jedoch in der Kölner RTL Group auf und stellt ab 2023 zahlreiche Zeitschriften ein oder veräußert sie. Und im April 2024 wechselt die „Hamburger Morgenpost“ zu einem reinen Online-Angebot plus Print-Wochenendausgabe.
MOPO-Geschäftsführer Arist von Harpe nennt den „Aufstieg des wiedervereinten Berlins und seiner Verheißungen“ als wichtigen Grund für den Abstieg seines „phasenweise selbstgefällig gewordenen“ Standorts. Diesen sieht auch Lars Haider „geschwächt“. Von Irrelevanz will der „Abendblatt“-Chef aber nichts hören – und nennt neben gewichtigen Leitmedien von „ARD-aktuell“ bis „SPIEGEL“ auch Formate wie die Talkshows von Markus Lanz und das OMR-Festival. Und die Funke Mediengruppe (zu der das „Abendblatt“ gehört), baut hier, so Haider nach Übernahme von G+J-Titeln einen starken Standort auf“.
Zum Standort bekennt sich auch die Bauer Media Group (Heinrich Bauer Verlag), Deutschlands auflagenstärkster Zeitschriftenverlag. Schon deshalb habe die Stadt „besondere Bedeutung“. Und für den Rest der Republik auch. Schließlich trägt die Gruppe mit ihren Zeitschriften, insbesondere aus dem TV-Bereich, zusammen mit Blättern wie „SPIEGEL“ und „ZEIT“ maßgeblich dazu bei, dass Hamburg als Pressestadt nach wie vor bei Weitem führend in Deutschland bleibt.
