Malte Heyne: Vor bald fünf Jahren haben Sie die „Hamburger Morgenpost“ in schwerer See übernommen. Ihr Mut zum Einstieg als Branchenneuling wurde von einigen belächelt, von anderen bewundert. „Er übernahm die MOPO gegen die wirtschaftliche Vernunft mit heißem Herzen“, schrieb das „Abendblatt“ kürzlich über Sie. Trifft das zu?
Arist von Harpe: Irgendwie schon, aber das ist natürlich etwas verkürzt. Ich wollte gerne wieder etwas Unternehmerisches machen, aber kein Start-up gründen. Das Thema „Journalismus“ hatte mich zu dem Zeitpunkt schon länger sehr fasziniert, gerade weil er vor so großen Herausforderungen stand und auch immer noch steht. Und dann ergab sich die Gelegenheit für die Übernahme. Die MOPO war wirtschaftlich schwer angeschlagen, deswegen war das für mich auch finanziell machbar. Es ist natürlich einmalig, eine Marke zu übernehmen, die so deutlich für Hamburg steht.
Woher kommt Ihre Affinität zur MOPO? Sie sind ja Düsseldorfer …
Man sagt ja oft, die zugezogenen Hamburger sind die krassesten Hamburger. Und es gibt Aspekte von Hamburg, die für Außenstehende sehr attraktiv sind: Marken wie der FC St. Pauli, Astra, der Kiez allgemein, die topografische Lage und eben als Medienhaus auch die MOPO. Eine Marke wie die MOPO gibt es in anderen Städten in dieser Form nicht. Gerade mit dieser Historie und diesem Selbstverständnis – dieses sehr Boulevardeske, aber auch Humorvolle, mit dem Herz am rechten Fleck. Die MOPO fand ich immer schon extrem sympathisch.
Sie haben dort ja viel verändert. Seit April haben Sie auf Wochenausgaben umgestellt. War das ein guter Schritt?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben ab Tag eins nach meiner Übernahme versucht, wieder mehr Qualität hineinzubringen. Um profitabel zu sein, kann man im digitalen Raum auf Reichweite setzen, die Kosten verringern und sehr einfache Inhalte produzieren. Das kann man machen. Aber wir haben den Weg über Qualität gewählt, der schon hart ist, aber extrem wichtig für die Marke. So wird sie jeden Tag ein bisschen mehr gestärkt. Die Umstellung war ein notwendiger Schritt, weil in einem Großstadtmilieu die Nachfrage nach Kaufzeitungen am Kiosk am stärksten zurückgeht. Print geht überall nach unten, aber dort am stärksten.
Rechnet sich die Wochenzeitung?
Sie rechnet sich schon. Eine Wochenzeitung ist länger haltbar. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich die Auflagezahlen wieder in ganz andere Richtungen entwickeln. Aber bei Tageszeitungen werden irgendwann die fixen Druck- und Logistikkosten zu hoch. Betriebswirtschaftlich gesehen macht eine Wochenzeitung mehr Sinn und entspricht auch eher der Lebensrealität arbeitender Menschen. Nur die wenigsten brauchen jeden Tag eine Tageszeitung, die meisten erfahren alles Wichtige über ihr Handy. Und das Gute in Hamburg ist, dass sie das zum ganz großen Teil bei der MOPO machen.
Die Reichweite von mopo.de soll gestiegen sein. Stimmt das?
Ja. Fußball spielt eine große Rolle, der HSV und St. Pauli, und generell Hamburg-Themen. Wir sind jetzt die größte freiwirtschaftliche Medienmarke Norddeutschlands im Netz. Der Großteil des Traffics kommt direkt auf unsere Seite, die Menschen tippen www.mopo.de ins Smartphone ein und werden nicht über Google oder Social Media zu uns gespült. Denn sie finden bei uns, was sie suchen. Und wenn wir das liefern, was sie von uns erwarten, dann kommen sie wieder, und die Marke wird stärker.
Funktioniert euer Paid Content?
Ja, aber die Werbeerlöse sind deutlich wichtiger als die Paid-Content-Erlöse. Wir haben eine vierstellige Zahl von Abonnenten, weniger als das „Abendblatt“. Aber die machen das schon etwas länger. Und es ist natürlich eine Abwägung. Wir könnten noch mehr hinter die Paywall stellen, aber wir wollen die Menschen, die uns einfach so lesen, nicht vergessen. Wir haben eine große Reichweite. Deshalb laufen viele Menschen bei uns vor die Paywall, und einige sagen dann: Ja, okay, ich zahl dafür. Manche sind dann schnell wieder weg, manche bleiben.
Setzt ihr auch auf Künstliche Intelligenz?
Ja, absolut. Es gibt zwar die Befürchtung, dass bald Plattformen wie „Perplexity“ der Hauptkanal sind, wo sich Menschen informieren. Das wäre natürlich schlecht. Aber KI schafft viele Möglichkeiten, sich von energieraubenden Tätigkeiten zu befreien, etwa beim Redigieren von Polizeimeldungen, die bei uns über einen Feed reinkommen und die wir so nicht veröffentlichen können. So etwas kann KI sehr gut übernehmen. Und wir nutzen KI im kleinen Rahmen, um Nutzern personalisierte Inhalte auszuspielen.
Wenn Sie und ich auf eine Seite gehen, sehen wir nicht an jeder Stelle das Gleiche. Die Inhalte hängen davon ab, was Sie schon mal gesehen haben oder was Sie sonst so interessiert. Das ist das, was auch Social Media macht, etwa Instagram. Und das ist auch interessant für Menschen, die viel auf der Seite sind. Wir publizieren pro Tag 90 Artikel, und wenn jemand zehnmal die Seite aufruft, kann es sein, dass dann auch Artikel hervorgeholt werden, die sonst eher in einem Seitenarm laufen.
Wie sehen Sie den Medienstandort Hamburg? Wie entwickelt er sich? Haben wir hier noch genügend Medien- und Meinungsvielfalt?
Auch Werbung gehört zu den Medien, und da ist Hamburg sicherlich stark. Bei den klassischen Medien ist die Frage ja: Geht es um Medien, die für die Stadt relevant sind? Klar, „Zeit“ und „Spiegel“ sind ebenfalls für die Stadt wichtig, aber das sind deutschlandweite Medien, die zufälligerweise ihren Sitz in Hamburg haben, genau wie Gruner und Jahr. Ich finde es nach wie vor extrem spannend und bereichernd, dass hier so viele große Medienhäuser mit nationaler Strahlweite sind.
Die ganze Branche ist hier, und auf der Verlagsebene gibt es sehr viel Kooperation. Alle kämpfen natürlich mit schwindenden Margen. Keiner hat unendliche Ressourcen, und die ganze Technologie entwickelt sich dauernd weiter. Sich darüber auszutauschen und abzustimmen ist schon interessant. Die eigentliche Frage ist aber, wie viel Medienvielfalt braucht man in einer Stadt wie Hamburg? Und wie viele Player mit Lokalbezug gibt es? Klar, MOPO und „Abendblatt“, dann auch noch „Bild“ und „Welt“, aber die haben ihre Berichterstattung in Hamburg stark zurückgefahren.
Aktuell haben wir in Hamburg noch eine gute Medienvielfalt. Ich glaube, deutschlandweit liegen Gefahren eher in den dünn besiedelten Gegenden oder auch dort, wo es nur noch einen Player gibt, der das lokale Geschehen betrachtet: Dann ist das die einzige Wahrheit, die es gibt. Das „Abendblatt“ und wir stehen im starken Wettbewerb, und die gucken genau, was wir schreiben. Das ist für den Leser gut, weil er weiß, dass wir in enger Konkurrenz sind und präzise arbeiten müssen. Sonst würde uns das „Abendblatt“ das sofort aufs Brot schmieren.
Erfreulicherweise mal eine positive Perspektive aus dem Medienstandort. Gibt es Themen, Wünsche, Forderungen an die Politik hier in Hamburg?
Das Verhältnis zum öffentlich-rechtlichem Rundfunk und deren presseähnlichen Texten, das gerade auf der Ministerpräsidentenkonferenz diskutiert wurde, ist ein Thema, das die freiwirtschaftliche Presse in Hamburg ein bisschen zusammengeschweißt hat. Und ich habe vermisst, dass da mal ein Machtwort gesprochen wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine extrem wichtige Säule der Demokratie in Deutschland, das ist vollkommen klar.
Aber der NDR macht uns mit geschriebenen Texten direkte Konkurrenz, und diese ist ein bisschen unfair, weil er auf der Website ohne Werbung und Bezahlschranke auskommt, da die Finanzierung ja über Gebühren geschieht. Das nimmt uns bei Google auch die Spitzenposition weg, weil Google einen barrierefreien Zugang bevorzugt, also ohne Werbung und ohne Bezahlschranke.
Wenn wir zum Beispiel einen Bericht über ein Konzert schreiben, dann ist der morgens um 6.30 Uhr live. Wenn Menschen dann bei Google nach dem Bericht suchen, sind unter den ersten zehn Suchergebnissen sehr viele vom NDR, weil der das über so viele Kanäle ausspielt. Diese Konkurrenz war eigentlich nicht so gedacht, weil der NDR damit zu presseähnlich ist. Man muss sich mal vorstellen, der NDR hätte vor 30 Jahren eine kostenlose Zeitung gemacht und diese jeden Tag an den U- und S-Bahnen verteilt. Da hätte es auch eine Diskussion gegeben.
Der gebürtige Düsseldorfer Arist von Harpe studierte Wirtschaftsingenieurwesen in Hamburg und Göteborg (Schweden). Seit Anfang 2020 ist er Geschäftsführer und Inhaber der MOPO. Zuvor war er als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (2004–2011), sieben Jahre als Geschäftsführer des Social-Media-Start-ups Facelift und seit 2018 als Marketing-Geschäftsführer von XING tätig.
Die Frage ist doch: Warum muss man einer bestehenden Branche das Leben schwer machen? Im Regionalen ist es wirtschaftlich eindeutig schwieriger geworden. Dann sollte einem ein Player vor Ort, mit dem man ja gedanklich beim eigentlichen Auftrag auf einer Seite steht, nicht so zwischen die Beine schießen.
News-Konkurrenz entsteht natürlich auch durch verlagsfremde Anbieter, Stichwort Social Media. Da haben auch viele Politiker ihre eigenen Kanäle und erhalten so eine Deutungshoheit über gewisse Themen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
In Deutschland hat das in meiner Perspektive noch keine negativen Auswirkungen. Es ist eher positiv, weil wir, also die Journalisten, mehr sehen. Wir kriegen mehr Themen mit. Problematisch wird es dann, wenn Politiker selbst diese Plattformen besitzen und ihre Inhalte dort pushen können. Politik und Medien sollten nie in einer Hand sein. Das ist, glaube ich, fatal. Ansonsten ist das Thema „Social Media“ eher ein wirtschaftliches Problem für uns, da diese Kanäle die Aufmerksamkeit der Leser von unseren Plattformen abziehen und auch viele Werbegelder abgreifen.
Wie geht die MOPO-Redaktion dagegen vor?
Wir arbeiten daran, dass unsere Marke wertvoll bleibt, dass Menschen aktiv zu uns kommen. Wenn der gesamte Traffic auf mopo.de nur über Google käme, wären wir von Google abhängig. Das tut er aber nicht. Für mich ist das Wichtigste und das Wertvollste der MOPO, dass wir diese Beziehung oder diese Marke in den Herzen und Fingern am Smartphone der Menschen, die in Hamburg leben, behalten.
Wie innovativ sind die Hamburger Wirtschaft und der Standort Hamburg insgesamt? Geben Sie mir eine Schulnote.
Ich würde wahrscheinlich eine 2- geben. Hier ist viel Kapital, das schon sehr alt ist. Das sorgt immer auch für eine gewisse Behäbigkeit, aber historisch wichtige wirtschaftliche Säulen der Stadt sind ja recht zeitlos, so eben auch die Medienbranche. Zwar geht das Thema Print so ein bisschen in die letzte Spur, und ich habe Zweifel, ob es in 20 Jahren noch gedruckte Zeitungen geben wird. Aber der Kern von dem, was wir machen, bleibt bestehen.
Die Hamburger Wirtschaft braucht auch die Hamburger Medien, um den Finger in die Wunde zu stecken und die Menschen zu informieren.
Menschen bleiben neugierig, sie wollen sich erfreuen an Dingen wie Fußball und Kultur, etwas über Skandale oder Missstände erfahren. Papier war lange Zeit das Medium dafür. Das ändert sich aber, und ich glaube, das gilt auch für andere Themen. Hamburg ist im Handel stark geworden, und gehandelt werden wird immer. Da muss man auch innovativ sein und Technologie im positiven Sinne umarmen. So steht Hamburg historisch betrachtet auf allgemeinen und breiten Füßen. Und ich bin frohen Mutes, dass sich das weiterentwickeln lässt und die Akteure da weiterhin innovativ bleiben.
Deutschland steht viel in der in der Kritik wegen Deindustrialisierung und Bürokratie, unsere Infrastruktur stürzt teilweise ein. Was muss passieren? Wie ist Ihr Blick auf die Landespolitik, auf die kommenden Wahlen? Wo geht die Reise hin?
Ich glaube, es ist extrem wichtig, dass wir hier einen Wettbewerb um die besten Ideen haben. Gleichzeitig glaube und hoffe ich, dass bei den extremen Rändern, die mit populistischen Parolen um die Ecke kommen, nicht so ein Zuwachs stattfinden wird wie in den anderen Bundesländern. In Hamburg kann ich mir das aber auch nicht vorstellen, ich nehme hier keine extreme Wechselstimmung wahr. Ich glaube, die aktuelle politische Unzufriedenheit ist sehr stark auf das fokussiert, was in Berlin passiert.
Wie sollte das nächste Regierungsprogramm aussehen?
Sehr wichtig ist das Thema Wohnen. Wir haben nicht zu wenig Arbeitsplätze, sondern zu wenig Platz, wo die Menschen, die hier arbeiten, wohnen können. Die Stadt ist attraktiv, Menschen wollen hier wohnen. Und das muss irgendwie bezahlbar sein. Und wir wollen hier nicht Verhältnisse haben wie in New York oder London, wo alle Wohnobjekte nur noch Spekulationsobjekte von Menschen aus der ganzen Welt sind, die die Wohnungen leer stehen lassen oder vielleicht mal ein paar Tage im Jahr vorbeikommen.
Wir wollen eine Stadt haben, wo Menschen wohnen, die hier wirklich leben. Das ist auch für die Wirtschaft wichtig. Wenn Menschen hier nicht bezahlbar wohnen können, können sie hier auch keine Jobs annehmen oder diese werden noch teurer und die Stadt damit weniger wettbewerbsfähig. Wir haben in der MOPO neulich Beispiele von Städten gebracht, die das Problem anders lösen. Da ging es um das Thema: Wie macht man große Bauprojekte?
Die „Hamburger Morgenpost“, Hamburgs älteste Boulevardzeitung, erschien erstmals am 16. September 1949 im SPD-Verlag Auerdruck. Aufgrund sinkender Auflagezahlen verkaufte sie die SPD 1980. Es folgten weitere Eigentümerwechsel, etwa 1986 an G+J und 2009 an M. DuMont Schauberg. Als Arist von Harpe 2020 die Zeitung erwarb, befand sie sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Seit 12. April 2024 erscheint die MOPO nur noch als Wochenzeitung. Der Online-Auftritt wird täglich von mehr als 400 000 Menschen besucht: die höchste Reichweite der regionalen Nachrichtenportale im Norden.
In Wien zum Beispiel sind viele Wohnungen im Besitz der Stadt und werden nicht verkauft. Und dadurch ist Wien wohntechnisch immer noch bezahlbar. Und das ist natürlich ein Standortvorteil. Ich sehe das gerade in der Techbranche, dass Wien ein wichtiger Standort geworden ist, weil dort Wohnraum bezahlbar ist.
Vielleicht eine letzte Frage zum Jahresende: Haben Sie einen Wunsch für Hamburg an die Hamburger Politik?
Es wäre schön, wenn mehr Werbegeld ins lokale Ökosystem investiert würde. Statt nur Plattformen aus USA und China mit Werbegeldern zu füttern, sollten Unternehmen auch hier vor Ort die Hamburger Medien unterstützen, die ja eine wichtige Säule der Stadt sind. Die Hamburger Wirtschaft braucht auch die Hamburger Medien, um den Finger in die Wunde zu stecken und die Menschen zu informieren. Ein bisschen mehr Lokalpatriotismus wäre hier sicherlich möglich.
Diesen Wunsch können wir aus vollem Herzen unterstützen. Wir brauchen diese Meinungsvielfalt, wir brauchen starke Player hier in der Medienwirtschaft. Und den innovativen Ansatz, den Sie mit der MOPO gefahren haben, unterstützen wir sehr gerne. Herzlichen Dank für das abwechslungsreiche und spannende Gespräch.