Russland-Geschäft braucht Alternativen

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zwingt Hamburger Firmen, neue Märkte zu erschließen. Perspektiven bieten Zentralasien, die Länder entlang des sogenannten „Mittelkorridors“ und die Ukraine. Doch Vorsicht ist geboten – die Verwicklung in Sanktionsumgehungen kann für Firmen ein Risiko darstellen.
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Der Hafen Aqtau am Kaspischen Meer: Von hier aus transportiert die HHLA Güter per Zug nach China.

Von Kerstin Kloss, 27. September 2023 (HW 5/2023)

„Gerade sind die deutschen Exporte nach Russland wieder gewachsen“, sagt Mirco Nowak, Sprecher des Arbeitskreises Osteuropa der Handelskammer. Wie kann das sein? Schließlich haben die EU-Sanktionen, die aufgrund Russlands Annexion der Krim 2014 und des Angriffskrieges gegen die Ukraine Anfang 2022 verhängt und immer weiter verschärft wurden, den Güterverkehr mit Russland erheblich eingeschränkt.

Nowak erläutert: „Pharmazeutische und andere nicht sanktionierte Waren aus dem medizinischen Bereich sowie Lebensmittel werden nach wie vor exportiert.“ Die Ausfuhr von Maschinen, Anlagen oder Luxusgütern nach Russland ist zwar verboten, über die Vereinigten Arabischen Emirate, Zentralasien oder die Türkei gelangen sie jedoch weiterhin dorthin: „Den Import hat die russische Regierung durch sogenannte Parallelimporte stark vereinfacht“, weiß der Geschäftsführer der TDN Hamburg Großhandels-GmbH (LUNO-Gruppe), der über drei Jahrzehnte schwerpunktmäßig im Russland-Geschäft unterwegs war.

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Mirco Nowak, Geschäftsführer der TDN Hamburg Großhandels-GmbH (LUNO-Gruppe) und Sprecher des Handelskammer-Arbeitskreises „Osteuropa“

Mit dem elften Sanktionspaket hat die EU die Ein- und Ausfuhrverbote verschärft und will die bereits die gegen Russland verhängten Sanktionen besser durchsetzen und noch stärker gegen deren Umgehung vorgehen. „Mit jedem Sanktionspaket wird die Sanktionsverordnung länger und unübersichtlicher. Für Unternehmen wird es immer aufwendiger zu prüfen, ob ihre Waren in einem der vielen Anhänge gelistet sind“, sagt Arne Olbrisch, Teamleiter Zoll- und Außenwirtschaftsrecht bei der Handelskammer. „Sogar Hamburger Einzelhändler können sich strafbar machen, wenn sie wissentlich gelistete Luxusgüter an Personen mit Wohnsitz in Russland verkaufen.“ Ein großes Problem sei auch der Umgang mit nicht eindeutigen Formulierungen zahlreicher Verbotstatbestände. 

Ein weiteres Problem: Gegen zahlreiche Personen, Organisationen und Einrichtungen wurden Finanzsanktionen verhängt. Der Experte empfiehlt, bei jeder Geschäftsbeziehung zu prüfen, ob das jeweilige Unternehmen von Finanzsanktionen direkt betroffen ist oder sich im Eigentum einer gelisteten Person befindet oder von einer solchen kontrolliert wird. Auch Hamburger Einzelhändler können sich strafbar machen, wenn sie unwissentlich Ausfuhr-Kassenzettel für Kunden mit Wohnsitz in Russland ausstellen.

Auch wenn der Handel mit nicht sanktionierten Gütern weiterläuft, führten die Sanktionen „zu massiven Einbrüchen im Handels- und Beratungsgeschäft, die Präsenz deutscher Unternehmen in Russland hat sich massiv reduziert. Viele Firmen haben das durch ein Ausweichen auf die zentralasiatischen Märkte kompensiert“, sagt Mirco Nowak. Der direkte Containerumschlag mit Russland im Hamburger Hafen ging im ersten Halbjahr 2023 auf Null zurück. Im Vergleichszeitraum 2022 waren es noch 79 000 Standardcontainer (TEU) und 2021 sogar 161 820 TEU. Auch die Einfuhr von Kokerei- und Mineralölerzeugnissen aus Russland ist aufgrund der Sanktionen zum Erliegen gekommen – im Jahr 2022 lagen sie mit 3,15 Milliarden Tonnen noch mit Abstand an der Spitze der von dort importierten Warengruppen, so das Statistische Bundesamt. „Die Mineralölprodukte, aber auch die Kohle konnten über andere Länder kompensiert werden“, erklärt Ralf Johanning, Pressekontakt bei Hafen Hamburg Marketing.

Die aktuellen Ausfuhrverbote reichen von Dual-Use-Gütern über Güter und Technologien, die zur militärischen und technologischen oder industriellen Stärkung Russlands beitragen können, bis hin zu Luxusgütern. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel Einfuhrverbote für Eisen- und Stahlerzeugnisse, Rohöl und Erdölerzeugnisse sowie unterschiedlichste Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen können – etwa Zellstoff und Papier, Holz und Holzwaren, Steine und Edelmetalle für die Schmuckindustrie. Mehr Infos hier.

Für den Medizintechnikspezialisten Weinmann Emergency Medical Technology, der Rettungsfahrzeuge mit Notfall-Beatmungsgeräten ausstattet, ist Handel mit Russland erlaubt. „Wir liefern sanktionskonform humanitäre Produkte“, sagt Geschäftsführer André Schulte. Trotzdem hat die Firma ihr direktes Engagement in Sankt Petersburg schon kurz vor dem Ukraine-Krieg zurückgefahren. Das Russlandgeschäft über einen Distributor in Moskau beziffert Schulte heute mit „weniger als fünf Prozent vom Umsatz“. Stattdessen positioniert sich der Hamburger Hersteller jetzt in der Ukraine: „Wir sind dabei, in Lwiw einen eigenen Entwicklungsstandort für digitale Lösungen aufzubauen.“ Bis Jahresende will der Betrieb dort bis zu fünf Mitarbeitende einstellen. Auch andere, vor allem große Unternehmen investieren nach Nowaks Informationen in der Ukraine: „Der deutsche Staat sichert großzügig Investitionsausfälle ab – eine tolle Sache.“

Unterdessen musste die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) den seeseitigen Umschlag am Terminal in Odessa kriegsbedingt einstellen. Zudem fallen Russlandmengen 2023 nicht nur an den Hamburger Hafenanlagen weg, auch am Containerterminal HHLA TK Estonia im Hafen Muuga bei Tallinn bleiben Anläufe aus Russland aufgrund der Sanktionen aus. Stattdessen stellt der Konzern die Weichen für Wachstum in Zentralasien – mit Bahnverkehren auf dem sogenannten „Mittelkorridor“, der als Teil der chinesischen Belt and Road Initiative  bislang wirtschaftlich unrentabel war, nun aber verstärkt ausgebaut wird. Seit August stellt HHLA Project Logistics einen neuen Container-Ganzzug in Kasachstan bereit, der Güter vom Hafen Aqtau am Kaspischen Meer zu chinesischen Zielen transportiert. Das organisiert die kasachische Niederlassung in Almaty, die im Februar 2023 eröffnet wurde.

Auch Mirco Nowak hat den Schwerpunkt seiner Gruppe auf den Mittelkorridor verlagert. Für deutsche Firmen erschließt er neue Märkte, vorrangig in Usbekistan und Georgien. Vor allem Usbekistan sei „erpicht, sich westlich auszurichten und ein Global Player zu werden“, sagt er. Steigende Investitionen beobachtet er in der Auto- und Textilindustrie sowie bei Rohstoffen wie Kupfer. In der Wirtschaftsdelegation, die Ende 2022 Bundesaußenministerin Annalena Baerbock beim Zentralasien-Besuch begleitete, war auch Aurubis vertreten. Nowak fliegt demnächst wieder dorthin.


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