Turbulente Zeiten

Das ausklingende Jahr war für den Hamburger Einzelhandel nicht einfach. Auch 2024 wird sich die Branche zahlreichen Herausforderungen stellen müssen. Die HW schaute sich um.
Stefan Bungert
Vorzeitige Geschäftsaufgaben, weniger Neugründungen, mehr Bürokratie – Wochenmärkte haben es zunehmend schwerer. Hier im Bild zu sehen: der bekannte Isemarkt in Eppendorf

Von Bettina Sulicki, 4. Dezember 2023 (HW 6/2023)

Das Jahr 2023 war ein Jahr mit vielen Insolvenzen im Einzelhandel und damit auch ein Jahr der Veränderungen. In der Regel gilt: Findet sich ein Investor, kann das alte Geschäftsmodell möglicherweise überleben. Ein Beispiel dafür ist die GÖRTZ RETAIL GmbH, bei der das Netz der Schuhfilialen zwar geschrumpft, das Unternehmen aber samt Online-Store weiterhin am Markt geblieben ist. Auch die GaleriaKarstadtKaufhof GmbH hat ihr Filialnetz deutlich verkleinert. So gingen zum Beispiel im Frühsommer 2023 für die beiden Warenhäuser in Wandsbek und Harburg die Lichter aus.

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Union Investment
So stellt sich die Union Investment Real Estate GmbH die Umgestaltung des „Quartiers Wandsbek Markt“ vor.

In Wandsbek hat die Union Investment Real Estate GmbH, der sowohl das ehemalige, 1924 eröffnete Karstadt-Gebäude gehört als auch das angrenzende QUARREE, bereits ihre Arbeit aufgenommen, um das „Quartier Wandsbek Markt“ umzugestalten (siehe Randspalte). Für das ehemalige Karstadt-Haus in Harburg wird es wohl ebenfalls eine Lösung geben – im September erst hatte der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) das Vorkaufsrecht für die Immobilie erworben. Möglicherweise wird das Gebäude zu einem kommunalen Treffpunkt ausgebaut.

Gute Konzepte funktionieren nur, sofern auch die Rahmenbedingungen stimmen. Zunehmend beklagt der Einzelhandel die Schwierigkeit, Verkaufspersonal zu bekommen oder zu halten. Einige Geschäfte haben 2023 aus diesem Grund ihre Öffnungszeiten reduzieren müssen, um mit einer Schicht am Tag auszukommen. Kirsten Severin-Lützow zum Beispiel hatte hingegen das Glück, genügend qualifizierte Fachkräfte aus Handel oder Service einstellen zu können. „Ich habe großartige Mitarbeiterinnen, die auch von den Kundinnen viel Wertschätzung erfahren“, berichtet die Geschäftsführerin des mit Liebe zum Detail eingerichteten Damenmodegeschäftes „Hellfeuer“ in Berne. „Ohne den Rückhalt meines Teams könnte ich mich zum Beispiel überhaupt nicht so intensiv um unseren Social-Media-Auftritt kümmern.“

Während der Corona-Pandemie hatten viele Einzelhandelsbranchen mit massiven Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Manche Unternehmen reagierten darauf mit Panikbestellungen, was den Markt zusätzlich durcheinanderbrachte. Probleme, die inzwischen weitgehend behoben sind, sodass Ware sukzessive geliefert werden konnte. Gestiegene Energiekosten, mittlerweile auch hohe Zinsen und höhere Einkaufspreise haben einige Lieferanten 2023 allerdings in die Insolvenz getrieben. Und da die Konsumlaune weiterhin eingetrübt bleibt, müssen viele Händler derzeit um ihren Gewinn fürchten.

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Bernd Jonkmanns
Der „St. Pauli Nachtmarkt“ findet immer mittwochs statt.

Nicht so die TRENGA DE Vertriebs GmbH in Harburg, die Fahrräder verkauft. „Zum Glück ist unser Geschäftsmodell auf eine hohe Individualisierung von gewerblichen und privaten Kundenwünschen ausgelegt“, sagt Geschäftsführer Jens Peter Dirks zufrieden. „Die Fahrräder werden nach festem Kundenauftrag individuell gestaltet und angefertigt. In der Folge gibt es zum Beispiel auch nicht das Problem, dass sich alte und neue Warenjahrgänge gegenseitig die Luft zum Atmen nehmen wie im klassischen Fahrradhandel.“

Im Lebensmitteleinzelhandel waren 2023 aufgrund gestiegener Energie- und Rohstoffpreise ebenfalls Veränderungen zu spüren. Wochenmärkte zum Beispiel, die zu Corona-Zeiten eine Renaissance erfahren hatten, verlieren immer wieder Marktbeschicker. Grund dafür sind einerseits vorzeitige Geschäftsaufgaben und andererseits weniger Neugründungen als noch in den Jahren zuvor. Mitverantwortlich für diese Entwicklung sind unter anderem die vielen bürokratischen Anforderungen wie fiskalsichere Kassensysteme oder die Auflagen des Verpackungsregisters.

Quartier Wandsbek Markt

Bereits 2020 hat die Union Investment Real Estate GmbH damit begonnen, für das ehemalige Karstadt-Gebäude in Wandsbek und das umliegende Areal ein neues Nutzungskonzept zu entwickeln. Die Planungen für das künftige „Quartier Wandsbek Markt“ sehen vor, das alte, inzwischen denkmalgeschützte Karstadt-Haupthaus zu erhalten. Die anderen Gebäude werden ganz oder teilweise abgerissen und neu gebaut. Es sollen unter anderem eine Markthalle mit Marktständen und Gastronomie entstehen. Zu dem Projekt , in das Union Investment Real Estate einen dreistelligen Millionenbetrag investiert, gehören zudem Büros, Arztpraxen und Wohnungen. Vorgesehen ist auch, dass die Northern Business School (NBS) ihren Lehrbetrieb in Wandsbek konzentriert. Voraussichtliche Fertigstellung: Ende 2027.

Ab dem 1. Juli 2024 sollen Marktbeschicker für ihren mobilen Verkaufsstand zudem eine Lkw-Maut entrichten, da das Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) dann auch allen Fahrzeugen des Güterverkehrs ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht eine Mautabgabe abverlangt – bislang gilt das nur für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen.

„Die Regelungsdichte auf europäischer und auf Bundesebene berücksichtigt nicht die Gegebenheiten der Klein- und Kleinstunternehmen, die von der Urproduktion über die Veredlung bis hin zur Verkaufstheke alles aus einer Hand anbieten“, kritisiert Wilfried Thal, Präsident des „Landesverbandes des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller Hamburg e. V.“ (LAGS). Diese Leistungen mit einer Regelungsdichte zu überziehen, die eigentlich für Nahrungsmittelkonzerne und internationalen Handel gedacht seien, gehe an der Lebenswirklichkeit der Wochenmarktunternehmen vorbei. „Besonders deutlich wird das bei der angekündigten Lkw-Maut, denn wir verlagern nur temporär den Betrieb, sind aber doch keine Spediteure.“

Insgesamt ist die Stimmung im Hamburger Einzelhandel alles andere als euphorisch, was das aktuelle Konjunkturbarometer der Handelskammer belegt. Möglicherweise wird die Branche künftig auch noch weitere Insolvenzen zu verzeichnen haben. Aber die meisten Geschäfte werden – und das ist die positive Nachricht – auch 2024 ihre Türen geöffnet haben und weiterhin für ihre Kundschaft da sein.

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