Für Ulrich Wrage ist der Hafen ein Gesamtkunstwerk: „Es gibt ja nicht den Hamburger Hafen. Erst wenn die vielen Unternehmen und Behörden, die an der Abwicklung beteiligt sind, zusammenarbeiten und vernetzt sind, wird der Hamburger Hafen daraus“, sagt er. Wrage ist Vorstand der DAKOSY Datenkommunikationssystem AG, die als Softwarehersteller die Logistik digitalisiert. „Ohne unternehmensübergreifende digitale Zusammenarbeit kann man die Mengen, die Qualität, die Zeiten und Geschwindigkeiten im Hafen überhaupt nicht abbilden“, ist Wrage überzeugt.
Und dabei hilft DAKOSY mit dem Betrieb des Port Community Systems für den Hamburger Hafen, über dessen Plattformen Unternehmen und Behörden die Transportabläufe koordinieren und elektronisch gestützt abwickeln können. „Da sind zahlreiche Parteien involviert: Schiff, Reeder, Terminal, Hafenkapitän, Elblotse, Hafenlotse, Festmacher, Schlepper, Spediteur, verschiedene Verkehrsträger und Behörden … das muss alles orchestriert werden. Das geht nicht ohne IT“, sagt Ulrich Wrage. DAKOSY wurde bereits 1982 gegründet, als noch nicht in jedem Büro ein Computer stand. Seither betreibt es das System privatwirtschaftlich, anders als in anderen Häfen üblich.
Schon wenn ein Schiff in Hongkong ablegt, laufen bei DAKOSY zahlreiche für die Beteiligten wichtigen Informationen zusammen. Die Import-Message-Plattform gibt Speditionsunternehmen alle 24 Stunden ein Update zur jeweiligen Schiffsankunft. Das System ist stark nachgefragt, auch weil die Lieferkettenverzögerungen durch Corona und den Vorfall im Suezkanal die Disposition von Importcontainern extrem erschwert haben.
„Das ist ein Geben und Nehmen. Der Spediteur teilt mit, welchen Container er mit welchem Verkehrsmittel abholen lässt – dafür bekommt er aktiv die Statusinfo: Der Container ist im Hafen, gelöscht, durch den Zoll und abholbereit“, beschreibt Wrage den Prozess. „Der Spediteur kann die Info auch noch an den Trucker geben lassen, der einen Impuls bekommt und eine Slot-Buchung vornehmen kann.“ Und der Kunde in München weiß durch die Statusmeldung genau, wo sich seine Ware gerade befindet.
KI ist wichtig, um die großen Datenmengen, die wir sammeln, schnell genug auszuwerten.
Carlos Jahn
Mehr als 2000 Unternehmen aus Hafenwirtschaft, Logistik, Industrie und Handel sind bei den DAKOSY-Plattformen dabei, auch kleine und mittelständisch aufgestellte Teilnehmer der maritimen Logistikkette profitieren von der cloudbasierten Lösung. „90 Prozent der Unternehmen sind KMU. Selbst wenn die Kunden nur einen geringen Digitalisierungsgrad im eigenen Unternehmen haben, gibt es keine Diskriminierung. Sie haben die gleichen Möglichkeiten, an unseren Services und Lösungen teilzunehmen wie Großkunden“, versichert Wrage.
Den Stellenwert der Vernetzung im Hafen kann man laut Carlos Jahn gar nicht überschätzen. Er ist Leiter des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen in Hamburg und sagt: „Für den internationalen Wettbewerb, in dem der Hafen steht, hat die Digitalisierung eine entscheidende Bedeutung.“ In nicht wenige Projekte ist oder war er eingebunden. Zum Beispiel bei „RoboVaas – Robotic Vessels as a Service“, wo kleine Roboterschiffe, also Überwasserdrohnen, Mini-U-Boote aussetzen, die – ohne teure Taucheinsätze – Kaimauern oder Schiffsrümpfe inspizieren können.
Im Projekt „Seaclear“ wiederum erkennen und holen kooperierende Drohnen Müll aus dem Wasser. Künstliche (KI) Intelligenz ist auch beim Projekt „Cookie“ im Spiel, das Fraunhofer zusammen mit der HCCR Hamburger Container- und Chassis-Reparatur GmbH durchführt: Wenn Container im Hafen ankommen, werden sie von allen sechs Seiten fotografiert.
„Der Zustand bezüglich Schäden und Verunreinigungen wird heute von Menschen beurteilt“, erklärt Jahn. „Die Fotos sollen jetzt genutzt werden, um Künstliche Intelligenz zu trainieren: Die soll den Schaden erkennen, beurteilen und eigenständig Folgeprozesse koordinieren.“ Eine bessere Sondierung von heilen und beschädigten Containern und eine bessere Planbarkeit des Wiedereinsatzes von Leercontainern soll die Folge sein. „KI ist enorm wichtig, um die großen Datenmengen, die wir sammeln, überhaupt schnell genug auszuwerten. Das ist durch den Menschen allein gar nicht mehr möglich“, sagt Carlos Jahn.
Weil in Zukunft bessere Prognosen und optimale Entscheidungen noch schneller gefordert sind, sieht Jahn auch Quantencomputing als Chance für den Hafen: „Es gibt ja immer noch länger lagernde Container, stehende Kräne, Züge und Lkw. Wenn man noch besser weiß, was wann wo ist oder ankommt, und dann sehr schnell in Echtzeit Optimierungsrechnungen zur Synchronisierung der Logistikprozesse durchführen kann, stecken darin große Chancen.“
Ein Digitalisierungsprojekt, das zumindest von der Quantentechnologie inspiriert ist, existiert im Hafen bereits: Mit „Mozart“ will die Hafenbehörde – die Hamburg Port Authority (HPA) – Grün- und Rotzeiten so auf die Ampeln verteilen, dass Knotenpunkte untereinander abgestimmt sind. So sollen zum Beispiel Lkw als Pulk gegenüber einzelnen Pkw priorisiert werden – und über alle Ampeln fahren können, ohne immer wieder stehen bleiben zu müssen. In einem Interview mit dem HPA-Reallabor homePORT betont Rando Schade vom Verkehrsmanagement der HPA, dass sich mit der neuen Technologie Berechnungen in Echtzeit durchführen lassen, die bisher nicht möglich waren. „Man hat bei diesen Berechnungen schnell sehr viele Unbekannte, die bei herkömmlicher Hardware in die Jahrhunderte Berechnungsdauer gehen würden.“
homePORT
Erforschen, entwickeln und gleich unter Realbedingungen testen: Nach diesem Prinzip verfährt das HPA-Reallabor homePORT, eine Art Coworking-Space für digitale Projekte im Hafen. Hafenakteure, Wissenschaft, Technologieunternehmen und Start-ups arbeiten dort gemeinsam an Zukunftsthemen der maritimen Wirtschaft und Logistik – etwa Zero Emission, 3D-Druck, Drohnen und Roboter sowie Automatisierung. Ein Containerdorf als Anlaufstelle gibt es dort ebenso wie Zugänge zu Hafen-Infrastrukturen und Testflächen zu Wasser, Luft und Land.
Drohnen im Hafen
Neben kleinen autonomen U-Booten sind im Hafen auch schwimmende Drohnen unterwegs. So vermisst etwa „echo.1“ mit Sensoren und Echolot die Gewässertiefe für die HPA. Die Daten werden in Echtzeit auf einen Computer übertragen; damit lassen sich zum Beispiel digitale Seekarten erstellen. Auch fliegende Drohnen sind für die HPA unterwegs: Sie übernehmen etwa Kontrollgänge oder Bauwerksprüfungen. Im Katastrophenfall könnten sie schneller als ein Helikopter bei der Lagebewertung und Koordinierung von Rettungsmaßnahmen helfen, etwa bei einer Sturmflut.
AR und VR
Virtuelle und Erweiterte Realität (VR und AR) werden im Hafen zunehmend wichtig, ist das Forschungsprojekt WizARd der Universität Hamburg überzeugt. Es arbeitet an einer Anwendung, die auch kleinen und mittleren Unternehmen das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten von AR aufzeigt und sie bei Digitalisierungsvorhaben unterstützt. Großes Potenzial sieht das Team auch für die Wassertiefenmessung: AR könne die Sicherheit und Effizienz der Bodensondierung erhöhen, auch aufgrund hoher Verkehrsdichte und wechselnder Wetterverhältnisse.