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„Schrott sei Dank“ verkündet ein Riesenplakat bei EMR European Metal Recycling im Roßhafen. Mit ihren fünfarmigen Greifern entladen Kräne dort Massengutfrachter und türmen meterhohe Berge bunter Metallreste auf. Zu entsorgender Müll? Nein, wertvolle Rohstoffe, die der international tätige Konzern präzise sortiert, aufbereitet und der Industrie zur Wiederverwendung zuführt.
„Wir recyceln weltweit jährlich zehn Millionen Tonnen Rohstoffe, davon allein eine halbe Million Tonnen Stahl, von denen 80 Prozent aus Hamburg und dem Umland stammen“, erklärt Geschäftsführer Murat Bayram. „Der Einsatz von recyceltem Metall und Stahl spart bis zu 95 Prozent Energie im Vergleich zu Eisenerz oder Bauxit und reduziert so den CO2-Ausstoß erheblich. So tragen wir dazu bei, den Einsatz von Primärrohstoffen zu reduzieren, und leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.“
Zahlen Von den 715 465 Tonnen Hausmüll und 325 809 Tonnen Industrie- und Gewerbemüll, die 2023 in Hamburg anfielen, wurden laut Stadtreinigung mehr als die Hälfte (440 543 beziehungsweise 281 886 Tonnen) „thermisch verwertet“, also verbrannt. Weltweit wurden rund 100 Milliarden Tonnen Materialien jährlich verbraucht und nur 8,6 Prozent davon wiederverwertet – so der „Circularity Gap Report 2022“. Und 2018 produzierte Deutschland täglich rund 127 800 Tonnen Abfall – mehr als doppelt so viel wie Indonesien (61 600 Tonnen) mit seinen 277 Millionen Einwohnern.
Welche Bedeutung Hamburg für EMR Deutschland hat, zeigt auch die 2023 eröffnete Recyclinganlage für Elektroauto-Batterien in Billbrook. Gemeinsam mit dem Partner Northvolt, der die weitere Verwertung übernimmt, gewinnt EMR hier Aluminium und Kupfer aus Batterie-Paketen. Dabei zeigt sich allerdings, wie wichtig verlässliche politische Vorgaben zur Energiewende sind.
„Wir erleben aktuell eine Durststrecke, die durch die noch nicht vollständig erfolgte Transformation hin zur Elektromobilität bedingt ist“, konstatiert Bayram. Doch der gebürtige Hamburger bekennt sich zum Standort: „Wir halten an unserem Modell fest, aktuell sind wir aktiv dabei, alternative Quellen wie E-Roller und E-Bikes zu integrieren – und laden alle Akteure der Automobil- und Fahrradbranche in Hamburg dazu ein, mit uns zusammenzuarbeiten.“
Insgesamt hat das Unternehmen große Pläne: „Langfristig wollen wir den Standort in Steinwerder zu einem ,Sustainable Port‘ entwickeln: Hier möchten wir alle unsere Geschäftsfelder vereinen und durch weitere Bereiche wie Schiffs- und Windkraftrecycling ergänzen“, sagt der Geschäftsführer.
Handgefertigte Designstücke
Schon angesichts zunehmend knapper Rohstoffe ist der schonende Umgang mit Ressourcen unerlässlich – wofür die vier „R“ der Kreislaufwirtschaft stehen: „Reuse“ (Wiederverwendung), „Repair“ (Reparatur), „Refurbish“ (Aufbereitung) und „Recycling“ (Wiederverwertung von Rohstoffen).
In Hamburg fehlt es dafür nicht an originellen und innovativen Ideen. Seit 20 Jahren beispielsweise verarbeitet Lockengelöt im Karolinenviertel Ölfässer, ausgediente Skateboards oder alte Vinyl-Schallplatten zu ausgefallenen Design- und Möbelstücken wie Hausbar-Vitrinen, Stehtischen, Leuchten und Eierbechern – ein schönes Beispiel für gelungenes Upcycling. „Seit 2018 haben wir etwa 1600 Bretter recycelt“, sagt Mitgründer und Mitinhaber Carsten Trill. Das vierköpfige Team nutzt 35 Skateboard-Sammelpartner in Deutschland und fertigt all seine Kreationen von Hand.
„Abholen, säubern, aufschneiden, pulverbeschichten, zusammensetzen, verpacken“, beschreibt Trill die Arbeitsschritte für die Möbel aus Ölfässern, die wie alle Lockengelöt-Produkte seit 2011 in der Werkstatt in Ochsenwerder entstehen. „Inzwischen haben wir 30 Modelle in 17 Farben und mit neun Holzsorten. Häufig werden aus Kundenwünschen neue Serienprodukte.“ Trills Überzeugung: „Wir retten nicht die Welt, aber wir wollen mit unseren Produkten zeigen, dass es Spaß macht, wenn man Dinge wiederverwertet oder zweckentfremdet.“
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Die Kraft von Lignin
Welches Potenzial vermeintliche Abfallstoffe bieten, zeigt auch das mehrfach preisgekrönte Start-up Lignopure, das aus einem Forschungsprojekt an der TU Hamburg entstand. Die drei Gründerinnen setzen auf den natürlichen Rohstoff Lignin, der in der Zellstoff- und Bioraffinerie-Industrie in großen Mengen als Nebenprodukt anfällt und meist einfach verbrannt wird. Dabei ist der Stoff zum Beispiel perfekt für Haut- und Sonnencremes geeignet, betont Lignopure – schließlich wirkt er entzündungshemmend, antioxidierend und antimikrobiell und schützt vor UV-Licht.
„Wir haben ein industriell skalierbares Konzept zur Trocknung des Lignins und zur Herstellung der idealen Partikelgröße und -form entwickelt“, erzählt Mitgründerin und CTO Dr. Wienke Reynolds. Mit dieser patentierten Technik produziert das Start-up seit 2022 die Inhaltsstofflinie LignoBase in Buxtehude. Die Vorteile laut Lignopure: Der Stoff verbessert deutlich den Sonnenschutz, erzeugt keinen Weißfilm auf der Haut, garantiert ein schönes Hautgefühl und riecht angenehm.
„Kosmetikhersteller können LignoBase von unseren Vertriebspartnern beziehen und in ihren Produkten einsetzen“, erklärt Reynolds. „Wir bieten erstmals Lignin in ausreichender Qualität und Menge als Rohstoff für die kosmetische Industrie an, ein solcher Inhaltsstoff war zuvor nicht verfügbar. Und wir rechnen fest damit, dass 2025 die ersten kosmetischen Produkte mit LignoBase kommerziell verfügbar sein werden.“ Weitere Lignin-basierte Produkte sind bei Lignopure in Planung.
Plastikalternative aus Getreideresten
Für eine Bio-Kunststoffalternative engagieren sich die rund 60 Mitarbeitenden des 2020 gegründeten Hamburger Unternehmens traceless. „Wir nutzen einen Rohstoff, der nicht nur nachwachsend ist, sondern der auch als Reststoff in der Agrarindustrie anfällt“, erklärt Mitgründerin und Geschäftsführerin Dr. Anne Lamp. „Das spart Ressourcen und vermeidet mögliche Konflikte mit der Nahrungsmittelproduktion.“
Gesetzliche Pflichten Ob Einwegkunststofffonds-, Kreislaufwirtschafts-, Batterie- oder Verpackungsgesetz: Unternehmen müssen zahlreiche gesetzliche Pflichten im Hinblick auf Abfallvermeidung oder -recycling beachten. Einen Überblick finden Sie hier.
Denn als Plastikersatz verwendet traceless keine Lebensmittel wie Maisstärke oder Zuckerrohr, sondern Pflanzenreste, die in der industriellen Getreideverarbeitung anfallen – etwa in Brauereien und bei der Stärke- oder Bioethanol-Herstellung. „Die meisten bioabbaubaren Kunststoffe sind immer noch Kunststoffe. Das traceless-Material gehört dagegen zu einer neuen Generation Biomaterialien. Es ist ein Naturstoff, da wir es direkt aus Pflanzenresten extrahieren“, betont die Gründerin.
Das Granulat, das das Start-up in Buchholz in der Nordheide herstellt, lässt sich einschmelzen und umformen, zum Beispiel zu Einwegbesteck. Wie bei Lignopure entstand die Idee zu dem patentierten Verfahren an der TU Hamburg. Sowohl die Otto Group, die sich generell der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat, als auch Lufthansa haben Interesse angemeldet. In der zweiten Jahreshälfte 2025 soll eine weitere Anlage in Harburg die Produktion aufnehmen.
Mit Pflanzenkohle CO2 binden
Ganz auf Pflanzenkohle setzt Circular Carbon. Das Unternehmen produziert diese in einer Pyrolyse-Anlage im Hafen aus Kakaobohnenschalen; der Kakaohersteller und Schalenlieferant nebenan nutzt den entstehenden Dampf für seine Produktion und spart damit Erdgas.
„2023 haben wir rund 1500 Tonnen Pflanzenkohle verkauft, größtenteils an die Landwirtschaft“, sagt Geschäftsführer Erik Zerna. Doch die Anlage soll nur der Anfang sein, denn das Potenzial von Pflanzenkohle, die größtenteils aus Kohlenstoff besteht, ist wesentlich größer. „Weltweit gibt es rund drei Milliarden Tonnen ungenutzte Biomasse“, so Zerna – bei einer kompletten Umwandlung in Pflanzenkohle könnte das rund 1,5 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent ergeben.
Im Boden eingearbeitet, bindet die Pflanzenkohle Kohlenstoff und entzieht der Atmosphäre damit langfristig CO2. „Das Verfahren ist eine sofort einsetzbare, aber weithin unterschätzte Schlüsseltechnologie für die Dekarbonisierung von Industrieprozessen und das Erreichen von Negativemissions-Zielen“, ist Zerna überzeugt. Und er betont: „Pflanzenkohle hat auch in der Landwirtschaft viele positive Effekte: Sie speichert Wasser und kann, richtig eingesetzt, den Düngemitteleinsatz reduzieren.“ Weitere Anlagen seien bereits in Planung.
Sicher ist: Die Kreislaufwirtschaft hilft nicht nur dem Klima und der Versorgungssicherheit, sondern sie hat auch wirtschaftliches Potenzial – und Hamburger Unternehmen nutzen es mit Kreativität und Erfindungsgeist.
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