Wenn Lars Hartenstein von der „Hängebrücke über der Schlucht zum Erfolg“ spricht, meint er damit kein Bauwerk, sondern das unternehmerische Verkaufsgespräch, auch „Pitch“ genannt. Der Geschäftsführer der „pitch perfect academy“ bereitet Start-ups auf Finanzverhandlungen vor. Dafür gibt es großen Bedarf: Früher schlicht „Präsentation“ genannt, sind die heutigen „Pitches“ nicht mehr bloß Vorstellungen neuer Produkte oder Dienstleistungen, um Investorinnen und Anleger zu gewinnen. Das englische „to pitch“ für unter anderem „werfen“ oder „aufstellen“ bezeichnet im Geschäftsleben ein komplexes Selbstvermarktungsmeisterwerk beim schwankenden Hochseilakt zur Firmengründung.
Hartenstein hilft Gründungs-Neulingen, den Abgrund durch „persönliche Erfahrungen“, „emotionale Metaphorik“ und „Nutzwert für Investoren“ zu überbrücken. Wer beim Pitch beispielsweise mit dem vierstufigen AIDA-Modell überzeugen möchte, auf das gern bei Verkaufsgesprächen, Präsentationen und Moderationen zurückgegriffen wird (AIDA steht für „Attention, Interest, Desire, Action“, „Aufmerksamkeit, Interesse, Wunsch, Handlung“), braucht nämlich mehr als optimale Vorbereitung.
Ebenso wichtig ist es, mit Herz und Verstand Aufmerksamkeit, Interesse und Leidenschaft, also Begehren zu wecken. Oder wie es Hartensteins Kollegin Petra Vorsteher formuliert: „Begeistere mich mit deiner Story!“ Die Unternehmerin muss es wissen. Denn als sie seinerzeit vom beschaulichen niedersächsischen Stade ins boomende Silicon Valley zog, hatten Telefone auch in den USA noch Wählscheiben. Aber schon 1981 hatte das Valley bei der Verbindung von Wirtschaft und Entertainment die Nase vorn.
Zu Vorstehers wichtigsten Stationen gehörten in Kalifornien Intershop und das 2005 mit ihrem Mann Ragnar Kruse neu gegründete und dann weltweit erfolgreiche IT-Unternehmen Smaato, jetzt vermittelt sie die im Valley selbstverständlichen Fähigkeiten in der ebenfalls gemeinsam ins Leben gerufenen Hamburger AI.GROUP. Pitchen, sagt die 67-Jährige, sei eine Performance, und für die sei der erste Eindruck essenziell.
Es reicht nicht aus, nur das eigene Produkt, den Markt, Kunden und Konkurrenz genau zu kennen und Social-Media-Accounts zu checken. Darüber hinaus, so Vorsteher, brauche es dafür „gutes Storytelling“. Gepaart mit Selbstbewusstsein, Leidenschaft, Emotion, Begeisterung, Unbeirrbarkeit, dem Glauben an die eigene Vision und etwas, das alles abrundet: Authentizität. Von Jogginghosen würde die Geschäftsfrau zwar selbst beim Pitch für Skatermode abraten. „Aber wenn du Anzug- oder T-Shirt-Träger bist, bleib Anzug- oder T-Shirt-Träger.“
Investment-Profis haben ein Radar für mangelnde Authentizität, betont sie. Und für Unsicherheit. Daher ihr Tipp bei Pitches vor Publikum: „Alle im Raum ansehen und ansprechen, weder herumtigern noch -stehen, nicht die Arme verschränken oder zu Boden blicken und deine Story so erzählen, dass jeder im Saal sie weitererzählen kann.“ Lars Hartenstein empfiehlt überdies eine Sprechgarnitur statt Mikrofon, auswendig gelernte Sätze sollten vermieden werden.
„Pitchen“ kommt vom englischen „to pitch“ für unter anderem „werfen“, „neigen“, „aufstellen“ oder „stoßen“ und bezeichnet vom Annäherungsschlag beim Golf über die Veränderung der Tonhöhe am Plattenspieler bis hin zum Agentur-Exposé für Werbe-Etats sicht- und hörbare, also sensorisch wahrnehmbare Handlungen auf dem Weg zum gewünschten Erfolg. Bei der Unternehmensgründung ist der Pitch gewissermaßen die letzte Zündstufe zum Businessplan. Um diese zu optimieren, bietet die Handelskammer Hilfestellung an. Mehr Infos bei Sabine Pilgrim (040- 36138-787) und über die „Unternehmenswerkstatt Hamburg“, die Start- und Konsolidierungshilfen anbietet, also auch Anleitungen zum bedarfsgerechten Pitching.
Die sind aus Sicht des 45-jährigen Hamburgers ein „mentales Gefängnis“. Und in dem finde man schwer heraus, was Anwesende denken, fühlen, sehen und hören. Jeder Pitch sei schließlich viel Psychologie und etwas Neurologie. Während funktionale Gestik und Mimik im Hypothalamus Umworbener Vertrauen erzeuge, verankern Gefühle und Bilder Langzeiterinnerungen in der Amygdala.
Wenn der selbst erklärte „Chief Storytelling Officer“ gestenreich Informationen wie diese durch den Raum wirbelt, klingt das zwar akademisch, allerdings kennzeichnen sie kommunikative Standards, mit denen sich Gründungswillige seit zehn Jahren in die TV-Serie „Höhle der Löwen“ wagen. Für Petra Vorsteher hat die Kopie des amerikanischen „Shark Tanks“ zwar wenig mit der Realität zu tun. Trotzdem hat sie das Metier aus seiner betriebswirtschaftlichen Nische ins Rampenlicht gezogen.
Vielleicht liegt es auch am Casting des Senders Vox, dass sie mit neun ausgewählten Start-ups auf einer Trainingsreise nach Kalifornien für Begeisterung sorgte. „Die besten Pitches aus Deutschland“ habe ein Top-Investor auch über die vier Hamburger Firmen auf der Bühne geschwärmt.
„Pitchen im Silicon Valley ist etwas ganz Besonderes“, bestätigt Dr. Philip Nölling, CEO des Wandsbeker Medizintechnikers myritmo. „Wer dort besteht, besteht überall.“ Sofern man mit der richtigen und gut vorbereiteten Story perfekt performt. „Ein anstrengender, aber guter Prozess“, erinnert sich Nölling an den US-Pitch seiner kabellosen Langzeit-EKGs. Er hat den Weg auf der „Hängebrücke über der Schlucht zum Erfolg“ sicherer gemacht.